Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.Pinguicula vulgaris. Cap. 16. tretende Einwärtskrümmung musz noch auf eine andere und wahr-scheinlich bedeutungsvollere Weise von Nutzen sein. Wir haben ge- sehen, dasz, wenn grosze Stückchen Fleisches oder in Fleischsaft ein- geweichten Schwammes auf ein Blatt gelegt wurden, der Rand nicht im Stande war, sie zu umfassen, dasz er sie aber während des Actes seiner Einwärtskrümmung langsam nach der Mitte des Blattes hin- schob, in einer Entfernung von der äuszeren Seite her von völlig 0,1 Zoll (2,54 Mm.), d. h. also quer über einen Raum, der zwischen einem Drittel und einem Viertel des Abstandes vom Rande bis zur Mittelrippe betrug. Ein jeglicher Gegenstand, so z. B. ein mäszig groszes Insect, würde auf diese Weise langsam in Berührung mit einer bei weitem gröszeren Anzahl von Drüsen kommen und eine viel bedeutendere Absonderung und Aufsaugung veranlassen, als es sonst der Fall gewesen sein würde. Dasz dies für die Pflanze von groszem Vortheil sein wird, dies können wir aus der Thatsache schlieszen, dasz Drosera ein bedeutend entwickeltes Bewegungsvermögen ledig- lich zu dem Zwecke erlangt hat, ihre sämmtlichen Drüsen mit den gefangenen Insecten in Berührung zu bringen. Wenn ferner ein Blatt der Dionaea ein Insect gefangen hat, so dient das langsame An- einanderpressen der beiden Lappen lediglich dazu, die Drüsen beider Seiten mit jenem in Berührung zu bringen, womit gleichfalls bewirkt wird, dasz das mit animaler Substanz durchdrungene Secret durch Capillaranziehung über die ganze Oberfläche ausgebreitet wird. Was die Pinguicula betrifft, so würde, sobald ein Insect eine kleine Strecke weit nach der Mittelrippe zu geschoben worden ist, sofortige Wieder- ausbreitung von Vortheil sein, da die Ränder keine frische Beute fangen können, bis sie wieder ausgebreitet sind. Der durch diese schiebende Bewegung ebenso wie der durch den Umstand erlangte Vortheil, dasz die randständigen Drüsen eine kurze Zeit lang mit der Oberfläche kleiner gefangener Insecten in Berührung gebracht werden, dürfte vielleicht die eigenthümlichen Bewegungen der Blätter er- klären; im anderen Falle müszten wir diese Bewegungen als einen Überrest eines höher entwickelten Bewegungsvermögens ansehen, wel- ches die Urerzeuger der Gattung besessen hatten. Bei den vier englischen Species und, wie ich von Prof. Dyer Pinguicula vulgaris. Cap. 16. tretende Einwärtskrümmung musz noch auf eine andere und wahr-scheinlich bedeutungsvollere Weise von Nutzen sein. Wir haben ge- sehen, dasz, wenn grosze Stückchen Fleisches oder in Fleischsaft ein- geweichten Schwammes auf ein Blatt gelegt wurden, der Rand nicht im Stande war, sie zu umfassen, dasz er sie aber während des Actes seiner Einwärtskrümmung langsam nach der Mitte des Blattes hin- schob, in einer Entfernung von der äuszeren Seite her von völlig 0,1 Zoll (2,54 Mm.), d. h. also quer über einen Raum, der zwischen einem Drittel und einem Viertel des Abstandes vom Rande bis zur Mittelrippe betrug. Ein jeglicher Gegenstand, so z. B. ein mäszig groszes Insect, würde auf diese Weise langsam in Berührung mit einer bei weitem gröszeren Anzahl von Drüsen kommen und eine viel bedeutendere Absonderung und Aufsaugung veranlassen, als es sonst der Fall gewesen sein würde. Dasz dies für die Pflanze von groszem Vortheil sein wird, dies können wir aus der Thatsache schlieszen, dasz Drosera ein bedeutend entwickeltes Bewegungsvermögen ledig- lich zu dem Zwecke erlangt hat, ihre sämmtlichen Drüsen mit den gefangenen Insecten in Berührung zu bringen. Wenn ferner ein Blatt der Dionaea ein Insect gefangen hat, so dient das langsame An- einanderpressen der beiden Lappen lediglich dazu, die Drüsen beider Seiten mit jenem in Berührung zu bringen, womit gleichfalls bewirkt wird, dasz das mit animaler Substanz durchdrungene Secret durch