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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
auch schon verbraucht. Schnell und gründlich vollzieht sich in
der Malerei wie in der Bildhauerkunst der Übergang zu einem
geistesarmen Epigonentum.

Die Architektur hatte sich zum Niedergang schon früher ge-
neigt. Denn Niedergang ist es doch, daß in der Hauptgattung
der monumentalen Baukunst, in der Kirchenbaukunst, ein so gut
wie vollständiger Stillstand eintrat. Es war dies schon am Vor-
abend der Reformation geschehen und dauerte fast bis zum Ende
des Jahrhunderts fort, auf katholischer Seite nicht weniger als
auf protestantischer. Die Profanarchitektur blieb rege; aber sie
war nicht monumental. Das Heidelberger Schloß, das fast die
einzige Ausnahme darstellt, ist kaum das Werk eines Deutschen.
Was wir in der Architektur des 16. Jahrhunderts frühe Renaissance
nennen, ist im Grunde nur ein erweitertes Kunsthandwerk, zwi-
schen den beiden großen Idealismen der mittelalterlichen Gotik
und der italienischen Neoantike eine sicher liebenswürdige, aber
sicher auch recht kleinbürgerliche Figur. Wenn wir sonst als
Kennzeichen der Renaissance eine erhöhte Geltendmachung des
Individuums ansehen, so ist diese deutsche Renaissancearchitektur
mit Fug und Recht anonym, denn sie ist auch in ihrem inneren
Wesen unpersönlich.

Wirkliche Architekten treten erst am Schluß des Jahrhun-
derts wieder auf, und einige von unleugbarer und ernster Be-
deutung, wie Hans Schoch, Jakob Wolff, Paul Franke, Elias Holl.
Die mit ihnen verheißungsvoll aufleuchtenden Anfänge versinken
aber schnell wieder in der Nacht des Dreißigjährigen Krieges.

Die Kunst des Mittelalters, auf die wir einen Augenblick
zurückschauen wollen, war als vorwaltend kirchliche eine vor-
waltend öffentliche gewesen; es hatte, wie die fortschreitende
Demokratisierung ihres Charakters es handgreiflich zeigt, wirklich
das ganze Volk hinter ihr gestanden. Die Kunst des 16. Jahr-
hunderts verlor mit der Kirchlichkeit zugleich die Öffentlichkeit,
ohne daß ihr an anderer Stelle dafür ein Ersatz geboten wäre.
Und nun verkettete sich mit diesem Verlust ganz verhängnisvoll
ein zweiter: der Verlust an Volkstümlichkeit. Von der Nieder-
werfung des Bauernkrieges ab, nicht allein durch ihn veranlaßt,

Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
auch schon verbraucht. Schnell und gründlich vollzieht sich in
der Malerei wie in der Bildhauerkunst der Übergang zu einem
geistesarmen Epigonentum.

Die Architektur hatte sich zum Niedergang schon früher ge-
neigt. Denn Niedergang ist es doch, daß in der Hauptgattung
der monumentalen Baukunst, in der Kirchenbaukunst, ein so gut
wie vollständiger Stillstand eintrat. Es war dies schon am Vor-
abend der Reformation geschehen und dauerte fast bis zum Ende
des Jahrhunderts fort, auf katholischer Seite nicht weniger als
auf protestantischer. Die Profanarchitektur blieb rege; aber sie
war nicht monumental. Das Heidelberger Schloß, das fast die
einzige Ausnahme darstellt, ist kaum das Werk eines Deutschen.
Was wir in der Architektur des 16. Jahrhunderts frühe Renaissance
nennen, ist im Grunde nur ein erweitertes Kunsthandwerk, zwi-
schen den beiden großen Idealismen der mittelalterlichen Gotik
und der italienischen Neoantike eine sicher liebenswürdige, aber
sicher auch recht kleinbürgerliche Figur. Wenn wir sonst als
Kennzeichen der Renaissance eine erhöhte Geltendmachung des
Individuums ansehen, so ist diese deutsche Renaissancearchitektur
mit Fug und Recht anonym, denn sie ist auch in ihrem inneren
Wesen unpersönlich.

Wirkliche Architekten treten erst am Schluß des Jahrhun-
derts wieder auf, und einige von unleugbarer und ernster Be-
deutung, wie Hans Schoch, Jakob Wolff, Paul Franke, Elias Holl.
Die mit ihnen verheißungsvoll aufleuchtenden Anfänge versinken
aber schnell wieder in der Nacht des Dreißigjährigen Krieges.

Die Kunst des Mittelalters, auf die wir einen Augenblick
zurückschauen wollen, war als vorwaltend kirchliche eine vor-
waltend öffentliche gewesen; es hatte, wie die fortschreitende
Demokratisierung ihres Charakters es handgreiflich zeigt, wirklich
das ganze Volk hinter ihr gestanden. Die Kunst des 16. Jahr-
hunderts verlor mit der Kirchlichkeit zugleich die Öffentlichkeit,
ohne daß ihr an anderer Stelle dafür ein Ersatz geboten wäre.
Und nun verkettete sich mit diesem Verlust ganz verhängnisvoll
ein zweiter: der Verlust an Volkstümlichkeit. Von der Nieder-
werfung des Bauernkrieges ab, nicht allein durch ihn veranlaßt,

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[150/0192] Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert auch schon verbraucht. Schnell und gründlich vollzieht sich in der Malerei wie in der Bildhauerkunst der Übergang zu einem geistesarmen Epigonentum. Die Architektur hatte sich zum Niedergang schon früher ge- neigt. Denn Niedergang ist es doch, daß in der Hauptgattung der monumentalen Baukunst, in der Kirchenbaukunst, ein so gut wie vollständiger Stillstand eintrat. Es war dies schon am Vor- abend der Reformation geschehen und dauerte fast bis zum Ende des Jahrhunderts fort, auf katholischer Seite nicht weniger als auf protestantischer. Die Profanarchitektur blieb rege; aber sie war nicht monumental. Das Heidelberger Schloß, das fast die einzige Ausnahme darstellt, ist kaum das Werk eines Deutschen. Was wir in der Architektur des 16. Jahrhunderts frühe Renaissance nennen, ist im Grunde nur ein erweitertes Kunsthandwerk, zwi- schen den beiden großen Idealismen der mittelalterlichen Gotik und der italienischen Neoantike eine sicher liebenswürdige, aber sicher auch recht kleinbürgerliche Figur. Wenn wir sonst als Kennzeichen der Renaissance eine erhöhte Geltendmachung des Individuums ansehen, so ist diese deutsche Renaissancearchitektur mit Fug und Recht anonym, denn sie ist auch in ihrem inneren Wesen unpersönlich. Wirkliche Architekten treten erst am Schluß des Jahrhun- derts wieder auf, und einige von unleugbarer und ernster Be- deutung, wie Hans Schoch, Jakob Wolff, Paul Franke, Elias Holl. Die mit ihnen verheißungsvoll aufleuchtenden Anfänge versinken aber schnell wieder in der Nacht des Dreißigjährigen Krieges. Die Kunst des Mittelalters, auf die wir einen Augenblick zurückschauen wollen, war als vorwaltend kirchliche eine vor- waltend öffentliche gewesen; es hatte, wie die fortschreitende Demokratisierung ihres Charakters es handgreiflich zeigt, wirklich das ganze Volk hinter ihr gestanden. Die Kunst des 16. Jahr- hunderts verlor mit der Kirchlichkeit zugleich die Öffentlichkeit, ohne daß ihr an anderer Stelle dafür ein Ersatz geboten wäre. Und nun verkettete sich mit diesem Verlust ganz verhängnisvoll ein zweiter: der Verlust an Volkstümlichkeit. Von der Nieder- werfung des Bauernkrieges ab, nicht allein durch ihn veranlaßt,

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/192>, abgerufen am 22.11.2024.