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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 10. Empfindlichkeit der Blätter.
unter eine Glasglocke gebracht, die Stiele in Wasser, und auf der
Rückseite Tropfen von Zuckerlösung, aber ohne irgend welches Fleisch.
Bei zweien dieser Blätter waren nach Verlauf eines Tages einige
wenige Tentakeln rückwärts gebogen. Die Tropfen hatten nun be-
trächtlich an Grösze zugenommen, da sie Feuchtigkeit eingesaugt
hatten, und zwar so, dasz sie die Rückseite der Tentakeln und Stiele
hinab tröpfelten. Am zweiten Tage war bei einem Blatte die Scheibe
bedeutend zurückgeschlagen: am dritten Tage waren die Tentakeln
von zweien, ebenso wie die Scheiben aller vier, in einem bedeutenderen
oder minderen Grade zurückgeschlagen. Die obere Seite des einen
Blattes bot nun, anstatt wie zuerst unbedeutend concav zu sein, eine
starke Convexität nach aufwärts dar. Selbst am fünften Tage schie-
nen die Blätter nicht todt zu sein. Da nun Zucker die Drosera
nicht im Mindesten reizt, so können wir das Zurückschlagen der
Scheiben und Tentakeln der obigen Blätter getrost der Exosmose aus
den Zellen, welche mit der Zuckerlösung in Berührung waren, und
der in Folge derselben eintretenden Contraction derselben zuschreiben.
Wenn Tropfen einer dicken Zuckerlösung auf die Blätter von Pflan-
zen gebracht werden, deren Wurzeln sich noch immer in feuchter
Erde befinden, so erfolgt keine Einbiegung; denn ohne Zweifel pumpen
die Wurzeln Wasser so geschwind hinauf, als es durch Exosmose ver-
loren wird. Wenn aber abgeschnittene Blätter in Syrup oder irgend
eine andere dichte Flüssigkeit eingetaucht werden, so werden die
Tentakeln bedeutend, wenn schon unregelmäszig, eingebogen, wobei
einige die Form von Korkziehern annehmen; auch werden die Blätter
bald welk. Wenn sie nun in eine Flüssigkeit von niedrigem specifi-
schem Gewicht eingetaucht werden, so strecken sich die Tentakeln
wieder aus. Aus diesen Thatsachen können wir schlieszen, dasz auf
die Rückseite von Blättern gebrachte Tropfen dichter Zuckerlösung
nicht dadurch wirken, dasz sie einen motorischen Impuls anregen,
welcher den Tentakeln übermittelt wird, sondern dadurch, dasz sie
durch Herbeiführung von Exosmose das Zurückschlagen verursachen.
Dr. Nitschke benutzte das Secret dazu, Insecten an die Rückseite
von Blättern zu kleben; und ich vermuthe, er brauchte eine grosze
Quantität, welche, da sie dicht war, Exosmose verursachte. Vielleicht
experimentirte er auch mit abgeschnittenen Blättern oder an Pflan-
zen, deren Wurzeln nicht genügend mit Wasser versehen wurden.

Soweit daher unsere gegenwärtige Kenntnis reicht, können wir

14 *

Cap. 10. Empfindlichkeit der Blätter.
unter eine Glasglocke gebracht, die Stiele in Wasser, und auf der
Rückseite Tropfen von Zuckerlösung, aber ohne irgend welches Fleisch.
Bei zweien dieser Blätter waren nach Verlauf eines Tages einige
wenige Tentakeln rückwärts gebogen. Die Tropfen hatten nun be-
trächtlich an Grösze zugenommen, da sie Feuchtigkeit eingesaugt
hatten, und zwar so, dasz sie die Rückseite der Tentakeln und Stiele
hinab tröpfelten. Am zweiten Tage war bei einem Blatte die Scheibe
bedeutend zurückgeschlagen: am dritten Tage waren die Tentakeln
von zweien, ebenso wie die Scheiben aller vier, in einem bedeutenderen
oder minderen Grade zurückgeschlagen. Die obere Seite des einen
Blattes bot nun, anstatt wie zuerst unbedeutend concav zu sein, eine
starke Convexität nach aufwärts dar. Selbst am fünften Tage schie-
nen die Blätter nicht todt zu sein. Da nun Zucker die Drosera
nicht im Mindesten reizt, so können wir das Zurückschlagen der
Scheiben und Tentakeln der obigen Blätter getrost der Exosmose aus
den Zellen, welche mit der Zuckerlösung in Berührung waren, und
der in Folge derselben eintretenden Contraction derselben zuschreiben.
Wenn Tropfen einer dicken Zuckerlösung auf die Blätter von Pflan-
zen gebracht werden, deren Wurzeln sich noch immer in feuchter
Erde befinden, so erfolgt keine Einbiegung; denn ohne Zweifel pumpen
die Wurzeln Wasser so geschwind hinauf, als es durch Exosmose ver-
loren wird. Wenn aber abgeschnittene Blätter in Syrup oder irgend
eine andere dichte Flüssigkeit eingetaucht werden, so werden die
Tentakeln bedeutend, wenn schon unregelmäszig, eingebogen, wobei
einige die Form von Korkziehern annehmen; auch werden die Blätter
bald welk. Wenn sie nun in eine Flüssigkeit von niedrigem specifi-
schem Gewicht eingetaucht werden, so strecken sich die Tentakeln
wieder aus. Aus diesen Thatsachen können wir schlieszen, dasz auf
die Rückseite von Blättern gebrachte Tropfen dichter Zuckerlösung
nicht dadurch wirken, dasz sie einen motorischen Impuls anregen,
welcher den Tentakeln übermittelt wird, sondern dadurch, dasz sie
durch Herbeiführung von Exosmose das Zurückschlagen verursachen.
Dr. Nitschke benutzte das Secret dazu, Insecten an die Rückseite
von Blättern zu kleben; und ich vermuthe, er brauchte eine grosze
Quantität, welche, da sie dicht war, Exosmose verursachte. Vielleicht
experimentirte er auch mit abgeschnittenen Blättern oder an Pflan-
zen, deren Wurzeln nicht genügend mit Wasser versehen wurden.

Soweit daher unsere gegenwärtige Kenntnis reicht, können wir

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[211/0225] Cap. 10. Empfindlichkeit der Blätter. unter eine Glasglocke gebracht, die Stiele in Wasser, und auf der Rückseite Tropfen von Zuckerlösung, aber ohne irgend welches Fleisch. Bei zweien dieser Blätter waren nach Verlauf eines Tages einige wenige Tentakeln rückwärts gebogen. Die Tropfen hatten nun be- trächtlich an Grösze zugenommen, da sie Feuchtigkeit eingesaugt hatten, und zwar so, dasz sie die Rückseite der Tentakeln und Stiele hinab tröpfelten. Am zweiten Tage war bei einem Blatte die Scheibe bedeutend zurückgeschlagen: am dritten Tage waren die Tentakeln von zweien, ebenso wie die Scheiben aller vier, in einem bedeutenderen oder minderen Grade zurückgeschlagen. Die obere Seite des einen Blattes bot nun, anstatt wie zuerst unbedeutend concav zu sein, eine starke Convexität nach aufwärts dar. Selbst am fünften Tage schie- nen die Blätter nicht todt zu sein. Da nun Zucker die Drosera nicht im Mindesten reizt, so können wir das Zurückschlagen der Scheiben und Tentakeln der obigen Blätter getrost der Exosmose aus den Zellen, welche mit der Zuckerlösung in Berührung waren, und der in Folge derselben eintretenden Contraction derselben zuschreiben. Wenn Tropfen einer dicken Zuckerlösung auf die Blätter von Pflan- zen gebracht werden, deren Wurzeln sich noch immer in feuchter Erde befinden, so erfolgt keine Einbiegung; denn ohne Zweifel pumpen die Wurzeln Wasser so geschwind hinauf, als es durch Exosmose ver- loren wird. Wenn aber abgeschnittene Blätter in Syrup oder irgend eine andere dichte Flüssigkeit eingetaucht werden, so werden die Tentakeln bedeutend, wenn schon unregelmäszig, eingebogen, wobei einige die Form von Korkziehern annehmen; auch werden die Blätter bald welk. Wenn sie nun in eine Flüssigkeit von niedrigem specifi- schem Gewicht eingetaucht werden, so strecken sich die Tentakeln wieder aus. Aus diesen Thatsachen können wir schlieszen, dasz auf die Rückseite von Blättern gebrachte Tropfen dichter Zuckerlösung nicht dadurch wirken, dasz sie einen motorischen Impuls anregen, welcher den Tentakeln übermittelt wird, sondern dadurch, dasz sie durch Herbeiführung von Exosmose das Zurückschlagen verursachen. Dr. Nitschke benutzte das Secret dazu, Insecten an die Rückseite von Blättern zu kleben; und ich vermuthe, er brauchte eine grosze Quantität, welche, da sie dicht war, Exosmose verursachte. Vielleicht experimentirte er auch mit abgeschnittenen Blättern oder an Pflan- zen, deren Wurzeln nicht genügend mit Wasser versehen wurden. Soweit daher unsere gegenwärtige Kenntnis reicht, können wir 14 *

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/225>, abgerufen am 29.11.2024.