Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 2. Einbiegung der äuszern Drüsen.
in ihren Zellen hervorbringen, diese dazu reizen, einen motorischen
Impuls durch die ganze Länge der Stiele, die aus ungefähr 20 Zellen
bestehen, bis nah an die Basis zu schicken, wo sie diesen Theil zu
biegen und den Tentakel durch einen Winkel von 180° zu schwingen
veranlassen. Dasz der Inhalt der Drüsenzellen und später auch der
der Stiele in einer deutlich sichtbaren Weise durch den Druck der
kleinsten Theilchen afficirt wird, dafür werden wir vollauf Beweise
erhalten, wenn wir die Zusammenballung des Protoplasma behandeln.
Aber der Fall ist viel merkwürdiger, als wie bis jetzt angegeben ist,
denn die Theilchen werden von der zähen und dichten Absonderung
getragen; trotzdem wirken auch selbst noch kleinere als die von wel-
chen die Masze angegeben wurden, wenn sie mit einer unmerkbar
langsamen Bewegung auf die oben angeführte Weise mit der Ober-
fläche der Drüse in Berührung gebracht werden, auf dieselbe und der
Tentakel biegt sich. Der Druck, der von einem Haartheilchen aus-
geht, welches nur Gran wiegt und von einer dichten Flüssig-
keit getragen wird, musz unfaszbar gering gewesen sein. Wir können
muthmaszen, dasz er kaum einem Milliontel eines Grans gleich gewe-
sen sein kann, und wir werden später sehen, dasz weit weniger als
ein Milliontel eines Grans von phosphorsaurem Ammoniak in Auf-
lösung, wenn es von einer Drüse aufgesaugt wird, auf dieselbe wirkt
und Bewegung verursacht. Ein Stückchen Haar Zoll lang und
daher viel gröszer als diejenigen, die in den oben erwähnten Experi-
menten gebraucht wurden, wurde nicht gefühlt als es auf meiner
Zunge lag, und es ist auszerordentlich zweifelhaft, ob irgend welcher
Nerv in dem menschlichen Körper, selbst wenn derselbe in einem ent-
zündeten Zustand ist, in irgend einer Weise durch solch ein Theil-
chen afficirt werden würde, welches von einer dichten Flüssigkeit ge-
tragen und langsam mit dem Nerv in Berührung gebracht würde.
Jedoch werden die Zellen der Drüsen der Drosera auf diese Weise
dazu gereizt, einen motorischen Impuls nach einem entfernten Punkt
hinzusenden und dort Bewegung zu veranlassen. Es scheint mir, als
ob kaum eine noch merkwürdigere Thatsache in dem Pflanzenreiche
beobachtet worden wäre.

Die Einbiegung der äuszeren Tentakeln, wenn ihre Drüsen durch wiederholtes
Berühren gereizt werden.

Wir haben schon gesehen, dasz wenn die centralen Drüsen durch
sanftes Pinseln gereizt werden, sie einen motorischen Impuls zu den

