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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
löste sich nun alsbald durch zwei in meiner Erinnerung auf-
tauchende Statuen vom Hauptportal der Kathedrale von Reims,
gleichfalls Maria und Elisabeth darstellend. Diese sind es, die
dem Bamberger Meister vorgeschwebt haben, während sie selbst
direkt nach der Antike kopiert sind. Die beistehenden Abbildungen
entheben mich der Beweispflicht im einzelnen.

Die um 1240 begonnene Fassade von Reims wurde zu Ende
des Jahrhunderts wieder abgebrochen, weil man eine Verlängerung
der Schiffe um zwei Joche nötig fand. Doch kamen, wie sich er-
kennen läßt, die alten Materialien, namentlich der Statuenschmuck,
beim Neubau teilweise zur Wiederverwendung. Das ist der Grund
der sich bunt durchkreuzenden Stildifferenzen der Portalfiguren.
Allen aber, sowohl denen des 13. als denen des 14. Jahrhunderts,
stehen die beiden für uns in Frage kommenden Frauengestalten
als Fremdlinge gegenüber. Es ist einigermaßen begreiflich, daß
Lübke (Gesch. d. Plastik II3, S. 458) sie für Arbeiten der Re-
naissance halten konnte. Die wahre Zeit ihres Ursprungs, die
Mitte des 13. Jahrhunderts, wird indes durch ihr Verhältnis zu
den Bambergern, wenn es dessen noch bedurfte, vollkommen
sichergestellt.

Ich habe in einem früheren Bande des Jahrbuchs der Kgl.
Preuß. Kunstsammlungen (Bd. VII, S. 129 ff.) die Renaissance-
bewegung in der französischen Baukunst besprochen, die nicht
lange vor 1100 in der Provence anhob, sich nach Burgund fort-
setzte und gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts auch Nord-
frankreich ergriff. Merkwürdigerweise sind es gerade Gebäude,
die in der Begründung des gotischen Konstruktionssystems eine
führende Rolle spielen, an denen das Bestreben bemerklich wird,
in den Zierformen die Antike nachzuahmen (die Überreste von
Sugers Bau in Saint-Denis, St. Laumer in Blois, Chor und Fassade
von St. Remy in Reims, einiges im Chor der Notre-Dame in
Paris usw.). Die konsequente Entfaltung des gotischen Ge-
dankens gebot freilich dieser Richtung Einhalt. Weniger wirkte
der Rückschlag auf die Plastik. Im 13. Jahrhundert weht
etwas wie Renaissanceluft nicht bloß in Italien, sondern auch
jenseits der Alpen, -- das freier gewordene Verhältnis zur Natur

Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
löste sich nun alsbald durch zwei in meiner Erinnerung auf-
tauchende Statuen vom Hauptportal der Kathedrale von Reims,
gleichfalls Maria und Elisabeth darstellend. Diese sind es, die
dem Bamberger Meister vorgeschwebt haben, während sie selbst
direkt nach der Antike kopiert sind. Die beistehenden Abbildungen
entheben mich der Beweispflicht im einzelnen.

Die um 1240 begonnene Fassade von Reims wurde zu Ende
des Jahrhunderts wieder abgebrochen, weil man eine Verlängerung
der Schiffe um zwei Joche nötig fand. Doch kamen, wie sich er-
kennen läßt, die alten Materialien, namentlich der Statuenschmuck,
beim Neubau teilweise zur Wiederverwendung. Das ist der Grund
der sich bunt durchkreuzenden Stildifferenzen der Portalfiguren.
Allen aber, sowohl denen des 13. als denen des 14. Jahrhunderts,
stehen die beiden für uns in Frage kommenden Frauengestalten
als Fremdlinge gegenüber. Es ist einigermaßen begreiflich, daß
Lübke (Gesch. d. Plastik II3, S. 458) sie für Arbeiten der Re-
naissance halten konnte. Die wahre Zeit ihres Ursprungs, die
Mitte des 13. Jahrhunderts, wird indes durch ihr Verhältnis zu
den Bambergern, wenn es dessen noch bedurfte, vollkommen
sichergestellt.

