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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
einem Italiener herrührt, werden wir uns leichter in den schein-
baren Widersinn finden, daß unser Heidelberger Schloß höchst-
wahrscheinlich von keinem Deutschen entworfen ist; und falls
etwa doch von einem Deutschen, so von einem ganz kosmopolitisch
durchtränkten. Und noch wichtiger als die unmittelbar italienischen
waren die italistisch-niederländischen Künstlerkolonien und Im-
porte; in München und Augsburg, in Westfalen und Schlesien,
an der ganzen Seeküste von Emden bis Königsberg rührt vieles,
was wir zum Besten in unserer späteren Renaissance rechnen,
von ihnen her.

Unleugbar ist die Kunst in Deutschland am Ende des Jahr-
derts eine andere geworden, als sie im Anfang zu werden ver-
sprach. Ihre Wurzeln reichen nicht mehr in das Grundwasser
des nationalen Lebens herab, und es ist nur folgerichtig, daß sie
in so umfassender Weise Fremden zur Ausübung überlassen wird.
So wird sie ganz profan, eine Kunst neutraler Augenlust, in einer
Zeit, die sonst alles und jedes auf die Religion bezieht, die leiden-
schaftlich und rettungslos dem langen Glaubenskrieg entgegen-
treibt. Wie stattlich, selbst glänzend sie noch aufzutreten vermag,
sie sagt nur sehr unvollständig die Wahrheit über den inneren
Zustand unseres Volkes in jener Zeit.

Daß die Kunst der nachdürerischen Epoche in der Summe
Verfall bedeutet, ist heute allgemeines Urteil. Aber es pflegt
immer nur ästhetisch, also mit einem schwankenden Maßstab,
begründet zu werden. Ich glaube, mit meinen Ausführungen auch
objektiv-historisch nachgewiesen zu haben, daß es so ist, daß
Verfall vorliegt.

Nun aber erhebt sich die Frage nach dem Warum.

Mit dieser Fragestellung komme ich zum zweiten Teil meiner
Erörterungen, mit dem erst sie problematisch werden. Für mich
besteht kein Zweifel, daß es nicht im eigenen Kern und Wesen
der Kunst gelegene Ursachen waren, keine inneren Entwick-
lungsnotwendigkeiten, die die Krisis herbeiführten und sie so
unglücklich ablaufen ließen. Wenn die Kunst eines Dürer und
Grünewald und ihrer Zeitgenossen, wie wir überzeugt sind, im
Gesamtleben der Nation begründet und das organische Produkt

Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
einem Italiener herrührt, werden wir uns leichter in den schein-
baren Widersinn finden, daß unser Heidelberger Schloß höchst-
wahrscheinlich von keinem Deutschen entworfen ist; und falls
etwa doch von einem Deutschen, so von einem ganz kosmopolitisch
durchtränkten. Und noch wichtiger als die unmittelbar italienischen
waren die italistisch-niederländischen Künstlerkolonien und Im-
porte; in München und Augsburg, in Westfalen und Schlesien,
an der ganzen Seeküste von Emden bis Königsberg rührt vieles,
was wir zum Besten in unserer späteren Renaissance rechnen,
von ihnen her.

Unleugbar ist die Kunst in Deutschland am Ende des Jahr-
derts eine andere geworden, als sie im Anfang zu werden ver-
sprach. Ihre Wurzeln reichen nicht mehr in das Grundwasser
des nationalen Lebens herab, und es ist nur folgerichtig, daß sie
in so umfassender Weise Fremden zur Ausübung überlassen wird.
So wird sie ganz profan, eine Kunst neutraler Augenlust, in einer
Zeit, die sonst alles und jedes auf die Religion bezieht, die leiden-
schaftlich und rettungslos dem langen Glaubenskrieg entgegen-
treibt. Wie stattlich, selbst glänzend sie noch aufzutreten vermag,
sie sagt nur sehr unvollständig die Wahrheit über den inneren
Zustand unseres Volkes in jener Zeit.

Daß die Kunst der nachdürerischen Epoche in der Summe
Verfall bedeutet, ist heute allgemeines Urteil. Aber es pflegt
immer nur ästhetisch, also mit einem schwankenden Maßstab,
begründet zu werden. Ich glaube, mit meinen Ausführungen auch
objektiv-historisch nachgewiesen zu haben, daß es so ist, daß
Verfall vorliegt.

Nun aber erhebt sich die Frage nach dem Warum.

Mit dieser Fragestellung komme ich zum zweiten Teil meiner
Erörterungen, mit dem erst sie problematisch werden. Für mich
besteht kein Zweifel, daß es nicht im eigenen Kern und Wesen
der Kunst gelegene Ursachen waren, keine inneren Entwick-
lungsnotwendigkeiten, die die Krisis herbeiführten und sie so
unglücklich ablaufen ließen. Wenn die Kunst eines Dürer und
Grünewald und ihrer Zeitgenossen, wie wir überzeugt sind, im
Gesamtleben der Nation begründet und das organische Produkt

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[153/0195] Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert einem Italiener herrührt, werden wir uns leichter in den schein- baren Widersinn finden, daß unser Heidelberger Schloß höchst- wahrscheinlich von keinem Deutschen entworfen ist; und falls etwa doch von einem Deutschen, so von einem ganz kosmopolitisch durchtränkten. Und noch wichtiger als die unmittelbar italienischen waren die italistisch-niederländischen Künstlerkolonien und Im- porte; in München und Augsburg, in Westfalen und Schlesien, an der ganzen Seeküste von Emden bis Königsberg rührt vieles, was wir zum Besten in unserer späteren Renaissance rechnen, von ihnen her. Unleugbar ist die Kunst in Deutschland am Ende des Jahr- derts eine andere geworden, als sie im Anfang zu werden ver- sprach. Ihre Wurzeln reichen nicht mehr in das Grundwasser des nationalen Lebens herab, und es ist nur folgerichtig, daß sie in so umfassender Weise Fremden zur Ausübung überlassen wird. So wird sie ganz profan, eine Kunst neutraler Augenlust, in einer Zeit, die sonst alles und jedes auf die Religion bezieht, die leiden- schaftlich und rettungslos dem langen Glaubenskrieg entgegen- treibt. Wie stattlich, selbst glänzend sie noch aufzutreten vermag, sie sagt nur sehr unvollständig die Wahrheit über den inneren Zustand unseres Volkes in jener Zeit. Daß die Kunst der nachdürerischen Epoche in der Summe Verfall bedeutet, ist heute allgemeines Urteil. Aber es pflegt immer nur ästhetisch, also mit einem schwankenden Maßstab, begründet zu werden. Ich glaube, mit meinen Ausführungen auch objektiv-historisch nachgewiesen zu haben, daß es so ist, daß Verfall vorliegt. Nun aber erhebt sich die Frage nach dem Warum. Mit dieser Fragestellung komme ich zum zweiten Teil meiner Erörterungen, mit dem erst sie problematisch werden. Für mich besteht kein Zweifel, daß es nicht im eigenen Kern und Wesen der Kunst gelegene Ursachen waren, keine inneren Entwick- lungsnotwendigkeiten, die die Krisis herbeiführten und sie so unglücklich ablaufen ließen. Wenn die Kunst eines Dürer und Grünewald und ihrer Zeitgenossen, wie wir überzeugt sind, im Gesamtleben der Nation begründet und das organische Produkt

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/195>, abgerufen am 22.11.2024.