ungeschickten Redner zurück. Noch bedenklicher steht es mit der Schrift, welche uns die ewige Wahrheit deuten soll. Sie ist ein äußeres Zeichen, als Symbol des Unausdenk- baren und Ewigen tausend verschiedenen Auslegungen un- terworfen, die Jeder nach dem Stande seiner Bildung, seines Eigensinnes, seiner vorgefaßten Meinung macht, und in diese subjektive Auffassung seine eigenen Ansichten und Meinungen hineinlegt, so daß zehn Menschen über die nämliche Bibelstelle verschiedene Verständnisse und Miß- verständnisse hegen können ohne Mißbrauch ihrer Freiheit, ohne vorsätzliche Bosheit. So ist sie nur zu oft ein Spie- gel, in dem jeder Mensch nur sich selbst, seine eigenen Züge, sein eigenes Wesen erblickt. Diese Erfahrungen, seit Jahrhunderten durch unzählige Thatsachen der Geschichte gemacht und bestätigt, haben in der katholischen Kirche von jeher zur universellen Auffassung der Offenbarung und Vermittlung derselben mit dem ganzen Umfange un- seres irdischen Lebens geführt und dadurch das Wort Got- tes auf der breitesten Grundlage entwickeln helfen. Da nämlich das Wort so gut als die Schrift nicht die Wahr- heit selbst, sondern nur Sinnbilder sind, um die Lehre des Heilandes dem Menschengeiste zu vermitteln und nahe zu legen, da ferner Wort und Schrift nach dem Bildungs- stande gewöhnlicher, oft roher Menschen, nicht einmal die populärsten Mittel sind, um das sinnliche Element mit ewigen Ideen zu durchdringen, und nothwendig zum rech- ten Verständnisse einen gewissen, leider oft nicht vorhan- denen Bildungsgrad erfordern, so nahm die katholische Kirche keinen Anstand, nicht bloß diese Mittel allein, son- dern alle tauglichen Wege in Anwendung zu bringen, wo- durch die Seele zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit ge- bracht werden kann. Die Malerei, die Bildhauerkunst, die Schnitzkunst, die Bildnerei durch Guß und Formbil-
5*
ungeſchickten Redner zurück. Noch bedenklicher ſteht es mit der Schrift, welche uns die ewige Wahrheit deuten ſoll. Sie iſt ein äußeres Zeichen, als Symbol des Unausdenk- baren und Ewigen tauſend verſchiedenen Auslegungen un- terworfen, die Jeder nach dem Stande ſeiner Bildung, ſeines Eigenſinnes, ſeiner vorgefaßten Meinung macht, und in dieſe ſubjektive Auffaſſung ſeine eigenen Anſichten und Meinungen hineinlegt, ſo daß zehn Menſchen über die nämliche Bibelſtelle verſchiedene Verſtändniſſe und Miß- verſtändniſſe hegen können ohne Mißbrauch ihrer Freiheit, ohne vorſätzliche Bosheit. So iſt ſie nur zu oft ein Spie- gel, in dem jeder Menſch nur ſich ſelbſt, ſeine eigenen Züge, ſein eigenes Weſen erblickt. Dieſe Erfahrungen, ſeit Jahrhunderten durch unzählige Thatſachen der Geſchichte gemacht und beſtätigt, haben in der katholiſchen Kirche von jeher zur univerſellen Auffaſſung der Offenbarung und Vermittlung derſelben mit dem ganzen Umfange un- ſeres irdiſchen Lebens geführt und dadurch das Wort Got- tes auf der breiteſten Grundlage entwickeln helfen. Da nämlich das Wort ſo gut als die Schrift nicht die Wahr- heit ſelbſt, ſondern nur Sinnbilder ſind, um die Lehre des Heilandes dem Menſchengeiſte zu vermitteln und nahe zu legen, da ferner Wort und Schrift nach dem Bildungs- ſtande gewöhnlicher, oft roher Menſchen, nicht einmal die populärſten Mittel ſind, um das ſinnliche Element mit ewigen Ideen zu durchdringen, und nothwendig zum rech- ten Verſtändniſſe einen gewiſſen, leider oft nicht vorhan- denen Bildungsgrad erfordern, ſo nahm die katholiſche Kirche keinen Anſtand, nicht bloß dieſe Mittel allein, ſon- dern alle tauglichen Wege in Anwendung zu bringen, wo- durch die Seele zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit ge- bracht werden kann. Die Malerei, die Bildhauerkunſt, die Schnitzkunſt, die Bildnerei durch Guß und Formbil-
5*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0089"n="67"/>
ungeſchickten Redner zurück. Noch bedenklicher ſteht es mit<lb/>
der Schrift, welche uns die ewige Wahrheit deuten ſoll.<lb/>
Sie iſt ein äußeres Zeichen, als Symbol des Unausdenk-<lb/>
