Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 10. Übermittelung des motorischen Impulses.
einzubiegen veranlaszte; aber die Drüsen, welche mit dem Insect in
Berührung blieben, obschon sie mehrere Tage lang beständig einen
Impuls ihre eigenen Stiele hinab zu der biegenden Stelle hinsandten,
konnten doch nicht verhindern, dasz sich die Tentakeln auf der ent-
gegengesetzten Seite schnell wieder ausbreiteten, so dasz der moto-
rische Impuls zuerst kräftiger gewesen sein musz als später.

Wenn ein Gegenstand irgend welcher Art auf die Scheibe gelegt
wird, und die umgebenden Tentakeln werden eingebogen, so sondern
ihre Drüsen reichlicher ab und das Secret wird sauer, so dasz ihnen
ein gewisser Einflusz von den scheibenständigen Drüsen zugesandt
wird. Diese Veränderung in der Beschaffenheit und Menge des Secrets
kann nicht von der Beugung der Tentakeln abhängen, da die Drüsen
der kurzen centralen Tentakeln eine Säure absondern, wenn ein Gegen-
stand auf sie gelegt wird, obschon sie sich nicht selbst biegen. Ich
kam daher zu dem Schlusse, dasz die Drüsen der Scheibe einen ge-
wissen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf zu deren Drüsen
sendeten, und dasz diese einen motorischen Impuls rückwärts an ihre
basalen Theile reflectirten; diese Ansicht erwies sich jedoch bald als
irrig. Es wurde durch viele Versuche ermittelt, dasz Tentakeln, deren
Drüsen mit einer scharfen Scheere abgeschnitten worden waren, häufig
eingebogen werden und sich wieder ausbreiten, dabei noch immer
gesund erscheinend. Einer, welcher genau beobachtet wurde, blieb
augenscheinlich gesund, selbst zehn Tage lang nach der Operation. Ich
schnitt daher die Drüsen von zwanzig Tentakeln zu verschiedenen
Zeiten und an verschiedenen Blättern ab, und siebenzehn davon wur-
den bald eingebogen, und streckten sich später wieder aus. Die
Wiederausstreckung begann in ungefähr 8 oder 9 Stunden und war
in von 22 bis zu 30 Stunden von der Zeit der Einbiegung an ge-
rechnet vollendet. Nach einer Zwischenzeit von einem oder zwei
Tagen wurde rohes Fleisch und Speichel auf die Scheiben dieser
siebenzehn Blätter gelegt, und als sie am nächsten Tage beobachtet
wurden, waren sieben von den kopflosen Tentakeln so dicht über
dem Fleische eingebogen, wie die unverletzten Tentakeln an densel-
ben Blättern; und nach weiteren drei Tagen wurde noch ein achter
kopfloser Tentakel eingebogen. Das Fleisch wurde von einem der
Blätter entfernt, und die Oberfläche mit einem sanften Wasserstrom
gewaschen; nach drei Tagen streckte sich der kopflose Tentakel zum
zweiten male wieder aus. Diese Tentakeln ohne Drüsen waren

Cap. 10. Übermittelung des motorischen Impulses.
einzubiegen veranlaszte; aber die Drüsen, welche mit dem Insect in
Berührung blieben, obschon sie mehrere Tage lang beständig einen
Impuls ihre eigenen Stiele hinab zu der biegenden Stelle hinsandten,
konnten doch nicht verhindern, dasz sich die Tentakeln auf der ent-
gegengesetzten Seite schnell wieder ausbreiteten, so dasz der moto-
rische Impuls zuerst kräftiger gewesen sein musz als später.