Cap. 2. Einbiegung der äuszern Drüsen.
in ihren Zellen hervorbringen, diese dazu reizen, einen motorischen
Impuls durch die ganze Länge der Stiele, die aus ungefähr 20 Zellen
bestehen, bis nah an die Basis zu schicken, wo sie diesen Theil zu
biegen und den Tentakel durch einen Winkel von 180° zu schwingen
veranlassen. Dasz der Inhalt der Drüsenzellen und später auch der
der Stiele in einer deutlich sichtbaren Weise durch den Druck der
kleinsten Theilchen afficirt wird, dafür werden wir vollauf Beweise
erhalten, wenn wir die Zusammenballung des Protoplasma behandeln.
Aber der Fall ist viel merkwürdiger, als wie bis jetzt angegeben ist,
denn die Theilchen werden von der zähen und dichten Absonderung
getragen; trotzdem wirken auch selbst noch kleinere als die von wel-
chen die Masze angegeben wurden, wenn sie mit einer unmerkbar
langsamen Bewegung auf die oben angeführte Weise mit der Ober-
fläche der Drüse in Berührung gebracht werden, auf dieselbe und der
Tentakel biegt sich. Der Druck, der von einem Haartheilchen aus-
geht, welches nur Gran wiegt und von einer dichten Flüssig-
keit getragen wird, musz unfaszbar gering gewesen sein. Wir können
muthmaszen, dasz er kaum einem Milliontel eines Grans gleich gewe-
sen sein kann, und wir werden später sehen, dasz weit weniger als
ein Milliontel eines Grans von phosphorsaurem Ammoniak in Auf-
lösung, wenn es von einer Drüse aufgesaugt wird, auf dieselbe wirkt
und Bewegung verursacht. Ein Stückchen Haar Zoll lang und
daher viel gröszer als diejenigen, die in den oben erwähnten Experi-
menten gebraucht wurden, wurde nicht gefühlt als es auf meiner
Zunge lag, und es ist auszerordentlich zweifelhaft, ob irgend welcher
Nerv in dem menschlichen Körper, selbst wenn derselbe in einem ent-
zündeten Zustand ist, in irgend einer Weise durch solch ein Theil-
chen afficirt werden würde, welches von einer dichten Flüssigkeit ge-
tragen und langsam mit dem Nerv in Berührung gebracht würde.
Jedoch werden die Zellen der Drüsen der Drosera auf diese Weise
dazu gereizt, einen motorischen Impuls nach einem entfernten Punkt
hinzusenden und dort Bewegung zu veranlassen. Es scheint mir, als
ob kaum eine noch merkwürdigere Thatsache in dem Pflanzenreiche
beobachtet worden wäre.

Die Einbiegung der äuszeren Tentakeln, wenn ihre Drüsen durch wiederholtes
Berühren gereizt werden.

