Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. letzten anderthalb Jahrzehnte haben diesen Abschnitt der Kunst-geschichte wieder wesentlich gefördert, hauptsächlich durch die Forschung italienischer und französischer Gelehrter, unter denen das kürzlich erschienene Buch von Bertaux "L'art dans L'Italie meridionale, 1903," durch Umfang und Gediegenheit den ersten Platz einnimmt. Hauptsächlich auf dies Buch stützt sich die folgende Skizze, bei der sich zeigen wird, daß die Kunstdenkmäler manche Züge im Leben jener Zeit, ja selbst im persönlichen Cha- rakter Friedrichs II. deutlicher hervortreten lassen als die un- mittelbaren Geschichtsquellen. In erster Linie hat die Baukunst Anspruch auf unsere Auf- Die erste Gruppe berühre ich nur flüchtig. So fruchtbar Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. letzten anderthalb Jahrzehnte haben diesen Abschnitt der Kunst-geschichte wieder wesentlich gefördert, hauptsächlich durch die Forschung italienischer und französischer Gelehrter, unter denen das kürzlich erschienene Buch von Bertaux »L'art dans L'Italie méridionale, 1903,« durch Umfang und Gediegenheit den ersten Platz einnimmt. Hauptsächlich auf dies Buch stützt sich die folgende Skizze, bei der sich zeigen wird, daß die Kunstdenkmäler manche Züge im Leben jener Zeit, ja selbst im persönlichen Cha- rakter Friedrichs II. deutlicher hervortreten lassen als die un- mittelbaren Geschichtsquellen. In erster Linie hat die Baukunst Anspruch auf unsere Auf- Die erste Gruppe berühre ich nur flüchtig. So fruchtbar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0122" n="104"/><fw place="top" type="header">Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.</fw><lb/> letzten anderthalb Jahrzehnte haben diesen Abschnitt der Kunst-<lb/> geschichte wieder wesentlich gefördert, hauptsächlich durch die<lb/> Forschung italienischer und französischer Gelehrter, unter denen<lb/> das kürzlich erschienene Buch von Bertaux »L'art dans L'Italie<lb/> méridionale, 1903,« durch Umfang und Gediegenheit den ersten<lb/> Platz einnimmt. Hauptsächlich auf dies Buch stützt sich die<lb/> folgende Skizze, bei der sich zeigen wird, daß die Kunstdenkmäler<lb/> manche Züge im Leben jener Zeit, ja selbst im persönlichen Cha-<lb/> rakter Friedrichs II. deutlicher hervortreten lassen als die un-<lb/> mittelbaren Geschichtsquellen.</p><lb/> <p>In erster Linie hat die Baukunst Anspruch auf unsere Auf-<lb/> merksamkeit. Wir finden in ihr nebeneinander die folgenden drei<lb/> Strömungen: ein Weiterleben der heimischen Traditionen des<lb/> romanischen Stils; die Erstlinge der gotischen Architektur; An-<lb/> sätze zur Renaissance der Antike. Es ist nur noch nötig, daran<lb/> zu erinnern, um welche Zeit es sich handelt — um das Ende des<lb/> 12. und die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts —, um sogleich<lb/> erkennen zu lassen, daß wir eine sehr merkwürdige Kon-<lb/> stellation vor uns haben, wie sie kein anderer Teil Europas<lb/> damals darbot.</p><lb/> <p>Die erste Gruppe berühre ich nur flüchtig. So fruchtbar<lb/> und glänzend sie äußerlich erscheint — ich nenne als Beispiel<lb/> die Kathedralen von Bari, Trani, Troja, Ruvo, Bitonto, Mol-<lb/> fetta, Altamura, die teils ganz, teils wenigstens als Umbau in<lb/> unsere Epoche gehören —, so erkennt man in ihr doch einen<lb/> schwachen Punkt, der das plötzliche Versiegen der Produktion<lb/> nach der Mitte des 13. Jahrhunderts im voraus erklärt. Diese<lb/> Kunstgruppe verdient den Namen einer heimischen nur in bedingtem<lb/> Sinne. Die Baukunst Unteritaliens entbehrte von jeher einer<lb/> bodenwüchsigen, ausdauernden Tradition. Über der altchristlich-<lb/> lateinischen Grundlage hatte sich eine starke byzantinische Schicht<lb/> abgelagert; hinzukamen aus dem Süden arabische und norman-<lb/> nische, aus dem Norden toskanische und lombardische, endlich,<lb/> durch die <choice><sic>Kluinazenser</sic><corr>Kluniazenser</corr></choice> vermittelt, burgundische Einflüsse. Aus<lb/> alledem entstand ein Amalgam, das dem Kirchenbau in der langen<lb/> Regierungszeit Friedrichs II. ein immerhin eigentümliches Ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0122]
Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
letzten anderthalb Jahrzehnte haben diesen Abschnitt der Kunst-
geschichte wieder wesentlich gefördert, hauptsächlich durch die
Forschung italienischer und französischer Gelehrter, unter denen
das kürzlich erschienene Buch von Bertaux »L'art dans L'Italie
méridionale, 1903,« durch Umfang und Gediegenheit den ersten
Platz einnimmt. Hauptsächlich auf dies Buch stützt sich die
folgende Skizze, bei der sich zeigen wird, daß die Kunstdenkmäler
manche Züge im Leben jener Zeit, ja selbst im persönlichen Cha-
rakter Friedrichs II. deutlicher hervortreten lassen als die un-
mittelbaren Geschichtsquellen.
In erster Linie hat die Baukunst Anspruch auf unsere Auf-
merksamkeit. Wir finden in ihr nebeneinander die folgenden drei
Strömungen: ein Weiterleben der heimischen Traditionen des
romanischen Stils; die Erstlinge der gotischen Architektur; An-
sätze zur Renaissance der Antike. Es ist nur noch nötig, daran
zu erinnern, um welche Zeit es sich handelt — um das Ende des
12. und die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts —, um sogleich
erkennen zu lassen, daß wir eine sehr merkwürdige Kon-
stellation vor uns haben, wie sie kein anderer Teil Europas
damals darbot.
Die erste Gruppe berühre ich nur flüchtig. So fruchtbar
und glänzend sie äußerlich erscheint — ich nenne als Beispiel
die Kathedralen von Bari, Trani, Troja, Ruvo, Bitonto, Mol-
fetta, Altamura, die teils ganz, teils wenigstens als Umbau in
unsere Epoche gehören —, so erkennt man in ihr doch einen
schwachen Punkt, der das plötzliche Versiegen der Produktion
nach der Mitte des 13. Jahrhunderts im voraus erklärt. Diese
Kunstgruppe verdient den Namen einer heimischen nur in bedingtem
Sinne. Die Baukunst Unteritaliens entbehrte von jeher einer
bodenwüchsigen, ausdauernden Tradition. Über der altchristlich-
lateinischen Grundlage hatte sich eine starke byzantinische Schicht
abgelagert; hinzukamen aus dem Süden arabische und norman-
nische, aus dem Norden toskanische und lombardische, endlich,
durch die Kluniazenser vermittelt, burgundische Einflüsse. Aus
alledem entstand ein Amalgam, das dem Kirchenbau in der langen
Regierungszeit Friedrichs II. ein immerhin eigentümliches Ge-
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