Wenn ein Gegenstand irgend welcher Art auf die Scheibe gelegt
wird, und die umgebenden Tentakeln werden eingebogen, so sondern
ihre Drüsen reichlicher ab und das Secret wird sauer, so dasz ihnen
ein gewisser Einflusz von den scheibenständigen Drüsen zugesandt
wird. Diese Veränderung in der Beschaffenheit und Menge des Secrets
kann nicht von der Beugung der Tentakeln abhängen, da die Drüsen
der kurzen centralen Tentakeln eine Säure absondern, wenn ein Gegen-
stand auf sie gelegt wird, obschon sie sich nicht selbst biegen. Ich
kam daher zu dem Schlusse, dasz die Drüsen der Scheibe einen ge-
wissen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf zu deren Drüsen
sendeten, und dasz diese einen motorischen Impuls rückwärts an ihre
basalen Theile reflectirten; diese Ansicht erwies sich jedoch bald als
irrig. Es wurde durch viele Versuche ermittelt, dasz Tentakeln, deren
Drüsen mit einer scharfen Scheere abgeschnitten worden waren, häufig
eingebogen werden und sich wieder ausbreiten, dabei noch immer
gesund erscheinend. Einer, welcher genau beobachtet wurde, blieb
augenscheinlich gesund, selbst zehn Tage lang nach der Operation. Ich
schnitt daher die Drüsen von zwanzig Tentakeln zu verschiedenen
Zeiten und an verschiedenen Blättern ab, und siebenzehn davon wur-
den bald eingebogen, und streckten sich später wieder aus. Die
Wiederausstreckung begann in ungefähr 8 oder 9 Stunden und war
in von 22 bis zu 30 Stunden von der Zeit der Einbiegung an ge-
rechnet vollendet. Nach einer Zwischenzeit von einem oder zwei
Tagen wurde rohes Fleisch und Speichel auf die Scheiben dieser
siebenzehn Blätter gelegt, und als sie am nächsten Tage beobachtet
wurden, waren sieben von den kopflosen Tentakeln so dicht über
dem Fleische eingebogen, wie die unverletzten Tentakeln an densel-
ben Blättern; und nach weiteren drei Tagen wurde noch ein achter
kopfloser Tentakel eingebogen. Das Fleisch wurde von einem der
Blätter entfernt, und die Oberfläche mit einem sanften Wasserstrom
gewaschen; nach drei Tagen streckte sich der kopflose Tentakel zum
zweiten male wieder aus. Diese Tentakeln ohne Drüsen waren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="219"/><fw place="top" type="header">Cap. 10. Übermittelung des motorischen Impulses.</fw><lb/>
einzubiegen veranlaszte; aber die Drüsen, welche mit dem Insect in<lb/>
Berührung blieben, obschon sie mehrere Tage lang beständig einen<lb/>
Impuls ihre eigenen Stiele hinab zu der biegenden Stelle hinsandten,<lb/>
konnten doch nicht verhindern, dasz sich die Tentakeln auf der ent-<lb/>
gegengesetzten Seite schnell wieder ausbreiteten, so dasz der moto-<lb/>
rische Impuls zuerst kräftiger gewesen sein musz als später.</p><lb/>
        <p>Wenn ein Gegenstand irgend welcher Art auf die Scheibe gelegt<lb/>
wird, und die umgebenden Tentakeln werden eingebogen, so sondern<lb/>
ihre Drüsen reichlicher ab und das Secret wird sauer, so dasz ihnen<lb/>
ein gewisser Einflusz von den scheibenständigen Drüsen zugesandt<lb/>
wird. Diese Veränderung in der Beschaffenheit und Menge des Secrets<lb/>
kann nicht von der Beugung der Tentakeln abhängen, da die Drüsen<lb/>
der kurzen centralen Tentakeln eine Säure absondern, wenn ein Gegen-<lb/>
stand auf sie gelegt wird, obschon sie sich nicht selbst biegen. Ich<lb/>
kam daher zu dem Schlusse, dasz die Drüsen der Scheibe einen ge-<lb/>
wissen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf zu deren Drüsen<lb/>
sendeten, und dasz diese einen motorischen Impuls rückwärts an ihre<lb/>
basalen Theile reflectirten; diese Ansicht erwies sich jedoch bald als<lb/>
irrig. Es wurde durch viele Versuche ermittelt, dasz Tentakeln, deren<lb/>
Drüsen mit einer scharfen Scheere abgeschnitten worden waren, häufig<lb/>
eingebogen werden und sich wieder ausbreiten, dabei noch immer<lb/>
gesund erscheinend. Einer, welcher genau beobachtet wurde, blieb<lb/>
