Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
und Jagdschloß klassifiziert. Und doch, wieviel Sorge hat auch hier
der Kaiser für seine persönliche Sicherung tragen müssen. Man
beachte z. B., wie der einzige Eingang nicht unmittelbar dem Hofe
zuführt, sondern wie der Eintretende erst durch eine schmale Tür
rechts einen zweiten geschlossenen Raum passieren mußte und dann
durch verwickelte Verbindungen eine der engen Wendeltreppen er-
reichte, die zu dem oberen, vom Kaiser bewohnten Geschoß
hinaufführten. Ein das Hauptgebäude umschließender dreifacher
Mauergürtel ist jetzt nur in den Fundamenten zu erkennen.

Welcher Art sind nun die Stilformen? Mit Ausnahme eines
einzigen, später noch zu erörternden Bauteils rein gotisch! Und
zwar nicht so, daß sie etwa als eine Weiterbildung der schon vor
längerer Zeit hier und da im süditalischen Kirchenbau aufge-
wiesenen primitiv gotischen Formen gelten könnten. Kein Zweifel,
französische Bauleute, denen der Stil der Champagne und Bour-
gogne in den Fingern lag, haben Castel del Monte erbaut. Mit
diesem von Bertaux unwiderleglich geführten Nachweis ist das
Rätsel aber keineswegs ganz gelöst. Es kann nicht übersehen
werden, daß wir nicht den Stil von 1240, sondern den von etwa
1210 vor uns haben. Also müssen jene Bauleute längere Zeit von
der Heimat getrennt gewesen sein. Unter allen sich zur Erklä-
rung darbietenden Möglichkeiten ist da die bei weitem wahr-
scheinlichste, daß wir es wieder (vgl. oben S. 105/6) mit einer Rück-
wanderung aus dem Orient, am wahrscheinlichsten aus Cypern1),
zu tun haben. Dieselben Formen, wenn auch nicht mehr immer
in gleicher Reinheit, finden sich an allen kaiserlichen Schlössern
wieder, die nach Castel del Monte errichtet wurden: in Lago-
pesole und Cosenza, und in den sizilianischen in Castrogiovanni,
Syrakus und Catania. "Es ist unmöglich," sagt Bertaux, "den
persönlichen Geschmack des Kaisers für den Stil der Champagne
und Bourgogne zu verkennen; vielleicht hat dieser für so viel

1) Seine frühere Hypothese mit Philipp Chinard hat Bertaux jetzt,
auf den Einspruch italienischer Forscher, aufgegeben. An dem sachlichen
Kern der Hypothese wird dadurch nichts geändert. Die französische Archi-
tektur auf Cypern hat C. Enlart in einem zweibändigen Werke geschildert,
vgl. meine Besprechung im Repertorium für Kunstwissenschaft 1900.

Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
und Jagdschloß klassifiziert. Und doch, wieviel Sorge hat auch hier
der Kaiser für seine persönliche Sicherung tragen müssen. Man
beachte z. B., wie der einzige Eingang nicht unmittelbar dem Hofe
zuführt, sondern wie der Eintretende erst durch eine schmale Tür
rechts einen zweiten geschlossenen Raum passieren mußte und dann
durch verwickelte Verbindungen eine der engen Wendeltreppen er-
reichte, die zu dem oberen, vom Kaiser bewohnten Geschoß
hinaufführten. Ein das Hauptgebäude umschließender dreifacher
Mauergürtel ist jetzt nur in den Fundamenten zu erkennen.

