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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Wer jemals Rom in Rom ganz empfunden hat, wird
die berühmte Schilderung Gianozzo Manettis von
den Bauabsichten Nikolaus V., des ersten der
Renaissancepäpste, nicht lesen können, ohne seine
Einbildungskraft lebhaft aufgeregt zu fühlen.
Nicht lange aber, so zeigen sich Zweifel, Bedenken, offene Fragen
schwierigster Art, welche die fröhlich ausgreifende Phantasie in
ihrer Arbeit stocken machen.

Die Frage, die mich insbesondere anzog, war: wem wohl das
geistige Eigentumsrecht zukomme an der architektonischen Aus-
bildung dieser Entwürfe eines neuen St. Peter, eines neuen Va-
tikanpalastes, schließlich einer ganzen neuen Papststadt? Mehr
als einmal ist es versucht worden, auf diese Frage eine Antwort
zu geben; dennoch schien mir eine nochmalige methodische Prü-
fung des bekannt gewordenen Materiales eine nicht überflüssige
Arbeit zu sein.

Die Mehrzahl der neueren Schriftsteller nennt als den Schöpfer
jener Projekte unbedenklich den großen Florentiner Leon Bat-
tista Alberti. Der Gewährsmann, auf welchen sie sich berufen,
ist Vasari. An zwei Stellen spricht dieser von Nikolaus V.
Bautätigkeit. Das eine Mal bezeichnet er als den planentwerfenden
Architekten Leon Battista, als den ausführenden Bernardo Ros-
sellino; das andere Mal schreibt er beide Tätigkeiten allein dem
letzteren zu. Man braucht zwar auf diesen Widerspruch nicht viel
Gewicht zu lagen, da Vasari ähnliche Nachlässigkeiten sich oft
zu schulden kommen läßt. Höchst bedenklich aber ist, daß die
Alberti betreffende Angabe in keiner Übereinstimmung steht mit
den Aussagen Manettis, der unbedingt den Rang des Haupt-
zeugen einnimmt. Manetti nämlich nennt als den Urheber des
Planes -- "Architekten" nennt er ihn geradezu -- den Papst
selber,
als jenen aber, welcher bestimmt war, als Werkmeister
die Baupläne auszuführen, den Bernardo von Florenz; Albertis
erwähnt er mit keiner Silbe. Die Unzuverlässigkeit Vasaris hat
sich schon oft genug erwiesen. Im vorliegenden Falle scheint
man ihm um so weniger trauen zu dürfen, da er an der Hauptstelle,
d. i. im Leben Rossellinos, durchweg Manetti ausschreibt; hin-

Wer jemals Rom in Rom ganz empfunden hat, wird
die berühmte Schilderung Gianozzo Manettis von
den Bauabsichten Nikolaus V., des ersten der
Renaissancepäpste, nicht lesen können, ohne seine
Einbildungskraft lebhaft aufgeregt zu fühlen.
Nicht lange aber, so zeigen sich Zweifel, Bedenken, offene Fragen
schwierigster Art, welche die fröhlich ausgreifende Phantasie in
ihrer Arbeit stocken machen.

Die Frage, die mich insbesondere anzog, war: wem wohl das
geistige Eigentumsrecht zukomme an der architektonischen Aus-
bildung dieser Entwürfe eines neuen St. Peter, eines neuen Va-
tikanpalastes, schließlich einer ganzen neuen Papststadt? Mehr
als einmal ist es versucht worden, auf diese Frage eine Antwort
zu geben; dennoch schien mir eine nochmalige methodische Prü-
fung des bekannt gewordenen Materiales eine nicht überflüssige
Arbeit zu sein.

