für jeden denkenden Menschen dar; denn unzählige Ge- bräuche unserer Religion sind uns historisch aus jener über- kommen. Der Cultus der Griechen und Römer enthält, wie ihre ganze Bildung, mehr ächt und ursprünglich Menschliches, als irgend ein anderer volksthümlicher Gottesdienst. Das Christenthum wollte von Anfang an als Weltkirche nicht bloß die Juden, sondern alle Völker umfassen; von den Juden verworfen, wandte es sich vorzugsweise zu den Hei- den und wählte zu seinem Centrum Rom. Es nahm darum auch keinen Anstand, sich alles ächt Mensch- liche aller Völker zu assimiliren, was es um so leich- ter durfte, als die Schrift ausdrücklich behauptet, daß der mit seiner Lehre identische Stifter des Christenthums so alt, ja älter als die Welt, sei, und, vorhergesehen im Plane der göttlichen Providenz, aller menschlichen Entwicklung von der Welt her zu Grunde liege. Und in der That, wenn der Logos seit Grundlegung der Welt der Vermittler zwischen Gott und Welt und der Mensch nach seinem Bilde geschaffen ist, so ist alles rein Mensch- liche, als solches, auch christlich, und die Kirche hat, indem sie sich dasselbe angeeignet, nur ihr Eigenthum, nur die unter die Völker vertheilte, ihr gehörige Wahrheit an sich gezogen." Aus solchen Aussprüchen mögen die mit so großen Vorurtheilen gegen den Katholicismus erfüllten Protestanten erkennen, was in ihm vorgeht, und in wie mächtigem Vorschreiten derselbe begriffen ist. Auch Prof. Sepp zu München ist in diese Reihe von Autoren zu stellen. Derselbe hat ein Werk geschrieben unter dem Titel: "Das Heidenthum und dessen Bedeutung für das Christen- thum," Regensburg 1853, und mit dem Motto von De Maistre: "Wer wird uns die Mythologie von der Seite erklären, daß in ihr alle christlichen Wahrheiten
für jeden denkenden Menſchen dar; denn unzählige Ge- bräuche unſerer Religion ſind uns hiſtoriſch aus jener über- kommen. Der Cultus der Griechen und Römer enthält, wie ihre ganze Bildung, mehr ächt und urſprünglich Menſchliches, als irgend ein anderer volksthümlicher Gottesdienſt. Das Chriſtenthum wollte von Anfang an als Weltkirche nicht bloß die Juden, ſondern alle Völker umfaſſen; von den Juden verworfen, wandte es ſich vorzugsweiſe zu den Hei- den und wählte zu ſeinem Centrum Rom. Es nahm darum auch keinen Anſtand, ſich alles ächt Menſch- liche aller Völker zu aſſimiliren, was es um ſo leich- ter durfte, als die Schrift ausdrücklich behauptet, daß der mit ſeiner Lehre identiſche Stifter des Chriſtenthums ſo alt, ja älter als die Welt, ſei, und, vorhergeſehen im Plane der göttlichen Providenz, aller menſchlichen Entwicklung von der Welt her zu Grunde liege. Und in der That, wenn der Logos ſeit Grundlegung der Welt der Vermittler zwiſchen Gott und Welt und der Menſch nach ſeinem Bilde geſchaffen iſt, ſo iſt alles rein Menſch- liche, als ſolches, auch chriſtlich, und die Kirche hat, indem ſie ſich daſſelbe angeeignet, nur ihr Eigenthum, nur die unter die Völker vertheilte, ihr gehörige Wahrheit an ſich gezogen.“ Aus ſolchen Ausſprüchen mögen die mit ſo großen Vorurtheilen gegen den Katholicismus erfüllten Proteſtanten erkennen, was in ihm vorgeht, und in wie mächtigem Vorſchreiten derſelbe begriffen iſt. Auch Prof. Sepp zu München iſt in dieſe Reihe von Autoren zu ſtellen. Derſelbe hat ein Werk geſchrieben unter dem Titel: „Das Heidenthum und deſſen Bedeutung für das Chriſten- thum,“ Regensburg 1853, und mit dem Motto von De Maiſtre: „Wer wird uns die Mythologie von der Seite erklären, daß in ihr alle chriſtlichen Wahrheiten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0136"n="114"/>
für jeden denkenden Menſchen dar; denn unzählige Ge-<lb/>
bräuche unſerer Religion ſind uns hiſtoriſch aus jener über-<lb/>
kommen. <hirendition="#g">Der Cultus der Griechen und Römer<lb/>
