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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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welches der hier als moralischer Heiland thätige Held über-
wältiget. Es sind die zahlreichen, immer neu hervorwach-
senden Köpfe der Hydra, auf welche der Kampf gerichtet
ist; dabei kneipt den Kämpfenden ein Krebs in den Fuß.
Wie nahe liegt es hier, ein alttestamentliches Bild zu ver-
gleichen! "Ich will Feindschaft setzen zwischen deinem und
ihrem Samen; derselbe wird dir nach dem Kopfe trachten,
und du wirst ihm nach der Ferse trachten." 1. Mos. 3, 15.

Die lernäische Schlange hat ihren Namen von dem
lernäischen Pfuhle, wo sie gehaust haben soll. Lerna ist ein
sehr schwankendes, unbestimmtes Wort, womit man eine
gewisse Gegend im Peloponnes bei Argos und mehrere
Gegenstände daselbst benannte, die zum Theil auch wieder
ihren eigenen Namen hatten. *) Es ist eine mythisch und
mystisch sehr ausgezeichnete Oertlichkeit, an die sich alte
Mysterien knüpften und wo verschiedene Weihen und Got-
tesdienste bis in die spätesten Zeiten des Heidenthums ge-
schahen. Man hat sich namentlich eine Wassergegend, ein
Marschland, Moor zu denken, das speciell Alkyonia
hieß und das für grundlos und für einen der Eingänge
in die Unterwelt galt. Man sagte im Sprüchwort: "eine
Lerna von Uebeln", und Hesychius bemerkt: "wegen
der Sündigkeiten, katharmata, die hineingeworfen wer-
den", womit Pausanias zu vergleichen, welcher angibt,
daß jährlich in einer Nacht Etwas in den See geworfen
werde, worüber er sich nicht näher auslassen dürfe. Man
sagte, der See ziehe, wiewohl ganz still, diejenigen, die
sich hineinwagen, in die Tiefe hinab und reiße sie in den
Abgrund. Durch ihn stieg Dionysos nach der Sage der

*) Vergl. Buttmann's Abhandlung darüber im "Mythologus" II,
S. 93 ff. See und Morast, Hain und bewohnter Ort, Strom und
Quelle, das Alles hieß Lerna.

welches der hier als moraliſcher Heiland thätige Held über-
wältiget. Es ſind die zahlreichen, immer neu hervorwach-
ſenden Köpfe der Hydra, auf welche der Kampf gerichtet
iſt; dabei kneipt den Kämpfenden ein Krebs in den Fuß.
Wie nahe liegt es hier, ein altteſtamentliches Bild zu ver-
gleichen! „Ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen deinem und
ihrem Samen; derſelbe wird dir nach dem Kopfe trachten,
und du wirſt ihm nach der Ferſe trachten.“ 1. Moſ. 3, 15.

Die lernäiſche Schlange hat ihren Namen von dem
lernäiſchen Pfuhle, wo ſie gehauſt haben ſoll. Lerna iſt ein
ſehr ſchwankendes, unbeſtimmtes Wort, womit man eine
gewiſſe Gegend im Peloponnes bei Argos und mehrere
Gegenſtände daſelbſt benannte, die zum Theil auch wieder
ihren eigenen Namen hatten. *) Es iſt eine mythiſch und
myſtiſch ſehr ausgezeichnete Oertlichkeit, an die ſich alte
Myſterien knüpften und wo verſchiedene Weihen und Got-
tesdienſte bis in die ſpäteſten Zeiten des Heidenthums ge-
ſchahen. Man hat ſich namentlich eine Waſſergegend, ein
Marſchland, Moor zu denken, das ſpeciell Alkyonia
hieß und das für grundlos und für einen der Eingänge
in die Unterwelt galt. Man ſagte im Sprüchwort: „eine
Lerna von Uebeln“, und Heſychius bemerkt: „wegen
der Sündigkeiten, καϑαρματα, die hineingeworfen wer-
den“, womit Pauſanias zu vergleichen, welcher angibt,
daß jährlich in einer Nacht Etwas in den See geworfen
werde, worüber er ſich nicht näher auslaſſen dürfe. Man
ſagte, der See ziehe, wiewohl ganz ſtill, diejenigen, die
ſich hineinwagen, in die Tiefe hinab und reiße ſie in den
Abgrund. Durch ihn ſtieg Dionyſos nach der Sage der

*) Vergl. Buttmann’s Abhandlung darüber im „Mythologus“ II,
S. 93 ff. See und Moraſt, Hain und bewohnter Ort, Strom und
Quelle, das Alles hieß Lerna.
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[32/0054] welches der hier als moraliſcher Heiland thätige Held über- wältiget. Es ſind die zahlreichen, immer neu hervorwach- ſenden Köpfe der Hydra, auf welche der Kampf gerichtet iſt; dabei kneipt den Kämpfenden ein Krebs in den Fuß. Wie nahe liegt es hier, ein altteſtamentliches Bild zu ver- gleichen! „Ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen deinem und ihrem Samen; derſelbe wird dir nach dem Kopfe trachten, und du wirſt ihm nach der Ferſe trachten.“ 1. Moſ. 3, 15. Die lernäiſche Schlange hat ihren Namen von dem lernäiſchen Pfuhle, wo ſie gehauſt haben ſoll. Lerna iſt ein ſehr ſchwankendes, unbeſtimmtes Wort, womit man eine gewiſſe Gegend im Peloponnes bei Argos und mehrere Gegenſtände daſelbſt benannte, die zum Theil auch wieder ihren eigenen Namen hatten. *) Es iſt eine mythiſch und myſtiſch ſehr ausgezeichnete Oertlichkeit, an die ſich alte Myſterien knüpften und wo verſchiedene Weihen und Got- tesdienſte bis in die ſpäteſten Zeiten des Heidenthums ge- ſchahen. Man hat ſich namentlich eine Waſſergegend, ein Marſchland, Moor zu denken, das ſpeciell Alkyonia hieß und das für grundlos und für einen der Eingänge in die Unterwelt galt. Man ſagte im Sprüchwort: „eine Lerna von Uebeln“, und Heſychius bemerkt: „wegen der Sündigkeiten, καϑαρματα, die hineingeworfen wer- den“, womit Pauſanias zu vergleichen, welcher angibt, daß jährlich in einer Nacht Etwas in den See geworfen werde, worüber er ſich nicht näher auslaſſen dürfe. Man ſagte, der See ziehe, wiewohl ganz ſtill, diejenigen, die ſich hineinwagen, in die Tiefe hinab und reiße ſie in den Abgrund. Durch ihn ſtieg Dionyſos nach der Sage der *) Vergl. Buttmann’s Abhandlung darüber im „Mythologus“ II, S. 93 ff. See und Moraſt, Hain und bewohnter Ort, Strom und Quelle, das Alles hieß Lerna.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/54>, abgerufen am 24.11.2024.