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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
sellenhand aus, was bei dem letzteren nach der Art der Entstehung
auch an sich wahrscheinlich ist. Backofen wird Modellskizzen
hinterlassen haben, die Ausführung folgte nach seinem Tode.

Derselbe Meister, aus dessen Hand das Gemmingendenkmal
hervorgegangen ist, hat auch das Jakobs von Liebenstein geschaffen
(Taf. 13). Die Verschiedenheit des Gegenstandes macht den Ver-
gleich nicht ganz leicht. Zwar glaube ich, wenn ich eine tiefe
geistige Verwandtschaft erkenne, daß ich mit diesem Eindruck nicht
allein bleiben werde. Aber wir fühlen uns gegen Argumente dieser
Art mit Recht zur Behutsamkeit verpflichtet und verlangen nach
derberen Beweisen. Sie werden nicht fehlen. Man betrachte
zuerst in dem die Hauptgestalt umgebenden Rahmenwerk die Kon-
sölchen unter den Statuetten. Sie haben Renaissanceornament,
und es ist genau dasselbe wie am Gemmingendenkmal. Nur daß
es an dem jüngeren Werk nicht mehr, wie hier, bloß verstohlen ein-
geschoben wird, sondern mit Zuversicht sich ausbreitet. Nirgends
in Mainz und in einem weiten Umkreise um Mainz ist in so frühen
Jahren sonst eine Spur von Nachahmung der Italiener zu bemerken.
Man betrachte zweitens den Krummstab in der Hand des Kirchen-
fürsten mit dem höchst individuell behandelten Blattwerk; er
wiederholt sich im kleinen bei den Bischofsstatuetten des Rahmen-
werks, er wiederholt sich im großen bei den Patronen Gemmingens,
fünfmal dasselbe Modell ohne Veränderung. Offenbar hatte Back-
ofen keine kunstgewerblichen Interessen, es genügte ihm, seine
Erfindungsgabe einmal angestrengt zu haben, dies für allemal1).
Man beachte drittens die nackten Flügelknaben. Sie stammen
sichtlich vom italienischen Putto, der bekanntlich das erste ist,
was die Deutschen sich aus dem Formenvorrat der Renaissance
aneignen, vereinzelt schon vor 1500. Auf dem Gemmingendenkmal
wimmelt es von Putten, und sie zeigen eine so ausgeprägte per-
sönliche Auffassung des nackten Kinderkörpers, daß man meint,
allein aus ihnen müsse der Meister wiedererkannt werden können.
Und in der Tat nun: die (antike!) Inschrifttafel zu Füßen Lieben-
steins wird von zwei Putten aus derselben Familie getragen! Der

1) Als Gegenbeispiel Riemenschneider, der die Krummstäbe stets variiert,
während ihre Träger über einen gleichförmigen Typus nicht hinauskommen.

Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
sellenhand aus, was bei dem letzteren nach der Art der Entstehung
auch an sich wahrscheinlich ist. Backofen wird Modellskizzen
hinterlassen haben, die Ausführung folgte nach seinem Tode.