Wir haben schon gesehen, dasz wenn die centralen Drüsen durch
sanftes Pinseln gereizt werden, sie einen motorischen Impuls zu den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="29"/><fw place="top" type="header">Cap. 2. Einbiegung der äuszern Drüsen.</fw><lb/>
in ihren Zellen hervorbringen, diese dazu reizen, einen motorischen<lb/>
Impuls durch die ganze Länge der Stiele, die aus ungefähr 20 Zellen<lb/>
bestehen, bis nah an die Basis zu schicken, wo sie diesen Theil zu<lb/>
biegen und den Tentakel durch einen Winkel von 180° zu schwingen<lb/>
veranlassen. Dasz der Inhalt der Drüsenzellen und später auch der<lb/>
der Stiele in einer deutlich sichtbaren Weise durch den Druck der<lb/>
kleinsten Theilchen afficirt wird, dafür werden wir vollauf Beweise<lb/>
erhalten, wenn wir die Zusammenballung des Protoplasma behandeln.<lb/>
Aber der Fall ist viel merkwürdiger, als wie bis jetzt angegeben ist,<lb/>
denn die Theilchen werden von der zähen und dichten Absonderung<lb/>
getragen; trotzdem wirken auch selbst noch kleinere als die von wel-<lb/>
chen die Masze angegeben wurden, wenn sie mit einer unmerkbar<lb/>
langsamen Bewegung auf die oben angeführte Weise mit der Ober-<lb/>
fläche der Drüse in Berührung gebracht werden, auf dieselbe und der<lb/>
Tentakel biegt sich. Der Druck, der von einem Haartheilchen aus-<lb/>
geht, welches nur <formula notation="TeX">\frac {1}{78740}</formula> Gran wiegt und von einer dichten Flüssig-<lb/>
keit getragen wird, musz unfaszbar gering gewesen sein. Wir können<lb/>
muthmaszen, dasz er kaum einem Milliontel eines Grans gleich gewe-<lb/>
sen sein kann, und wir werden später sehen, dasz weit weniger als<lb/>
ein Milliontel eines Grans von phosphorsaurem Ammoniak in Auf-<lb/>
lösung, wenn es von einer Drüse aufgesaugt wird, auf dieselbe wirkt<lb/>
und Bewegung verursacht. Ein Stückchen Haar <formula notation="TeX">\frac {1}{50}</formula> Zoll lang und<lb/>
daher viel gröszer als diejenigen, die in den oben erwähnten Experi-<lb/>
menten gebraucht wurden, wurde nicht gefühlt als es auf meiner<lb/>
Zunge lag, und es ist auszerordentlich zweifelhaft, ob irgend welcher<lb/>
Nerv in dem menschlichen Körper, selbst wenn derselbe in einem ent-<lb/>
zündeten Zustand ist, in irgend einer Weise durch solch ein Theil-<lb/>
chen afficirt werden würde, welches von einer dichten Flüssigkeit ge-<lb/>
tragen und langsam mit dem Nerv in Berührung gebracht würde.<lb/>
Jedoch werden die Zellen der Drüsen der <hi rendition="#i">Drosera</hi> auf diese Weise<lb/>
dazu gereizt, einen motorischen Impuls nach einem entfernten Punkt<lb/>
hinzusenden und dort Bewegung zu veranlassen. Es scheint mir, als<lb/>
ob kaum eine noch merkwürdigere Thatsache in dem Pflanzenreiche<lb/>
beobachtet worden wäre.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Einbiegung der äuszeren Tentakeln, wenn ihre Drüsen durch wiederholtes<lb/>
Berühren gereizt werden.</hi> </head><lb/>
          <p>Wir haben schon gesehen, dasz wenn die centralen Drüsen durch<lb/>
sanftes Pinseln gereizt werden, sie einen motorischen Impuls zu den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0043] Cap. 2. Einbiegung der äuszern Drüsen. in ihren Zellen hervorbringen, diese dazu reizen, einen motorischen Impuls durch die ganze Länge der Stiele, die aus ungefähr 20 Zellen bestehen, bis nah an die Basis zu schicken, wo sie diesen Theil zu biegen und den Tentakel durch einen Winkel von 180° zu schwingen veranlassen. Dasz der Inhalt der Drüsenzellen und später auch der der Stiele in einer deutlich sichtbaren Weise durch den Druck der kleinsten Theilchen afficirt wird, dafür werden wir vollauf Beweise erhalten, wenn wir die Zusammenballung des Protoplasma behandeln. Aber der Fall ist viel merkwürdiger, als wie bis jetzt angegeben ist, denn die Theilchen werden von der zähen und dichten Absonderung getragen; trotzdem wirken auch selbst noch kleinere als die von wel- chen die Masze angegeben wurden, wenn sie mit einer unmerkbar langsamen Bewegung auf die oben angeführte Weise mit der Ober- fläche der Drüse in Berührung gebracht werden, auf dieselbe und der Tentakel biegt sich. Der Druck, der von einem Haartheilchen aus- geht, welches nur [FORMEL] Gran wiegt und von einer dichten Flüssig- keit getragen wird, musz unfaszbar gering gewesen sein. Wir können muthmaszen, dasz er kaum einem Milliontel eines Grans gleich gewe- sen sein kann, und wir werden später sehen, dasz weit weniger als ein Milliontel eines Grans von phosphorsaurem Ammoniak in Auf- lösung, wenn es von einer Drüse aufgesaugt wird, auf dieselbe wirkt und Bewegung verursacht. Ein Stückchen Haar [FORMEL] Zoll lang und daher viel gröszer als diejenigen, die in den oben erwähnten Experi- menten gebraucht wurden, wurde nicht gefühlt als es auf meiner Zunge lag, und es ist auszerordentlich zweifelhaft, ob irgend welcher Nerv in dem menschlichen Körper, selbst wenn derselbe in einem ent- zündeten Zustand ist, in irgend einer Weise durch solch ein Theil- chen afficirt werden würde, welches von einer dichten Flüssigkeit ge- tragen und langsam mit dem Nerv in Berührung gebracht würde. Jedoch werden die Zellen der Drüsen der Drosera auf diese Weise dazu gereizt, einen motorischen Impuls nach einem entfernten Punkt hinzusenden und dort Bewegung zu veranlassen. Es scheint mir, als ob kaum eine noch merkwürdigere Thatsache in dem Pflanzenreiche beobachtet worden wäre. Die Einbiegung der äuszeren Tentakeln, wenn ihre Drüsen durch wiederholtes Berühren gereizt werden. Wir haben schon gesehen, dasz wenn die centralen Drüsen durch sanftes Pinseln gereizt werden, sie einen motorischen Impuls zu den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/43
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/43>, abgerufen am 27.11.2024.