Welcher Art sind nun die Stilformen? Mit Ausnahme eines
einzigen, später noch zu erörternden Bauteils rein gotisch! Und
zwar nicht so, daß sie etwa als eine Weiterbildung der schon vor
längerer Zeit hier und da im süditalischen Kirchenbau aufge-
wiesenen primitiv gotischen Formen gelten könnten. Kein Zweifel,
französische Bauleute, denen der Stil der Champagne und Bour-
gogne in den Fingern lag, haben Castel del Monte erbaut. Mit
diesem von Bertaux unwiderleglich geführten Nachweis ist das
Rätsel aber keineswegs ganz gelöst. Es kann nicht übersehen
werden, daß wir nicht den Stil von 1240, sondern den von etwa
1210 vor uns haben. Also müssen jene Bauleute längere Zeit von
der Heimat getrennt gewesen sein. Unter allen sich zur Erklä-
rung darbietenden Möglichkeiten ist da die bei weitem wahr-
scheinlichste, daß wir es wieder (vgl. oben S. 105/6) mit einer Rück-
wanderung aus dem Orient, am wahrscheinlichsten aus Cypern1),
zu tun haben. Dieselben Formen, wenn auch nicht mehr immer
in gleicher Reinheit, finden sich an allen kaiserlichen Schlössern
wieder, die nach Castel del Monte errichtet wurden: in Lago-
pesole und Cosenza, und in den sizilianischen in Castrogiovanni,
Syrakus und Catania. »Es ist unmöglich,« sagt Bertaux, »den
persönlichen Geschmack des Kaisers für den Stil der Champagne
und Bourgogne zu verkennen; vielleicht hat dieser für so viel