Ich habe in einem früheren Bande des Jahrbuchs der Kgl.
Preuß. Kunstsammlungen (Bd. VII, S. 129 ff.) die Renaissance-
bewegung in der französischen Baukunst besprochen, die nicht
lange vor 1100 in der Provence anhob, sich nach Burgund fort-
setzte und gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts auch Nord-
frankreich ergriff. Merkwürdigerweise sind es gerade Gebäude,
die in der Begründung des gotischen Konstruktionssystems eine
führende Rolle spielen, an denen das Bestreben bemerklich wird,
in den Zierformen die Antike nachzuahmen (die Überreste von
Sugers Bau in Saint-Denis, St. Laumer in Blois, Chor und Fassade
von St. Remy in Reims, einiges im Chor der Notre-Dame in
Paris usw.). Die konsequente Entfaltung des gotischen Ge-
dankens gebot freilich dieser Richtung Einhalt. Weniger wirkte
der Rückschlag auf die Plastik. Im 13. Jahrhundert weht
etwas wie Renaissanceluft nicht bloß in Italien, sondern auch
jenseits der Alpen, — das freier gewordene Verhältnis zur Natur

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[94/0108] Zu den Skulpturen des Bamberger Domes löste sich nun alsbald durch zwei in meiner Erinnerung auf- tauchende Statuen vom Hauptportal der Kathedrale von Reims, gleichfalls Maria und Elisabeth darstellend. Diese sind es, die dem Bamberger Meister vorgeschwebt haben, während sie selbst direkt nach der Antike kopiert sind. Die beistehenden Abbildungen entheben mich der Beweispflicht im einzelnen. Die um 1240 begonnene Fassade von Reims wurde zu Ende des Jahrhunderts wieder abgebrochen, weil man eine Verlängerung der Schiffe um zwei Joche nötig fand. Doch kamen, wie sich er- kennen läßt, die alten Materialien, namentlich der Statuenschmuck, beim Neubau teilweise zur Wiederverwendung. Das ist der Grund der sich bunt durchkreuzenden Stildifferenzen der Portalfiguren. Allen aber, sowohl denen des 13. als denen des 14. Jahrhunderts, stehen die beiden für uns in Frage kommenden Frauengestalten als Fremdlinge gegenüber. Es ist einigermaßen begreiflich, daß Lübke (Gesch. d. Plastik II3, S. 458) sie für Arbeiten der Re- naissance halten konnte. Die wahre Zeit ihres Ursprungs, die Mitte des 13. Jahrhunderts, wird indes durch ihr Verhältnis zu den Bambergern, wenn es dessen noch bedurfte, vollkommen sichergestellt. Ich habe in einem früheren Bande des Jahrbuchs der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen (Bd. VII, S. 129 ff.) die Renaissance- bewegung in der französischen Baukunst besprochen, die nicht lange vor 1100 in der Provence anhob, sich nach Burgund fort- setzte und gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts auch Nord- frankreich ergriff. Merkwürdigerweise sind es gerade Gebäude, die in der Begründung des gotischen Konstruktionssystems eine führende Rolle spielen, an denen das Bestreben bemerklich wird, in den Zierformen die Antike nachzuahmen (die Überreste von Sugers Bau in Saint-Denis, St. Laumer in Blois, Chor und Fassade von St. Remy in Reims, einiges im Chor der Notre-Dame in Paris usw.). Die konsequente Entfaltung des gotischen Ge- dankens gebot freilich dieser Richtung Einhalt. Weniger wirkte der Rückschlag auf die Plastik. Im 13. Jahrhundert weht etwas wie Renaissanceluft nicht bloß in Italien, sondern auch jenseits der Alpen, — das freier gewordene Verhältnis zur Natur

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/108>, abgerufen am 24.11.2024.