Die Mehrzahl der neueren Schriftsteller nennt als den Schöpfer
jener Projekte unbedenklich den großen Florentiner Leon Bat-
tista Alberti. Der Gewährsmann, auf welchen sie sich berufen,
ist Vasari. An zwei Stellen spricht dieser von Nikolaus V.
Bautätigkeit. Das eine Mal bezeichnet er als den planentwerfenden
Architekten Leon Battista, als den ausführenden Bernardo Ros-
sellino; das andere Mal schreibt er beide Tätigkeiten allein dem
letzteren zu. Man braucht zwar auf diesen Widerspruch nicht viel
Gewicht zu lagen, da Vasari ähnliche Nachlässigkeiten sich oft
zu schulden kommen läßt. Höchst bedenklich aber ist, daß die
Alberti betreffende Angabe in keiner Übereinstimmung steht mit
den Aussagen Manettis, der unbedingt den Rang des Haupt-
zeugen einnimmt. Manetti nämlich nennt als den Urheber des
Planes — »Architekten« nennt er ihn geradezu — den Papst
selber,
als jenen aber, welcher bestimmt war, als Werkmeister
die Baupläne auszuführen, den Bernardo von Florenz; Albertis
erwähnt er mit keiner Silbe. Die Unzuverlässigkeit Vasaris hat
sich schon oft genug erwiesen. Im vorliegenden Falle scheint
man ihm um so weniger trauen zu dürfen, da er an der Hauptstelle,
d. i. im Leben Rossellinos, durchweg Manetti ausschreibt; hin-

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[[165]/0207] Wer jemals Rom in Rom ganz empfunden hat, wird die berühmte Schilderung Gianozzo Manettis von den Bauabsichten Nikolaus V., des ersten der Renaissancepäpste, nicht lesen können, ohne seine Einbildungskraft lebhaft aufgeregt zu fühlen. Nicht lange aber, so zeigen sich Zweifel, Bedenken, offene Fragen schwierigster Art, welche die fröhlich ausgreifende Phantasie in ihrer Arbeit stocken machen. Die Frage, die mich insbesondere anzog, war: wem wohl das geistige Eigentumsrecht zukomme an der architektonischen Aus- bildung dieser Entwürfe eines neuen St. Peter, eines neuen Va- tikanpalastes, schließlich einer ganzen neuen Papststadt? Mehr als einmal ist es versucht worden, auf diese Frage eine Antwort zu geben; dennoch schien mir eine nochmalige methodische Prü- fung des bekannt gewordenen Materiales eine nicht überflüssige Arbeit zu sein. Die Mehrzahl der neueren Schriftsteller nennt als den Schöpfer jener Projekte unbedenklich den großen Florentiner Leon Bat- tista Alberti. Der Gewährsmann, auf welchen sie sich berufen, ist Vasari. An zwei Stellen spricht dieser von Nikolaus V. Bautätigkeit. Das eine Mal bezeichnet er als den planentwerfenden Architekten Leon Battista, als den ausführenden Bernardo Ros- sellino; das andere Mal schreibt er beide Tätigkeiten allein dem letzteren zu. Man braucht zwar auf diesen Widerspruch nicht viel Gewicht zu lagen, da Vasari ähnliche Nachlässigkeiten sich oft zu schulden kommen läßt. Höchst bedenklich aber ist, daß die Alberti betreffende Angabe in keiner Übereinstimmung steht mit den Aussagen Manettis, der unbedingt den Rang des Haupt- zeugen einnimmt. Manetti nämlich nennt als den Urheber des Planes — »Architekten« nennt er ihn geradezu — den Papst selber, als jenen aber, welcher bestimmt war, als Werkmeister die Baupläne auszuführen, den Bernardo von Florenz; Albertis erwähnt er mit keiner Silbe. Die Unzuverlässigkeit Vasaris hat sich schon oft genug erwiesen. Im vorliegenden Falle scheint man ihm um so weniger trauen zu dürfen, da er an der Hauptstelle, d. i. im Leben Rossellinos, durchweg Manetti ausschreibt; hin-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. [165]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/207>, abgerufen am 22.11.2024.