Capillaranziehung über die ganze Oberfläche ausgebreitet wird. Was die Pinguicula betrifft, so würde, sobald ein Insect eine kleine Strecke weit nach der Mittelrippe zu geschoben worden ist, sofortige Wieder- ausbreitung von Vortheil sein, da die Ränder keine frische Beute fangen können, bis sie wieder ausgebreitet sind. Der durch diese schiebende Bewegung ebenso wie der durch den Umstand erlangte Vortheil, dasz die randständigen Drüsen eine kurze Zeit lang mit der Oberfläche kleiner gefangener Insecten in Berührung gebracht werden, dürfte vielleicht die eigenthümlichen Bewegungen der Blätter er- klären; im anderen Falle müszten wir diese Bewegungen als einen Überrest eines höher entwickelten Bewegungsvermögens ansehen, wel- ches die Urerzeuger der Gattung besessen hatten. Bei den vier englischen Species und, wie ich von Prof. Dyer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0356" n="342"/><fw place="top" type="header">Pinguicula vulgaris. Cap. 16.</fw><lb/> tretende Einwärtskrümmung musz noch auf eine andere und wahr-<lb/> scheinlich bedeutungsvollere Weise von Nutzen sein. Wir haben ge-<lb/> sehen, dasz, wenn grosze Stückchen Fleisches oder in Fleischsaft ein-<lb/> geweichten Schwammes auf ein Blatt gelegt wurden, der Rand nicht<lb/> im Stande war, sie zu umfassen, dasz er sie aber während des Actes<lb/> seiner Einwärtskrümmung langsam nach der Mitte des Blattes hin-<lb/> schob, in einer Entfernung von der äuszeren Seite her von völlig<lb/> 0,1 Zoll (2,54 Mm.), d. h. also quer über einen Raum, der zwischen<lb/> einem Drittel und einem Viertel des Abstandes vom Rande bis zur<lb/> Mittelrippe betrug. Ein jeglicher Gegenstand, so z. B. ein mäszig<lb/> groszes Insect, würde auf diese Weise langsam in Berührung mit<lb/> einer bei weitem gröszeren Anzahl von Drüsen kommen und eine viel<lb/> bedeutendere Absonderung und Aufsaugung veranlassen, als es sonst<lb/> der Fall gewesen sein würde. Dasz dies für die Pflanze von groszem<lb/> Vortheil sein wird, dies können wir aus der Thatsache schlieszen,<lb/> dasz <hi rendition="#i">Drosera</hi> ein bedeutend entwickeltes Bewegungsvermögen ledig-<lb/> lich zu dem Zwecke erlangt hat, ihre sämmtlichen Drüsen mit den<lb/> gefangenen Insecten in Berührung zu bringen. Wenn ferner ein Blatt<lb/> der <hi rendition="#i">Dionaea</hi> ein Insect gefangen hat, so dient das langsame An-<lb/> einanderpressen der beiden Lappen lediglich dazu, die Drüsen beider<lb/> Seiten mit jenem in Berührung zu bringen, womit gleichfalls bewirkt<lb/> wird, dasz das mit animaler Substanz durchdrungene Secret durch<lb/> Capillaranziehung über die ganze Oberfläche ausgebreitet wird. Was<lb/> die <hi rendition="#i">Pinguicula</hi> betrifft, so würde, sobald ein Insect eine kleine Strecke<lb/> weit nach der Mittelrippe zu geschoben worden ist, sofortige Wieder-<lb/> ausbreitung von Vortheil sein, da die Ränder keine frische Beute<lb/> fangen können, bis sie wieder ausgebreitet sind. Der durch diese<lb/> schiebende Bewegung ebenso wie der durch den Umstand erlangte<lb/> Vortheil, dasz die randständigen Drüsen eine kurze Zeit lang mit der<lb/> Oberfläche kleiner gefangener Insecten in Berührung gebracht werden,<lb/> dürfte vielleicht die eigenthümlichen Bewegungen der Blätter er-<lb/> klären; im anderen Falle müszten wir diese Bewegungen als einen<lb/> Überrest eines höher entwickelten Bewegungsvermögens ansehen, wel-<lb/> ches die Urerzeuger der Gattung besessen hatten.</p><lb/> <p>Bei den vier englischen Species und, wie ich von Prof. <hi rendition="#k">Dyer</hi><lb/> höre, bei den meisten übrigen oder sämmtlichen Arten der Gattung<lb/> sind die Kanten der Blätter in einem gewissen Grade naturgemäsz<lb/> und beständig nach innen gekrümmt. Diese Einwärtskrümmung dient,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [342/0356]
Pinguicula vulgaris. Cap. 16.
