Es sind allein die Ränder des Blattes, welche sich biegen; denn die Blattspitze krümmt sich niemals nach der Basis zu. Die Stiele der drüsigen Haare haben kein Bewegungsvermögen. Ich beobachtete bei mehreren Gelegenheiten, dasz die Oberfläche des Blattes da, wo Stück- chen Fleisch oder grosze Fliegen lange gelegen hatten, unbedeutend concav wurde; dies kann aber Folge einer durch Überreizung herbei- geführten Verletzung gewesen sein.
Die kürzeste Zeit, in welcher deutlich ausgesprochene Bewegung beobachtet wurde, war 2 Stunden 17 Minuten; und dies trat ein, wenn stickstoffhaltige Substanzen oder Flüssigkeiten auf die Blätter gebracht wurden; ich glaube aber, dasz in einigen Fällen eine Spur von Bewegung schon in 1 Stunde oder 1 Stunde 30 Minuten da war. Der Druck von Glassplitterchen erregt Bewegung beinahe ebenso schnell wie die Absorption stickstoffhaltiger Substanz, aber der Grad der hier- durch verursachten Einwärtskrümmung ist geringer. Nachdem ein Blatt ordentlich einwärts gekrümmt gewesen war und sich wieder ausgebreitet hat, antwortet es nicht bald einem frischen Reize. Der Rand wurde in der Längenrichtung, aufwärts oder abwärts, in einer Entfernung von 0,13 Zoll (3,302 Mm.) von dem gereizten Punkte, aber in einer Entfernung von 0,46 Zoll zwischen zwei gereizten Stellen, und quer über das Blatt bis zu 0,2 Zoll (5,08 Mm.) afficirt. Der motorische Impuls wird nicht, was bei Drosera der Fall ist, von irgend einer, eine vermehrte Absonderung verursachenden Einwirkung begleitet; denn wenn eine einzeln Drüse stark gereizt wurde und reichlich absonderte, so wurden die umgebenden Drüsen nicht im mindesten afficirt. Die Einwärtskrümmung des Randes ist von einer vermehrten Absonderung unabhängig; denn Glassplitterchen verursachen nur geringe oder gar keine Absonderung und regen doch Bewegung an, während eine starke Lösung von kohlensaurem Ammoniak schnell reichliche Absonderung, aber keine Bewegung erregt.
Eine der merkwürdigsten Thatsachen in Bezug auf die Bewegung der Blätter ist die kurze Zeit, während welcher sie eingekrümmt blei- ben, wenn auch der reizende Gegenstand auf ihnen liegen gelassen wird. In der Mehrzahl der Fälle war eine gut ausgesprochene Wieder- ausbreitung innerhalb 24 Stunden von der Zeit an, wo selbst grosze Stückchen Fleisch u. s. w. auf die Blätter gelegt worden war, ein- getreten und in allen Fällen innerhalb 48 Stunden. In einem Falle blieb der Rand eines Blattes 32 Stunden lang dicht rund um dünne
Pinguicula vulgaris. Cap. 16.
Es sind allein die Ränder des Blattes, welche sich biegen; denn die Blattspitze krümmt sich niemals nach der Basis zu. Die Stiele der drüsigen Haare haben kein Bewegungsvermögen. Ich beobachtete bei mehreren Gelegenheiten, dasz die Oberfläche des Blattes da, wo Stück- chen Fleisch oder grosze Fliegen lange gelegen hatten, unbedeutend concav wurde; dies kann aber Folge einer durch Überreizung herbei- geführten Verletzung gewesen sein.
Die kürzeste Zeit, in welcher deutlich ausgesprochene Bewegung beobachtet wurde, war 2 Stunden 17 Minuten; und dies trat ein, wenn stickstoffhaltige Substanzen oder Flüssigkeiten auf die Blätter gebracht wurden; ich glaube aber, dasz in einigen Fällen eine Spur von Bewegung schon in 1 Stunde oder 1 Stunde 30 Minuten da war. Der Druck von Glassplitterchen erregt Bewegung beinahe ebenso schnell wie die Absorption stickstoffhaltiger Substanz, aber der Grad der hier- durch verursachten Einwärtskrümmung ist geringer. Nachdem ein Blatt ordentlich einwärts gekrümmt gewesen war und sich wieder ausgebreitet hat, antwortet es nicht bald einem frischen Reize. Der Rand wurde in der Längenrichtung, aufwärts oder abwärts, in einer Entfernung von 0,13 Zoll (3,302 Mm.) von dem gereizten Punkte, aber in einer Entfernung von 0,46 Zoll zwischen zwei gereizten Stellen, und quer über das Blatt bis zu 0,2 Zoll (5,08 Mm.) afficirt. Der motorische Impuls wird nicht, was bei Drosera der Fall ist, von irgend einer, eine vermehrte Absonderung verursachenden Einwirkung begleitet; denn wenn eine einzeln Drüse stark gereizt wurde und reichlich absonderte, so wurden die umgebenden Drüsen nicht im mindesten afficirt. Die Einwärtskrümmung des Randes ist von einer vermehrten Absonderung unabhängig; denn Glassplitterchen verursachen nur geringe oder gar keine Absonderung und regen doch Bewegung an, während eine starke Lösung von kohlensaurem Ammoniak schnell reichliche Absonderung, aber keine Bewegung erregt.
Eine der merkwürdigsten Thatsachen in Bezug auf die Bewegung der Blätter ist die kurze Zeit, während welcher sie eingekrümmt blei- ben, wenn auch der reizende Gegenstand auf ihnen liegen gelassen wird. In der Mehrzahl der Fälle war eine gut ausgesprochene Wieder- ausbreitung innerhalb 24 Stunden von der Zeit an, wo selbst grosze Stückchen Fleisch u. s. w. auf die Blätter gelegt worden war, ein- getreten und in allen Fällen innerhalb 48 Stunden. In einem Falle blieb der Rand eines Blattes 32 Stunden lang dicht rund um dünne
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0354"n="340"/><fwplace="top"type="header">Pinguicula vulgaris. Cap. 16.</fw><lb/>
Es sind allein die Ränder des Blattes, welche sich biegen; denn die<lb/>
Blattspitze krümmt sich niemals nach der Basis zu. Die Stiele der<lb/>
drüsigen Haare haben kein Bewegungsvermögen. Ich beobachtete bei<lb/>
mehreren Gelegenheiten, dasz die Oberfläche des Blattes da, wo Stück-<lb/>
chen Fleisch oder grosze Fliegen lange gelegen hatten, unbedeutend<lb/>
concav wurde; dies kann aber Folge einer durch Überreizung herbei-<lb/>
geführten Verletzung gewesen sein.</p><lb/><p>Die kürzeste Zeit, in welcher deutlich ausgesprochene Bewegung<lb/>
beobachtet wurde, war 2 Stunden 17 Minuten; und dies trat ein,<lb/>
wenn stickstoffhaltige Substanzen oder Flüssigkeiten auf die Blätter<lb/>
gebracht wurden; ich glaube aber, dasz in einigen Fällen eine Spur<lb/>
von Bewegung schon in 1 Stunde oder 1 Stunde 30 Minuten da war.<lb/>
Der Druck von Glassplitterchen erregt Bewegung beinahe ebenso schnell<lb/>
wie die Absorption stickstoffhaltiger Substanz, aber der Grad der hier-<lb/>
durch verursachten Einwärtskrümmung ist geringer. Nachdem ein<lb/>
Blatt ordentlich einwärts gekrümmt gewesen war und sich wieder<lb/>
ausgebreitet hat, antwortet es nicht bald einem frischen Reize. Der<lb/>
Rand wurde in der Längenrichtung, aufwärts oder abwärts, in einer<lb/>
Entfernung von 0,13 Zoll (3,302 Mm.) von dem gereizten Punkte, aber<lb/>
in einer Entfernung von 0,46 Zoll zwischen zwei gereizten Stellen,<lb/>
und quer über das Blatt bis zu 0,2 Zoll (5,08 Mm.) afficirt. Der<lb/>
motorische Impuls wird nicht, was bei <hirendition="#i">Drosera</hi> der Fall ist, von<lb/>
irgend einer, eine vermehrte Absonderung verursachenden Einwirkung<lb/>
begleitet; denn wenn eine einzeln Drüse stark gereizt wurde und<lb/>
reichlich absonderte, so wurden die umgebenden Drüsen nicht im<lb/>
mindesten afficirt. Die Einwärtskrümmung des Randes ist von einer<lb/>
vermehrten Absonderung unabhängig; denn Glassplitterchen verursachen<lb/>
nur geringe oder gar keine Absonderung und regen doch Bewegung<lb/>
an, während eine starke Lösung von kohlensaurem Ammoniak schnell<lb/>
reichliche Absonderung, aber keine Bewegung erregt.</p><lb/><p>Eine der merkwürdigsten Thatsachen in Bezug auf die Bewegung<lb/>
der Blätter ist die kurze Zeit, während welcher sie eingekrümmt blei-<lb/>
ben, wenn auch der reizende Gegenstand auf ihnen liegen gelassen<lb/>
wird. In der Mehrzahl der Fälle war eine gut ausgesprochene Wieder-<lb/>
ausbreitung innerhalb 24 Stunden von der Zeit an, wo selbst grosze<lb/>
Stückchen Fleisch u. s. w. auf die Blätter gelegt worden war, ein-<lb/>
getreten und in allen Fällen innerhalb 48 Stunden. In einem Falle<lb/>
blieb der Rand eines Blattes 32 Stunden lang dicht rund um dünne<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[340/0354]
Pinguicula vulgaris. Cap. 16.