Derselbe Meister, aus dessen Hand das Gemmingendenkmal
hervorgegangen ist, hat auch das Jakobs von Liebenstein geschaffen
(Taf. 13). Die Verschiedenheit des Gegenstandes macht den Ver-
gleich nicht ganz leicht. Zwar glaube ich, wenn ich eine tiefe
geistige Verwandtschaft erkenne, daß ich mit diesem Eindruck nicht
allein bleiben werde. Aber wir fühlen uns gegen Argumente dieser
Art mit Recht zur Behutsamkeit verpflichtet und verlangen nach
derberen Beweisen. Sie werden nicht fehlen. Man betrachte
zuerst in dem die Hauptgestalt umgebenden Rahmenwerk die Kon-
sölchen unter den Statuetten. Sie haben Renaissanceornament,
und es ist genau dasselbe wie am Gemmingendenkmal. Nur daß
es an dem jüngeren Werk nicht mehr, wie hier, bloß verstohlen ein-
geschoben wird, sondern mit Zuversicht sich ausbreitet. Nirgends
in Mainz und in einem weiten Umkreise um Mainz ist in so frühen
Jahren sonst eine Spur von Nachahmung der Italiener zu bemerken.
Man betrachte zweitens den Krummstab in der Hand des Kirchen-
fürsten mit dem höchst individuell behandelten Blattwerk; er
wiederholt sich im kleinen bei den Bischofsstatuetten des Rahmen-
werks, er wiederholt sich im großen bei den Patronen Gemmingens,
fünfmal dasselbe Modell ohne Veränderung. Offenbar hatte Back-
ofen keine kunstgewerblichen Interessen, es genügte ihm, seine
Erfindungsgabe einmal angestrengt zu haben, dies für allemal1).
Man beachte drittens die nackten Flügelknaben. Sie stammen
sichtlich vom italienischen Putto, der bekanntlich das erste ist,
was die Deutschen sich aus dem Formenvorrat der Renaissance
aneignen, vereinzelt schon vor 1500. Auf dem Gemmingendenkmal
wimmelt es von Putten, und sie zeigen eine so ausgeprägte per-
sönliche Auffassung des nackten Kinderkörpers, daß man meint,
allein aus ihnen müsse der Meister wiedererkannt werden können.
Und in der Tat nun: die (antike!) Inschrifttafel zu Füßen Lieben-
steins wird von zwei Putten aus derselben Familie getragen! Der

1) Als Gegenbeispiel Riemenschneider, der die Krummstäbe stets variiert,
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[137/0169] Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom sellenhand aus, was bei dem letzteren nach der Art der Entstehung auch an sich wahrscheinlich ist. Backofen wird Modellskizzen hinterlassen haben, die Ausführung folgte nach seinem Tode. Derselbe Meister, aus dessen Hand das Gemmingendenkmal hervorgegangen ist, hat auch das Jakobs von Liebenstein geschaffen (Taf. 13). Die Verschiedenheit des Gegenstandes macht den Ver- gleich nicht ganz leicht. Zwar glaube ich, wenn ich eine tiefe geistige Verwandtschaft erkenne, daß ich mit diesem Eindruck nicht allein bleiben werde. Aber wir fühlen uns gegen Argumente dieser Art mit Recht zur Behutsamkeit verpflichtet und verlangen nach derberen Beweisen. Sie werden nicht fehlen. Man betrachte zuerst in dem die Hauptgestalt umgebenden Rahmenwerk die Kon- sölchen unter den Statuetten. Sie haben Renaissanceornament, und es ist genau dasselbe wie am Gemmingendenkmal. Nur daß es an dem jüngeren Werk nicht mehr, wie hier, bloß verstohlen ein- geschoben wird, sondern mit Zuversicht sich ausbreitet. Nirgends in Mainz und in einem weiten Umkreise um Mainz ist in so frühen Jahren sonst eine Spur von Nachahmung der Italiener zu bemerken. Man betrachte zweitens den Krummstab in der Hand des Kirchen- fürsten mit dem höchst individuell behandelten Blattwerk; er wiederholt sich im kleinen bei den Bischofsstatuetten des Rahmen- werks, er wiederholt sich im großen bei den Patronen Gemmingens, fünfmal dasselbe Modell ohne Veränderung. Offenbar hatte Back- ofen keine kunstgewerblichen Interessen, es genügte ihm, seine Erfindungsgabe einmal angestrengt zu haben, dies für allemal 1). Man beachte drittens die nackten Flügelknaben. Sie stammen sichtlich vom italienischen Putto, der bekanntlich das erste ist, was die Deutschen sich aus dem Formenvorrat der Renaissance aneignen, vereinzelt schon vor 1500. Auf dem Gemmingendenkmal wimmelt es von Putten, und sie zeigen eine so ausgeprägte per- sönliche Auffassung des nackten Kinderkörpers, daß man meint, allein aus ihnen müsse der Meister wiedererkannt werden können. Und in der Tat nun: die (antike!) Inschrifttafel zu Füßen Lieben- steins wird von zwei Putten aus derselben Familie getragen! Der 1) Als Gegenbeispiel Riemenschneider, der die Krummstäbe stets variiert, während ihre Träger über einen gleichförmigen Typus nicht hinauskommen.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/169>, abgerufen am 22.11.2024.