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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde.
Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die
Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar
auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge-
schlossenen dramatischen Szene.

Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach
undramatisch. Der Kurfürst kniet in ritueller Andacht vor dem
Kreuze, neben ihm stehen zwei heilige Bischöfe (Martin und Bonifaz?)
als Patrone1). Und doch werden wir alles eher als feierliche Ruhe
auf uns übergehen fühlen. Die Heiligen sind ins Heroische gesteigert,
in weiser Gegensätzlichkeit zu der dem Alltäglichen sich nähernden,
immer noch würdevollen Bildung des Kurfürsten2). Wie sie ihre
Bücher, ihre Krummstäbe greifen, den Knienden empfehlend
vorschieben, das sind nur leichte Aktionen, aber so ausgeführt,
daß sie an eine gewaltige latente Kraft denken lassen. Wie von
kurzen, heftigen Windstößen die schweren Gewandfalten durch-
einander geworfen; schwarze Schattenflecken rasch mit fahrigen
Lichtern wechselnd; kühn zerklüftet die mächtigen Häupter der
hl. Bischöfe; endlich der den Sterbenden am Kreuze wehklagend um-
flatternde Schwarm der Engel. Den Frankfurter Kreuzigungen
fehlen die Engel, auf der Mainzer sind sie da, in dreister Grenz-
verletzung des der Plastik Zukömmlichen. Dann ist noch eine
Spezialität in der Gewandbehandlung zu beachten. Sie ist auf der
ersten Frankfurter Kreuzigung noch nicht sehr ausgeprägt, schärfer
auf der zweiten, zunehmend auf dem Gemmingendenkmal, ein
wenig schon manieristisch an dem posthumen Werk bei St. Ignazius.

1) Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte
Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf
dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu
sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von
St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich
mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom
zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran-
denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön-
licher Zusammenhang wohl möglich.
2) Der Kopf neu.

Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde.
Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die
Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar
auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge-
schlossenen dramatischen Szene.

Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach
undramatisch. Der Kurfürst kniet in ritueller Andacht vor dem
Kreuze, neben ihm stehen zwei heilige Bischöfe (Martin und Bonifaz?)
als Patrone1). Und doch werden wir alles eher als feierliche Ruhe
auf uns übergehen fühlen. Die Heiligen sind ins Heroische gesteigert,
in weiser Gegensätzlichkeit zu der dem Alltäglichen sich nähernden,
immer noch würdevollen Bildung des Kurfürsten2). Wie sie ihre
Bücher, ihre Krummstäbe greifen, den Knienden empfehlend
vorschieben, das sind nur leichte Aktionen, aber so ausgeführt,
daß sie an eine gewaltige latente Kraft denken lassen. Wie von
kurzen, heftigen Windstößen die schweren Gewandfalten durch-
einander geworfen; schwarze Schattenflecken rasch mit fahrigen
Lichtern wechselnd; kühn zerklüftet die mächtigen Häupter der
hl. Bischöfe; endlich der den Sterbenden am Kreuze wehklagend um-
flatternde Schwarm der Engel. Den Frankfurter Kreuzigungen
fehlen die Engel, auf der Mainzer sind sie da, in dreister Grenz-
verletzung des der Plastik Zukömmlichen. Dann ist noch eine
Spezialität in der Gewandbehandlung zu beachten. Sie ist auf der
ersten Frankfurter Kreuzigung noch nicht sehr ausgeprägt, schärfer
auf der zweiten, zunehmend auf dem Gemmingendenkmal, ein
wenig schon manieristisch an dem posthumen Werk bei St. Ignazius.

1) Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte
Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf
dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu
sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von
St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich
mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom
zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran-
denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön-
licher Zusammenhang wohl möglich.
2) Der Kopf neu.
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[135/0167] Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde. Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge- schlossenen dramatischen Szene. Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach undramatisch. Der Kurfürst kniet in ritueller Andacht vor dem Kreuze, neben ihm stehen zwei heilige Bischöfe (Martin und Bonifaz?) als Patrone 1). Und doch werden wir alles eher als feierliche Ruhe auf uns übergehen fühlen. Die Heiligen sind ins Heroische gesteigert, in weiser Gegensätzlichkeit zu der dem Alltäglichen sich nähernden, immer noch würdevollen Bildung des Kurfürsten 2). Wie sie ihre Bücher, ihre Krummstäbe greifen, den Knienden empfehlend vorschieben, das sind nur leichte Aktionen, aber so ausgeführt, daß sie an eine gewaltige latente Kraft denken lassen. Wie von kurzen, heftigen Windstößen die schweren Gewandfalten durch- einander geworfen; schwarze Schattenflecken rasch mit fahrigen Lichtern wechselnd; kühn zerklüftet die mächtigen Häupter der hl. Bischöfe; endlich der den Sterbenden am Kreuze wehklagend um- flatternde Schwarm der Engel. Den Frankfurter Kreuzigungen fehlen die Engel, auf der Mainzer sind sie da, in dreister Grenz- verletzung des der Plastik Zukömmlichen. Dann ist noch eine Spezialität in der Gewandbehandlung zu beachten. Sie ist auf der ersten Frankfurter Kreuzigung noch nicht sehr ausgeprägt, schärfer auf der zweiten, zunehmend auf dem Gemmingendenkmal, ein wenig schon manieristisch an dem posthumen Werk bei St. Ignazius. 1) Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran- denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön- licher Zusammenhang wohl möglich. 2) Der Kopf neu.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/167>, abgerufen am 22.11.2024.