Es sind allein die Ränder des Blattes, welche sich biegen; denn die
Blattspitze krümmt sich niemals nach der Basis zu. Die Stiele der
drüsigen Haare haben kein Bewegungsvermögen. Ich beobachtete bei
mehreren Gelegenheiten, dasz die Oberfläche des Blattes da, wo Stück-
chen Fleisch oder grosze Fliegen lange gelegen hatten, unbedeutend
concav wurde; dies kann aber Folge einer durch Überreizung herbei-
geführten Verletzung gewesen sein.
Die kürzeste Zeit, in welcher deutlich ausgesprochene Bewegung
beobachtet wurde, war 2 Stunden 17 Minuten; und dies trat ein,
wenn stickstoffhaltige Substanzen oder Flüssigkeiten auf die Blätter
gebracht wurden; ich glaube aber, dasz in einigen Fällen eine Spur
von Bewegung schon in 1 Stunde oder 1 Stunde 30 Minuten da war.
Der Druck von Glassplitterchen erregt Bewegung beinahe ebenso schnell
wie die Absorption stickstoffhaltiger Substanz, aber der Grad der hier-
durch verursachten Einwärtskrümmung ist geringer. Nachdem ein
Blatt ordentlich einwärts gekrümmt gewesen war und sich wieder
ausgebreitet hat, antwortet es nicht bald einem frischen Reize. Der
Rand wurde in der Längenrichtung, aufwärts oder abwärts, in einer
Entfernung von 0,13 Zoll (3,302 Mm.) von dem gereizten Punkte, aber
in einer Entfernung von 0,46 Zoll zwischen zwei gereizten Stellen,
und quer über das Blatt bis zu 0,2 Zoll (5,08 Mm.) afficirt. Der
motorische Impuls wird nicht, was bei Drosera der Fall ist, von
irgend einer, eine vermehrte Absonderung verursachenden Einwirkung
begleitet; denn wenn eine einzeln Drüse stark gereizt wurde und
reichlich absonderte, so wurden die umgebenden Drüsen nicht im
mindesten afficirt. Die Einwärtskrümmung des Randes ist von einer
vermehrten Absonderung unabhängig; denn Glassplitterchen verursachen
nur geringe oder gar keine Absonderung und regen doch Bewegung
an, während eine starke Lösung von kohlensaurem Ammoniak schnell
reichliche Absonderung, aber keine Bewegung erregt.
Eine der merkwürdigsten Thatsachen in Bezug auf die Bewegung
der Blätter ist die kurze Zeit, während welcher sie eingekrümmt blei-
ben, wenn auch der reizende Gegenstand auf ihnen liegen gelassen
wird. In der Mehrzahl der Fälle war eine gut ausgesprochene Wieder-
ausbreitung innerhalb 24 Stunden von der Zeit an, wo selbst grosze
Stückchen Fleisch u. s. w. auf die Blätter gelegt worden war, ein-
getreten und in allen Fällen innerhalb 48 Stunden. In einem Falle
blieb der Rand eines Blattes 32 Stunden lang dicht rund um dünne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/354>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.