augenscheinlich gesund, selbst zehn Tage lang nach der Operation. Ich<lb/>
schnitt daher die Drüsen von zwanzig Tentakeln zu verschiedenen<lb/>
Zeiten und an verschiedenen Blättern ab, und siebenzehn davon wur-<lb/>
den bald eingebogen, und streckten sich später wieder aus. Die<lb/>
Wiederausstreckung begann in ungefähr 8 oder 9 Stunden und war<lb/>
in von 22 bis zu 30 Stunden von der Zeit der Einbiegung an ge-<lb/>
rechnet vollendet. Nach einer Zwischenzeit von einem oder zwei<lb/>
Tagen wurde rohes Fleisch und Speichel auf die Scheiben dieser<lb/>
siebenzehn Blätter gelegt, und als sie am nächsten Tage beobachtet<lb/>
wurden, waren sieben von den kopflosen Tentakeln so dicht über<lb/>
dem Fleische eingebogen, wie die unverletzten Tentakeln an densel-<lb/>
ben Blättern; und nach weiteren drei Tagen wurde noch ein achter<lb/>
kopfloser Tentakel eingebogen. Das Fleisch wurde von einem der<lb/>
Blätter entfernt, und die Oberfläche mit einem sanften Wasserstrom<lb/>
gewaschen; nach drei Tagen streckte sich der kopflose Tentakel zum<lb/><hi rendition="#g">zweiten</hi> male wieder aus. Diese Tentakeln ohne Drüsen waren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0233] Cap. 10. Übermittelung des motorischen Impulses. einzubiegen veranlaszte; aber die Drüsen, welche mit dem Insect in Berührung blieben, obschon sie mehrere Tage lang beständig einen Impuls ihre eigenen Stiele hinab zu der biegenden Stelle hinsandten, konnten doch nicht verhindern, dasz sich die Tentakeln auf der ent- gegengesetzten Seite schnell wieder ausbreiteten, so dasz der moto- rische Impuls zuerst kräftiger gewesen sein musz als später. Wenn ein Gegenstand irgend welcher Art auf die Scheibe gelegt wird, und die umgebenden Tentakeln werden eingebogen, so sondern ihre Drüsen reichlicher ab und das Secret wird sauer, so dasz ihnen ein gewisser Einflusz von den scheibenständigen Drüsen zugesandt wird. Diese Veränderung in der Beschaffenheit und Menge des Secrets kann nicht von der Beugung der Tentakeln abhängen, da die Drüsen der kurzen centralen Tentakeln eine Säure absondern, wenn ein Gegen- stand auf sie gelegt wird, obschon sie sich nicht selbst biegen. Ich kam daher zu dem Schlusse, dasz die Drüsen der Scheibe einen ge- wissen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf zu deren Drüsen sendeten, und dasz diese einen motorischen Impuls rückwärts an ihre basalen Theile reflectirten; diese Ansicht erwies sich jedoch bald als irrig. Es wurde durch viele Versuche ermittelt, dasz Tentakeln, deren Drüsen mit einer scharfen Scheere abgeschnitten worden waren, häufig eingebogen werden und sich wieder ausbreiten, dabei noch immer gesund erscheinend. Einer, welcher genau beobachtet wurde, blieb augenscheinlich gesund, selbst zehn Tage lang nach der Operation. Ich schnitt daher die Drüsen von zwanzig Tentakeln zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Blättern ab, und siebenzehn davon wur- den bald eingebogen, und streckten sich später wieder aus. Die Wiederausstreckung begann in ungefähr 8 oder 9 Stunden und war in von 22 bis zu 30 Stunden von der Zeit der Einbiegung an ge- rechnet vollendet. Nach einer Zwischenzeit von einem oder zwei Tagen wurde rohes Fleisch und Speichel auf die Scheiben dieser siebenzehn Blätter gelegt, und als sie am nächsten Tage beobachtet wurden, waren sieben von den kopflosen Tentakeln so dicht über dem Fleische eingebogen, wie die unverletzten Tentakeln an densel- ben Blättern; und nach weiteren drei Tagen wurde noch ein achter kopfloser Tentakel eingebogen. Das Fleisch wurde von einem der Blätter entfernt, und die Oberfläche mit einem sanften Wasserstrom gewaschen; nach drei Tagen streckte sich der kopflose Tentakel zum zweiten male wieder aus. Diese Tentakeln ohne Drüsen waren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/233
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/233>, abgerufen am 28.11.2024.