berührt worden waren; und dies ist, wie ich vermuthe, Folge davon, dasz sie stark durch Exosmose afficirt worden sind, so dasz sie einige Zeit lang fortdauernd einen motorischen Impuls der oberen Fläche des Blattes zuleiten.
Die folgenden Thatsachen lassen mich glauben, dasz die ver- schiedenen Zellenschichten, welche die untere Fläche des Blattes bil- den, sich immer in einem Zustande der Spannung befinden, und dasz es eine Folge dieses mechanischen Zustandes ist -- wahrscheinlich noch dadurch unterstützt, dasz frische Flüssigkeit in die Zellen ge- zogen wird, -- dasz die Lappen sich zu trennen oder auszubreiten anfangen, so bald die Contraction der oberen Flächen sich vermindert. Ein Blatt wurde abgeschnitten und plötzlich senkrecht in kochendes Wasser geworfen; ich erwartete, dasz sich die Lappen schlieszen wür- den, aber statt dessen divergirten sie ein wenig. Ich nahm dann ein anderes schönes Blatt, dessen Lappen in einem Winkel von nahezu 80° zu einander standen; und als ich es wie das vorige eintauchte, erweiterte sich der Winkel plötzlich auf 90°. Ein drittes Blatt hatte sich kürzlich wieder ausgebreitet, nachdem es eine Fliege gefangen hatte, und war in Folge desen torpid, so dasz wiederholte Berührun- gen der Filamente nicht die geringste Bewegung bewirkten; als es in ähnlicher Weise in kochendes Wasser getaucht wurde, giengen die Lappen trotzdem ein wenig auseinander. Da diese Blätter senk- recht in das kochende Wasser gehalten wurden, müssen beide Ober- flächen und die Filamente gleichmäszig afficirt worden sein; und ich kann mir die Divergenz der Lappen nur dadurch verständlich machen, dasz ich annehme, die Zellen auf der unteren Seite hätten in Folge ihres Spannungszustandes mechanisch eingewirkt und somit die Lappen plötzlich ein wenig auseinander gezogen, sobald die Zellen auf der oberen Fläche getödtet wurden und ihr Contractionsvermögen verloren. Wir haben gesehen, dasz kochendes Wasser in gleicher Weise die Tentakeln der Drosera rückwärts biegen macht, und dies ist eine der Divergenz der Blattlappen bei Dionaea analoge Bewegung.
In einigen Schluszbemerkungen zum fünfzehnten Capitel über die Droseraceen werden die verschiedenen Arten von Irritabilität, welche die verschiedenen Gattungen besitzen, und die verschiedenen Arten, in welchen sie Insecten fangen, mit einander verglichen werden.
Darwin, Insectenfressende Pflanzen (VIII.) 19
Cap 13. Wiederausbreitung der Blätter.
berührt worden waren; und dies ist, wie ich vermuthe, Folge davon, dasz sie stark durch Exosmose afficirt worden sind, so dasz sie einige Zeit lang fortdauernd einen motorischen Impuls der oberen Fläche des Blattes zuleiten.