enthält, wie ihre ganze Bildung, mehr ächt<lb/>
und urſprünglich Menſchliches, als irgend ein<lb/>
anderer volksthümlicher Gottesdienſt</hi>. Das<lb/>
Chriſtenthum wollte von Anfang an als Weltkirche nicht<lb/>
bloß die Juden, ſondern alle Völker umfaſſen; von den<lb/>
Juden verworfen, wandte es ſich vorzugsweiſe zu den Hei-<lb/>
den und wählte zu ſeinem Centrum <hirendition="#g">Rom</hi>. Es nahm<lb/>
darum auch keinen Anſtand, ſich <hirendition="#g">alles ächt Menſch-<lb/>
liche aller Völker</hi> zu aſſimiliren, was es um ſo leich-<lb/>
ter durfte, als die Schrift ausdrücklich behauptet, daß der<lb/>
mit ſeiner Lehre identiſche Stifter des Chriſtenthums ſo<lb/>
alt, ja älter als die Welt, ſei, und, vorhergeſehen im Plane<lb/>
der göttlichen Providenz, aller menſchlichen Entwicklung<lb/>
von der Welt her zu Grunde liege. Und in der That,<lb/>
wenn der Logos ſeit Grundlegung der Welt der Vermittler<lb/>
zwiſchen Gott und Welt und der Menſch nach ſeinem<lb/>
Bilde geſchaffen iſt, <hirendition="#g">ſo iſt alles rein Menſch-<lb/>
liche, als ſolches, auch chriſtlich</hi>, und die Kirche<lb/>
hat, indem ſie ſich daſſelbe angeeignet, nur ihr Eigenthum,<lb/>
nur die unter die Völker vertheilte, ihr gehörige Wahrheit an<lb/>ſich gezogen.“ Aus ſolchen Ausſprüchen mögen die mit ſo<lb/>
großen Vorurtheilen gegen den Katholicismus erfüllten<lb/>
Proteſtanten erkennen, was in ihm vorgeht, und in wie<lb/>
mächtigem Vorſchreiten derſelbe begriffen iſt. Auch Prof.<lb/><hirendition="#g">Sepp</hi> zu München iſt in dieſe Reihe von Autoren zu<lb/>ſtellen. Derſelbe hat ein Werk geſchrieben unter dem Titel:<lb/>„Das Heidenthum und deſſen Bedeutung für das Chriſten-<lb/>
thum,“ Regensburg 1853, und mit dem Motto von <hirendition="#g">De<lb/>
Maiſtre</hi>: „Wer wird uns die Mythologie von <hirendition="#g">der</hi><lb/>
Seite erklären, daß in ihr alle chriſtlichen Wahrheiten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[114/0136]
für jeden denkenden Menſchen dar; denn unzählige Ge-
bräuche unſerer Religion ſind uns hiſtoriſch aus jener über-
kommen. Der Cultus der Griechen und Römer
enthält, wie ihre ganze Bildung, mehr ächt
und urſprünglich Menſchliches, als irgend ein
anderer volksthümlicher Gottesdienſt. Das
Chriſtenthum wollte von Anfang an als Weltkirche nicht
bloß die Juden, ſondern alle Völker umfaſſen; von den
Juden verworfen, wandte es ſich vorzugsweiſe zu den Hei-
den und wählte zu ſeinem Centrum Rom. Es nahm
darum auch keinen Anſtand, ſich alles ächt Menſch-
liche aller Völker zu aſſimiliren, was es um ſo leich-
ter durfte, als die Schrift ausdrücklich behauptet, daß der
mit ſeiner Lehre identiſche Stifter des Chriſtenthums ſo
alt, ja älter als die Welt, ſei, und, vorhergeſehen im Plane
der göttlichen Providenz, aller menſchlichen Entwicklung
von der Welt her zu Grunde liege. Und in der That,
wenn der Logos ſeit Grundlegung der Welt der Vermittler
zwiſchen Gott und Welt und der Menſch nach ſeinem
Bilde geſchaffen iſt, ſo iſt alles rein Menſch-
liche, als ſolches, auch chriſtlich, und die Kirche
hat, indem ſie ſich daſſelbe angeeignet, nur ihr Eigenthum,
nur die unter die Völker vertheilte, ihr gehörige Wahrheit an
ſich gezogen.“ Aus ſolchen Ausſprüchen mögen die mit ſo
großen Vorurtheilen gegen den Katholicismus erfüllten
Proteſtanten erkennen, was in ihm vorgeht, und in wie
mächtigem Vorſchreiten derſelbe begriffen iſt. Auch Prof.
Sepp zu München iſt in dieſe Reihe von Autoren zu
ſtellen. Derſelbe hat ein Werk geſchrieben unter dem Titel:
„Das Heidenthum und deſſen Bedeutung für das Chriſten-
thum,“ Regensburg 1853, und mit dem Motto von De
Maiſtre: „Wer wird uns die Mythologie von der
Seite erklären, daß in ihr alle chriſtlichen Wahrheiten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/136>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.