baren und Ewigen tauſend verſchiedenen Auslegungen un-<lb/>
terworfen, die Jeder nach dem Stande ſeiner Bildung,<lb/>ſeines Eigenſinnes, ſeiner vorgefaßten Meinung macht,<lb/>
und in dieſe ſubjektive Auffaſſung ſeine eigenen Anſichten<lb/>
und Meinungen hineinlegt, ſo daß zehn Menſchen über<lb/>
die nämliche Bibelſtelle verſchiedene Verſtändniſſe und Miß-<lb/>
verſtändniſſe hegen können ohne Mißbrauch ihrer Freiheit,<lb/>
ohne vorſätzliche Bosheit. So iſt ſie nur zu oft ein Spie-<lb/>
gel, in dem jeder Menſch nur ſich ſelbſt, ſeine eigenen<lb/>
Züge, ſein eigenes Weſen erblickt. Dieſe Erfahrungen,<lb/>ſeit Jahrhunderten durch unzählige Thatſachen der Geſchichte<lb/>
gemacht und beſtätigt, haben in der katholiſchen Kirche<lb/>
von jeher zur univerſellen Auffaſſung der Offenbarung<lb/>
und Vermittlung derſelben mit dem ganzen Umfange un-<lb/>ſeres irdiſchen Lebens geführt und dadurch das Wort Got-<lb/>
tes auf der breiteſten Grundlage entwickeln helfen. Da<lb/>
nämlich das Wort ſo gut als die Schrift nicht die Wahr-<lb/>
heit ſelbſt, ſondern nur Sinnbilder ſind, um die Lehre<lb/>
des Heilandes dem Menſchengeiſte zu vermitteln und nahe<lb/>
zu legen, da ferner Wort und Schrift nach dem Bildungs-<lb/>ſtande gewöhnlicher, oft roher Menſchen, nicht einmal die<lb/>
populärſten Mittel ſind, um das ſinnliche Element mit<lb/>
ewigen Ideen zu durchdringen, und nothwendig zum rech-<lb/>
ten Verſtändniſſe einen gewiſſen, leider oft nicht vorhan-<lb/>
denen Bildungsgrad erfordern, ſo nahm die katholiſche<lb/>
Kirche keinen Anſtand, nicht bloß dieſe Mittel allein, ſon-<lb/>
dern alle tauglichen Wege in Anwendung zu bringen, wo-<lb/>
durch die Seele zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit ge-<lb/>
bracht werden kann. Die Malerei, die Bildhauerkunſt,<lb/>
die Schnitzkunſt, die Bildnerei durch Guß und Formbil-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">5*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[67/0089]
ungeſchickten Redner zurück. Noch bedenklicher ſteht es mit
der Schrift, welche uns die ewige Wahrheit deuten ſoll.
Sie iſt ein äußeres Zeichen, als Symbol des Unausdenk-
baren und Ewigen tauſend verſchiedenen Auslegungen un-
terworfen, die Jeder nach dem Stande ſeiner Bildung,
ſeines Eigenſinnes, ſeiner vorgefaßten Meinung macht,
und in dieſe ſubjektive Auffaſſung ſeine eigenen Anſichten
und Meinungen hineinlegt, ſo daß zehn Menſchen über
die nämliche Bibelſtelle verſchiedene Verſtändniſſe und Miß-
verſtändniſſe hegen können ohne Mißbrauch ihrer Freiheit,
ohne vorſätzliche Bosheit. So iſt ſie nur zu oft ein Spie-
gel, in dem jeder Menſch nur ſich ſelbſt, ſeine eigenen
Züge, ſein eigenes Weſen erblickt. Dieſe Erfahrungen,
ſeit Jahrhunderten durch unzählige Thatſachen der Geſchichte
gemacht und beſtätigt, haben in der katholiſchen Kirche
von jeher zur univerſellen Auffaſſung der Offenbarung
und Vermittlung derſelben mit dem ganzen Umfange un-
ſeres irdiſchen Lebens geführt und dadurch das Wort Got-
tes auf der breiteſten Grundlage entwickeln helfen. Da
nämlich das Wort ſo gut als die Schrift nicht die Wahr-
heit ſelbſt, ſondern nur Sinnbilder ſind, um die Lehre
des Heilandes dem Menſchengeiſte zu vermitteln und nahe
zu legen, da ferner Wort und Schrift nach dem Bildungs-
ſtande gewöhnlicher, oft roher Menſchen, nicht einmal die
populärſten Mittel ſind, um das ſinnliche Element mit
ewigen Ideen zu durchdringen, und nothwendig zum rech-
ten Verſtändniſſe einen gewiſſen, leider oft nicht vorhan-
denen Bildungsgrad erfordern, ſo nahm die katholiſche
Kirche keinen Anſtand, nicht bloß dieſe Mittel allein, ſon-
dern alle tauglichen Wege in Anwendung zu bringen, wo-
durch die Seele zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit ge-
bracht werden kann. Die Malerei, die Bildhauerkunſt,
die Schnitzkunſt, die Bildnerei durch Guß und Formbil-
5*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/89>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.