Die folgenden Thatsachen lassen mich glauben, dasz die ver- schiedenen Zellenschichten, welche die untere Fläche des Blattes bil- den, sich immer in einem Zustande der Spannung befinden, und dasz es eine Folge dieses mechanischen Zustandes ist — wahrscheinlich noch dadurch unterstützt, dasz frische Flüssigkeit in die Zellen ge- zogen wird, — dasz die Lappen sich zu trennen oder auszubreiten anfangen, so bald die Contraction der oberen Flächen sich vermindert. Ein Blatt wurde abgeschnitten und plötzlich senkrecht in kochendes Wasser geworfen; ich erwartete, dasz sich die Lappen schlieszen wür- den, aber statt dessen divergirten sie ein wenig. Ich nahm dann ein anderes schönes Blatt, dessen Lappen in einem Winkel von nahezu 80° zu einander standen; und als ich es wie das vorige eintauchte, erweiterte sich der Winkel plötzlich auf 90°. Ein drittes Blatt hatte sich kürzlich wieder ausgebreitet, nachdem es eine Fliege gefangen hatte, und war in Folge desen torpid, so dasz wiederholte Berührun- gen der Filamente nicht die geringste Bewegung bewirkten; als es in ähnlicher Weise in kochendes Wasser getaucht wurde, giengen die Lappen trotzdem ein wenig auseinander. Da diese Blätter senk- recht in das kochende Wasser gehalten wurden, müssen beide Ober- flächen und die Filamente gleichmäszig afficirt worden sein; und ich kann mir die Divergenz der Lappen nur dadurch verständlich machen, dasz ich annehme, die Zellen auf der unteren Seite hätten in Folge ihres Spannungszustandes mechanisch eingewirkt und somit die Lappen plötzlich ein wenig auseinander gezogen, sobald die Zellen auf der oberen Fläche getödtet wurden und ihr Contractionsvermögen verloren. Wir haben gesehen, dasz kochendes Wasser in gleicher Weise die Tentakeln der Drosera rückwärts biegen macht, und dies ist eine der Divergenz der Blattlappen bei Dionaea analoge Bewegung.
In einigen Schluszbemerkungen zum fünfzehnten Capitel über die Droseraceen werden die verschiedenen Arten von Irritabilität, welche die verschiedenen Gattungen besitzen, und die verschiedenen Arten, in welchen sie Insecten fangen, mit einander verglichen werden.
Darwin, Insectenfressende Pflanzen (VIII.) 19
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Cap 13. Wiederausbreitung der Blätter.
berührt worden waren; und dies ist, wie ich vermuthe, Folge davon,
dasz sie stark durch Exosmose afficirt worden sind, so dasz sie einige
Zeit lang fortdauernd einen motorischen Impuls der oberen Fläche
des Blattes zuleiten.
Die folgenden Thatsachen lassen mich glauben, dasz die ver-
schiedenen Zellenschichten, welche die untere Fläche des Blattes bil-
den, sich immer in einem Zustande der Spannung befinden, und dasz
es eine Folge dieses mechanischen Zustandes ist — wahrscheinlich
noch dadurch unterstützt, dasz frische Flüssigkeit in die Zellen ge-
zogen wird, — dasz die Lappen sich zu trennen oder auszubreiten
anfangen, so bald die Contraction der oberen Flächen sich vermindert.
Ein Blatt wurde abgeschnitten und plötzlich senkrecht in kochendes
Wasser geworfen; ich erwartete, dasz sich die Lappen schlieszen wür-
den, aber statt dessen divergirten sie ein wenig. Ich nahm dann ein
anderes schönes Blatt, dessen Lappen in einem Winkel von nahezu
80° zu einander standen; und als ich es wie das vorige eintauchte,
erweiterte sich der Winkel plötzlich auf 90°. Ein drittes Blatt hatte
sich kürzlich wieder ausgebreitet, nachdem es eine Fliege gefangen
hatte, und war in Folge desen torpid, so dasz wiederholte Berührun-
gen der Filamente nicht die geringste Bewegung bewirkten; als es
in ähnlicher Weise in kochendes Wasser getaucht wurde, giengen
die Lappen trotzdem ein wenig auseinander. Da diese Blätter senk-
recht in das kochende Wasser gehalten wurden, müssen beide Ober-
flächen und die Filamente gleichmäszig afficirt worden sein; und ich
kann mir die Divergenz der Lappen nur dadurch verständlich machen,
dasz ich annehme, die Zellen auf der unteren Seite hätten in Folge
ihres Spannungszustandes mechanisch eingewirkt und somit die Lappen
plötzlich ein wenig auseinander gezogen, sobald die Zellen auf der
oberen Fläche getödtet wurden und ihr Contractionsvermögen verloren.
Wir haben gesehen, dasz kochendes Wasser in gleicher Weise die
Tentakeln der Drosera rückwärts biegen macht, und dies ist eine
der Divergenz der Blattlappen bei Dionaea analoge Bewegung.
In einigen Schluszbemerkungen zum fünfzehnten Capitel über die
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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/303>, abgerufen am 27.11.2024.
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