tretende Einwärtskrümmung musz noch auf eine andere und wahr-
scheinlich bedeutungsvollere Weise von Nutzen sein. Wir haben ge-
sehen, dasz, wenn grosze Stückchen Fleisches oder in Fleischsaft ein-
geweichten Schwammes auf ein Blatt gelegt wurden, der Rand nicht
im Stande war, sie zu umfassen, dasz er sie aber während des Actes
seiner Einwärtskrümmung langsam nach der Mitte des Blattes hin-
schob, in einer Entfernung von der äuszeren Seite her von völlig
0,1 Zoll (2,54 Mm.), d. h. also quer über einen Raum, der zwischen
einem Drittel und einem Viertel des Abstandes vom Rande bis zur
Mittelrippe betrug. Ein jeglicher Gegenstand, so z. B. ein mäszig
groszes Insect, würde auf diese Weise langsam in Berührung mit
einer bei weitem gröszeren Anzahl von Drüsen kommen und eine viel
bedeutendere Absonderung und Aufsaugung veranlassen, als es sonst
der Fall gewesen sein würde. Dasz dies für die Pflanze von groszem
Vortheil sein wird, dies können wir aus der Thatsache schlieszen,
dasz Drosera ein bedeutend entwickeltes Bewegungsvermögen ledig-
lich zu dem Zwecke erlangt hat, ihre sämmtlichen Drüsen mit den
gefangenen Insecten in Berührung zu bringen. Wenn ferner ein Blatt
der Dionaea ein Insect gefangen hat, so dient das langsame An-
einanderpressen der beiden Lappen lediglich dazu, die Drüsen beider
Seiten mit jenem in Berührung zu bringen, womit gleichfalls bewirkt
wird, dasz das mit animaler Substanz durchdrungene Secret durch
Capillaranziehung über die ganze Oberfläche ausgebreitet wird. Was
die Pinguicula betrifft, so würde, sobald ein Insect eine kleine Strecke
weit nach der Mittelrippe zu geschoben worden ist, sofortige Wieder-
ausbreitung von Vortheil sein, da die Ränder keine frische Beute
fangen können, bis sie wieder ausgebreitet sind. Der durch diese
schiebende Bewegung ebenso wie der durch den Umstand erlangte
Vortheil, dasz die randständigen Drüsen eine kurze Zeit lang mit der
Oberfläche kleiner gefangener Insecten in Berührung gebracht werden,
dürfte vielleicht die eigenthümlichen Bewegungen der Blätter er-
klären; im anderen Falle müszten wir diese Bewegungen als einen
Überrest eines höher entwickelten Bewegungsvermögens ansehen, wel-
ches die Urerzeuger der Gattung besessen hatten.
Bei den vier englischen Species und, wie ich von Prof. Dyer
höre, bei den meisten übrigen oder sämmtlichen Arten der Gattung
sind die Kanten der Blätter in einem gewissen Grade naturgemäsz
und beständig nach innen gekrümmt. Diese Einwärtskrümmung dient,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |