Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Drosera rotundifolia. Cap. 9.
geschlagen, welches bei allen nach der Mitte gebracht worden war, wäh-
rend die senkrechten und subverticalen Tentakeln an den andern Blättern,
denen kein Fleisch gegeben worden war, sich vollständig wieder ausge-
breitet hatten. Indesz, nach der späteren Wirkung einer schwachen
Lösung von kohlensaurem Ammoniak auf eines dieser letztern Blätter zu
urtheilen, hatte es in 22 Stunden seine Reizbarkeit und sein Bewegungs-
vermögen nicht vollständig wieder erlangt; ein anderes Blatt aber war
nach Verlauf weiterer 24 Stunden vollkommen wieder hergestellt, nach
der Art und Weise, wie es eine auf seine Scheibe gesetzte Fliege um-
faszte, zu urtheilen.

Ich will nur noch ein einziges anderes Experiment anführen. Nach-
dem eine Pflanze 2 Stunden lang dem Gase ausgesetzt worden war, wurde
eines ihrer Blätter in eine ziemlich starke Lösung von kohlensaurem
Ammoniak eingetaucht, und zwar zusammen mit einem frischen Blatt von
einer andern Pflanze. An dem letzteren waren innerhalb 30 Minuten die
meisten Tentakeln stark eingebogen; während das Blatt, welches der
Kohlensäure ausgesetzt gewesen war, 24 Stunden in der Lösung blieb,
ohne dasz irgend welche Einbiegung eintrat, mit Ausnahme zweier Ten-
takeln. Dies Blatt war beinahe vollständig gelähmt worden, und war
nicht im Stande, seine Reizbarkeit wieder zu erlangen, so lange es noch
in der Lösung war, welche, da sie mit destillirtem Wasser dargestellt
worden war, wahrscheinlich wenig Sauerstoff enthielt.

Schluszbemerkungen über die Wirkungen der vor-
stehend aufgeführten Agentien.
-- Da die Drüsen, wenn sie
gereizt werden, einen Einflusz gewisser Art den umgebenden Tentakeln
übermitteln, welche diese sich zu biegen veranlassen, und die Drüsen
dazu anregen, eine vermehrte Menge eines modificirten Secrets zu er-
gieszen, so lag mir daran, zu ermitteln, ob die Blätter irgend ein
Element von der Beschaffenheit des Nervengewebes enthielten, welches,
wenn auch nicht ununterbrochen zusammenhängend, doch als Leitungs-
canal diente. Dies führte mich darauf, die verschiedenen Alkoloide
und andere Substanzen zu versuchen, von denen bekannt ist, dasz sie
eine kräftige Wirkung auf das Nervensystem von Thieren äuszern.
Anfangs wurde ich in meinen Versuchen dadurch ermuthigt, dasz ich
fand, Strychnin, Digitalin und Nicotin, welche alle auf das Nerven-
system wirken, waren für die Drosera giftig und bewirkten einen
gewissen Grad von Einbiegung. Ferner verursachte Blausäure, welche
für Thiere ein so tödtliches Gift ist, rapide Bewegung der Tentakeln.
Da aber mehrere unschädliche Säuren selbst in groszer Verdünnung,
so Benzoesäure, Essigsäure u. s. w., ebenso wie einige ätherische Öle
für die Drosera äuszerst giftig sind und schnell starke Einbiegung
verursachen, so scheint es wahrscheinlich, dasz Strychnin, Nicotin,

Drosera rotundifolia. Cap. 9.
geschlagen, welches bei allen nach der Mitte gebracht worden war, wäh-
rend die senkrechten und subverticalen Tentakeln an den andern Blättern,
denen kein Fleisch gegeben worden war, sich vollständig wieder ausge-
breitet hatten. Indesz, nach der späteren Wirkung einer schwachen
Lösung von kohlensaurem Ammoniak auf eines dieser letztern Blätter zu
urtheilen, hatte es in 22 Stunden seine Reizbarkeit und sein Bewegungs-
vermögen nicht vollständig wieder erlangt; ein anderes Blatt aber war
nach Verlauf weiterer 24 Stunden vollkommen wieder hergestellt, nach
der Art und Weise, wie es eine auf seine Scheibe gesetzte Fliege um-
faszte, zu urtheilen.

Ich will nur noch ein einziges anderes Experiment anführen. Nach-
dem eine Pflanze 2 Stunden lang dem Gase ausgesetzt worden war, wurde
eines ihrer Blätter in eine ziemlich starke Lösung von kohlensaurem
Ammoniak eingetaucht, und zwar zusammen mit einem frischen Blatt von
einer andern Pflanze. An dem letzteren waren innerhalb 30 Minuten die
meisten Tentakeln stark eingebogen; während das Blatt, welches der
Kohlensäure ausgesetzt gewesen war, 24 Stunden in der Lösung blieb,
ohne dasz irgend welche Einbiegung eintrat, mit Ausnahme zweier Ten-
takeln. Dies Blatt war beinahe vollständig gelähmt worden, und war
nicht im Stande, seine Reizbarkeit wieder zu erlangen, so lange es noch
in der Lösung war, welche, da sie mit destillirtem Wasser dargestellt
worden war, wahrscheinlich wenig Sauerstoff enthielt.

Schluszbemerkungen über die Wirkungen der vor-
stehend aufgeführten Agentien.
— Da die Drüsen, wenn sie
gereizt werden, einen Einflusz gewisser Art den umgebenden Tentakeln
übermitteln, welche diese sich zu biegen veranlassen, und die Drüsen
dazu anregen, eine vermehrte Menge eines modificirten Secrets zu er-
gieszen, so lag mir daran, zu ermitteln, ob die Blätter irgend ein
Element von der Beschaffenheit des Nervengewebes enthielten, welches,
wenn auch nicht ununterbrochen zusammenhängend, doch als Leitungs-
canal diente. Dies führte mich darauf, die verschiedenen Alkoloide
und andere Substanzen zu versuchen, von denen bekannt ist, dasz sie
eine kräftige Wirkung auf das Nervensystem von Thieren äuszern.
Anfangs wurde ich in meinen Versuchen dadurch ermuthigt, dasz ich
fand, Strychnin, Digitalin und Nicotin, welche alle auf das Nerven-
system wirken, waren für die Drosera giftig und bewirkten einen
gewissen Grad von Einbiegung. Ferner verursachte Blausäure, welche
für Thiere ein so tödtliches Gift ist, rapide Bewegung der Tentakeln.
Da aber mehrere unschädliche Säuren selbst in groszer Verdünnung,
so Benzoësäure, Essigsäure u. s. w., ebenso wie einige ätherische Öle
für die Drosera äuszerst giftig sind und schnell starke Einbiegung
verursachen, so scheint es wahrscheinlich, dasz Strychnin, Nicotin,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0216" n="202"/><fw place="top" type="header">Drosera rotundifolia. Cap. 9.</fw><lb/>
geschlagen, welches bei allen nach der Mitte gebracht worden war, wäh-<lb/>
rend die senkrechten und subverticalen Tentakeln an den andern Blättern,<lb/>
denen kein Fleisch gegeben worden war, sich vollständig wieder ausge-<lb/>
breitet hatten. Indesz, nach der späteren Wirkung einer schwachen<lb/>
Lösung von kohlensaurem Ammoniak auf eines dieser letztern Blätter zu<lb/>
urtheilen, hatte es in 22 Stunden seine Reizbarkeit und sein Bewegungs-<lb/>
vermögen nicht vollständig wieder erlangt; ein anderes Blatt aber war<lb/>
nach Verlauf weiterer 24 Stunden vollkommen wieder hergestellt, nach<lb/>
der Art und Weise, wie es eine auf seine Scheibe gesetzte Fliege um-<lb/>
faszte, zu urtheilen.</p><lb/>
        <p>Ich will nur noch ein einziges anderes Experiment anführen. Nach-<lb/>
dem eine Pflanze 2 Stunden lang dem Gase ausgesetzt worden war, wurde<lb/>
eines ihrer Blätter in eine ziemlich starke Lösung von kohlensaurem<lb/>
Ammoniak eingetaucht, und zwar zusammen mit einem frischen Blatt von<lb/>
einer andern Pflanze. An dem letzteren waren innerhalb 30 Minuten die<lb/>
meisten Tentakeln stark eingebogen; während das Blatt, welches der<lb/>
Kohlensäure ausgesetzt gewesen war, 24 Stunden in der Lösung blieb,<lb/>
ohne dasz irgend welche Einbiegung eintrat, mit Ausnahme zweier Ten-<lb/>
takeln. Dies Blatt war beinahe vollständig gelähmt worden, und war<lb/>
nicht im Stande, seine Reizbarkeit wieder zu erlangen, so lange es noch<lb/>
in der Lösung war, welche, da sie mit destillirtem Wasser dargestellt<lb/>
worden war, wahrscheinlich wenig Sauerstoff enthielt.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Schluszbemerkungen über die Wirkungen der vor-<lb/>
stehend aufgeführten Agentien.</hi> &#x2014; Da die Drüsen, wenn sie<lb/>
gereizt werden, einen Einflusz gewisser Art den umgebenden Tentakeln<lb/>
übermitteln, welche diese sich zu biegen veranlassen, und die Drüsen<lb/>
dazu anregen, eine vermehrte Menge eines modificirten Secrets zu er-<lb/>
gieszen, so lag mir daran, zu ermitteln, ob die Blätter irgend ein<lb/>
Element von der Beschaffenheit des Nervengewebes enthielten, welches,<lb/>
wenn auch nicht ununterbrochen zusammenhängend, doch als Leitungs-<lb/>
canal diente. Dies führte mich darauf, die verschiedenen Alkoloide<lb/>
und andere Substanzen zu versuchen, von denen bekannt ist, dasz sie<lb/>
eine kräftige Wirkung auf das Nervensystem von Thieren äuszern.<lb/>
Anfangs wurde ich in meinen Versuchen dadurch ermuthigt, dasz ich<lb/>
fand, Strychnin, Digitalin und Nicotin, welche alle auf das Nerven-<lb/>
system wirken, waren für die <hi rendition="#i">Drosera</hi> giftig und bewirkten einen<lb/>
gewissen Grad von Einbiegung. Ferner verursachte Blausäure, welche<lb/>
für Thiere ein so tödtliches Gift ist, rapide Bewegung der Tentakeln.<lb/>
Da aber mehrere unschädliche Säuren selbst in groszer Verdünnung,<lb/>
so Benzoësäure, Essigsäure u. s. w., ebenso wie einige ätherische Öle<lb/>
für die <hi rendition="#i">Drosera</hi> äuszerst giftig sind und schnell starke Einbiegung<lb/>
verursachen, so scheint es wahrscheinlich, dasz Strychnin, Nicotin,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0216] Drosera rotundifolia. Cap. 9. geschlagen, welches bei allen nach der Mitte gebracht worden war, wäh- rend die senkrechten und subverticalen Tentakeln an den andern Blättern, denen kein Fleisch gegeben worden war, sich vollständig wieder ausge- breitet hatten. Indesz, nach der späteren Wirkung einer schwachen Lösung von kohlensaurem Ammoniak auf eines dieser letztern Blätter zu urtheilen, hatte es in 22 Stunden seine Reizbarkeit und sein Bewegungs- vermögen nicht vollständig wieder erlangt; ein anderes Blatt aber war nach Verlauf weiterer 24 Stunden vollkommen wieder hergestellt, nach der Art und Weise, wie es eine auf seine Scheibe gesetzte Fliege um- faszte, zu urtheilen. Ich will nur noch ein einziges anderes Experiment anführen. Nach- dem eine Pflanze 2 Stunden lang dem Gase ausgesetzt worden war, wurde eines ihrer Blätter in eine ziemlich starke Lösung von kohlensaurem Ammoniak eingetaucht, und zwar zusammen mit einem frischen Blatt von einer andern Pflanze. An dem letzteren waren innerhalb 30 Minuten die meisten Tentakeln stark eingebogen; während das Blatt, welches der Kohlensäure ausgesetzt gewesen war, 24 Stunden in der Lösung blieb, ohne dasz irgend welche Einbiegung eintrat, mit Ausnahme zweier Ten- takeln. Dies Blatt war beinahe vollständig gelähmt worden, und war nicht im Stande, seine Reizbarkeit wieder zu erlangen, so lange es noch in der Lösung war, welche, da sie mit destillirtem Wasser dargestellt worden war, wahrscheinlich wenig Sauerstoff enthielt. Schluszbemerkungen über die Wirkungen der vor- stehend aufgeführten Agentien. — Da die Drüsen, wenn sie gereizt werden, einen Einflusz gewisser Art den umgebenden Tentakeln übermitteln, welche diese sich zu biegen veranlassen, und die Drüsen dazu anregen, eine vermehrte Menge eines modificirten Secrets zu er- gieszen, so lag mir daran, zu ermitteln, ob die Blätter irgend ein Element von der Beschaffenheit des Nervengewebes enthielten, welches, wenn auch nicht ununterbrochen zusammenhängend, doch als Leitungs- canal diente. Dies führte mich darauf, die verschiedenen Alkoloide und andere Substanzen zu versuchen, von denen bekannt ist, dasz sie eine kräftige Wirkung auf das Nervensystem von Thieren äuszern. Anfangs wurde ich in meinen Versuchen dadurch ermuthigt, dasz ich fand, Strychnin, Digitalin und Nicotin, welche alle auf das Nerven- system wirken, waren für die Drosera giftig und bewirkten einen gewissen Grad von Einbiegung. Ferner verursachte Blausäure, welche für Thiere ein so tödtliches Gift ist, rapide Bewegung der Tentakeln. Da aber mehrere unschädliche Säuren selbst in groszer Verdünnung, so Benzoësäure, Essigsäure u. s. w., ebenso wie einige ätherische Öle für die Drosera äuszerst giftig sind und schnell starke Einbiegung verursachen, so scheint es wahrscheinlich, dasz Strychnin, Nicotin,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/216
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/216>, abgerufen am 12.12.2024.