1) Seine frühere Hypothese mit Philipp Chinard hat Bertaux jetzt,
auf den Einspruch italienischer Forscher, aufgegeben. An dem sachlichen
Kern der Hypothese wird dadurch nichts geändert. Die französische Archi-
tektur auf Cypern hat C. Enlart in einem zweibändigen Werke geschildert,
vgl. meine Besprechung im Repertorium für Kunstwissenschaft 1900.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0128" n="110"/><fw place="top" type="header">Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.</fw><lb/>
und Jagdschloß klassifiziert. Und doch, wieviel Sorge hat auch hier<lb/>
der Kaiser für seine persönliche Sicherung tragen müssen. Man<lb/>
beachte z. B., wie der einzige Eingang nicht unmittelbar dem Hofe<lb/>
zuführt, sondern wie der Eintretende erst durch eine schmale Tür<lb/>
rechts einen zweiten geschlossenen Raum passieren mußte und dann<lb/>
durch verwickelte Verbindungen eine der engen Wendeltreppen er-<lb/>
reichte, die zu dem oberen, vom Kaiser bewohnten Geschoß<lb/>
hinaufführten. Ein das Hauptgebäude umschließender dreifacher<lb/>
Mauergürtel ist jetzt nur in den Fundamenten zu erkennen.</p><lb/>
        <p>Welcher Art sind nun die Stilformen? Mit Ausnahme eines<lb/>
einzigen, später noch zu erörternden Bauteils rein gotisch! Und<lb/>
zwar nicht so, daß sie etwa als eine Weiterbildung der schon vor<lb/>
längerer Zeit hier und da im süditalischen Kirchenbau aufge-<lb/>
wiesenen primitiv gotischen Formen gelten könnten. Kein Zweifel,<lb/>
französische Bauleute, denen der Stil der Champagne und Bour-<lb/>
gogne in den Fingern lag, haben Castel del Monte erbaut. Mit<lb/>
diesem von Bertaux unwiderleglich geführten Nachweis ist das<lb/>
Rätsel aber keineswegs ganz gelöst. Es kann nicht übersehen<lb/>
werden, daß wir nicht den Stil von 1240, sondern den von etwa<lb/>
1210 vor uns haben. Also müssen jene Bauleute längere Zeit von<lb/>
der Heimat getrennt gewesen sein. Unter allen sich zur Erklä-<lb/>
rung darbietenden Möglichkeiten ist da die bei weitem wahr-<lb/>
scheinlichste, daß wir es wieder (vgl. oben S. 105/6) mit einer Rück-<lb/>
wanderung aus dem Orient, am wahrscheinlichsten aus Cypern<note place="foot" n="1)"><lb/>
Seine frühere Hypothese mit Philipp Chinard hat Bertaux jetzt,<lb/>
auf den Einspruch italienischer Forscher, aufgegeben. An dem sachlichen<lb/>
Kern der Hypothese wird dadurch nichts geändert. Die französische Archi-<lb/>
tektur auf Cypern hat C. Enlart in einem zweibändigen Werke geschildert,<lb/>
vgl. meine Besprechung im Repertorium für Kunstwissenschaft 1900.</note>,<lb/>
zu tun haben. Dieselben Formen, wenn auch nicht mehr immer<lb/>
in gleicher Reinheit, finden sich an <hi rendition="#g">allen</hi> kaiserlichen Schlössern<lb/>
wieder, die <hi rendition="#g">nach</hi> Castel del Monte errichtet wurden: in Lago-<lb/>
pesole und Cosenza, und in den sizilianischen in Castrogiovanni,<lb/>
Syrakus und Catania. »Es ist unmöglich,« sagt Bertaux, »den<lb/>
persönlichen Geschmack des Kaisers für den Stil der Champagne<lb/>
und Bourgogne zu verkennen; vielleicht hat dieser für so viel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0128] Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. und Jagdschloß klassifiziert. Und doch, wieviel Sorge hat auch hier der Kaiser für seine persönliche Sicherung tragen müssen. Man beachte z. B., wie der einzige Eingang nicht unmittelbar dem Hofe zuführt, sondern wie der Eintretende erst durch eine schmale Tür rechts einen zweiten geschlossenen Raum passieren mußte und dann durch verwickelte Verbindungen eine der engen Wendeltreppen er- reichte, die zu dem oberen, vom Kaiser bewohnten Geschoß hinaufführten. Ein das Hauptgebäude umschließender dreifacher Mauergürtel ist jetzt nur in den Fundamenten zu erkennen. Welcher Art sind nun die Stilformen? Mit Ausnahme eines einzigen, später noch zu erörternden Bauteils rein gotisch! Und zwar nicht so, daß sie etwa als eine Weiterbildung der schon vor längerer Zeit hier und da im süditalischen Kirchenbau aufge- wiesenen primitiv gotischen Formen gelten könnten. Kein Zweifel, französische Bauleute, denen der Stil der Champagne und Bour- gogne in den Fingern lag, haben Castel del Monte erbaut. Mit diesem von Bertaux unwiderleglich geführten Nachweis ist das Rätsel aber keineswegs ganz gelöst. Es kann nicht übersehen werden, daß wir nicht den Stil von 1240, sondern den von etwa 1210 vor uns haben. Also müssen jene Bauleute längere Zeit von der Heimat getrennt gewesen sein. Unter allen sich zur Erklä- rung darbietenden Möglichkeiten ist da die bei weitem wahr- scheinlichste, daß wir es wieder (vgl. oben S. 105/6) mit einer Rück- wanderung aus dem Orient, am wahrscheinlichsten aus Cypern 1), zu tun haben. Dieselben Formen, wenn auch nicht mehr immer in gleicher Reinheit, finden sich an allen kaiserlichen Schlössern wieder, die nach Castel del Monte errichtet wurden: in Lago- pesole und Cosenza, und in den sizilianischen in Castrogiovanni, Syrakus und Catania. »Es ist unmöglich,« sagt Bertaux, »den persönlichen Geschmack des Kaisers für den Stil der Champagne und Bourgogne zu verkennen; vielleicht hat dieser für so viel 1) Seine frühere Hypothese mit Philipp Chinard hat Bertaux jetzt, auf den Einspruch italienischer Forscher, aufgegeben. An dem sachlichen Kern der Hypothese wird dadurch nichts geändert. Die französische Archi- tektur auf Cypern hat C. Enlart in einem zweibändigen Werke geschildert, vgl. meine Besprechung im Repertorium für Kunstwissenschaft 1900.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-21T10:17:23Z)
University of Toronto, Robarts Library of Humanities & Social Sciences: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-21T10:17:23Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123 (2012-02-21T10:17:23Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/128
Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/128>, abgerufen am 26.11.2024.