Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 9. Gift der Cobra.
waren die halbrandständigen Tentakeln stark eingebogen, und die Drüsen
etwas blasz; nach 3 Stunden 30 Minuten hatten beide Blätter alle ihre
Tentakeln dicht eingebogen und die Drüsen waren weisz. Daher bewirkte
die schwächere Lösung, wie in so vielen andern Fällen, viel rapidere Ein-
biegung, als die stärkere; aber die Drüsen wurden eher weisz gemacht
durch die letztere. Nach einem 24 Stunden langen Eintauchen wurden
einige der Tentakeln untersucht, und das Protoplasma, noch von schöner
purpurner Färbung, wurde in Ketten von kleinen kugligen Massen zu-
sammengeballt gefunden. Diese veränderten ihre Formen mit merkwür-
diger Schnelligkeit. Nach einem 48 Stunden langen Eintauchen wurden
sie wieder untersucht, und ihre Bewegungen waren so deutlich, dasz sie
unter einer schwachen Vergröszerung leicht gesehen werden konnten. Die
Blätter wurden nun in Wasser gelegt, und nach 24 Stunden (d. h. 72
Stunden von ihrem ersten Eintauchen an) waren die kleinen Massen Pro-
toplasma, welche von einem schmutzigen Purpur waren, noch in starker
Bewegung, ihre Formen verändernd, sich vereinigend und wieder trennend.

In 8 Stunden, nachdem sie in Wasser gelegen hatten (d. h. in 56
Stunden nach ihrem Eintauchen in die Lösung), fiengen diese zwei Blätter
an, sich wieder auszubreiten und waren am nächsten Morgen noch weiter
ausgebreitet. Nach Verlauf eines weiteren Tages (d. h. am vierten Tage
nach ihrem Eintauchen in die Lösung) waren sie bedeutend aber nicht
ganz vollständig wieder ausgebreitet. Die Tentakeln wurden nun unter-
sucht, und die zusammengeballten Massen waren beinahe gänzlich wieder
aufgelöst; die Zellen waren mit homogener purpurner Flüssigkeit, mit
Ausnahme einer einzigen kugligen Masse hie und da, angefüllt. Wir
sehen hieraus, wie vollständig das Protoplasma aller Verletzung durch das
Gift entgangen war. Da die Drüsen so bald ganz weisz wurden, kam
mir der Gedanke, dasz ihre Textur in solcher Weise modificirt sein könne,
dasz das Gift verhindert würde, in die Zellen darunter zu dringen, und
folglich, dasz das Protoplasma in diesen Zellen gar nicht afficirt worden
wäre. Dem entsprechend brachte ich ein anderes Blatt, welches 48 Stun-
den lang in das Gift, und nachher 24 Stunden lang in Wasser gelegt
worden war, in ein wenig Lösung von einem Theil kohlensauren Ammoniak
auf 218 Theile Wasser; in 30 Minuten wurde das Protoplasma in den
Zellen unter den Drüsen dunkler, und im Lauf von 24 Stunden waren
die Tentakeln bis hinunter zu ihren Basen mit dunkelfarbigen kugligen
Massen angefüllt. Es hatten daher die Drüsen ihre Fähigkeit zum Auf-
saugen nicht verloren, so weit das kohlensaure Ammoniak in Betracht
kommt.

Nach diesen Thatsachen ist es offenbar, dasz das Gift der Cobra,
obgleich Thieren so tödtlich, gar nicht giftig für die Drosera ist. Doch
verursacht es starke und rapide Einbiegung der Tentakeln und entfernt
bald alle Farbe aus den Drüsen. Es scheint selbst als ein Reizmittel auf
das Protoplasma zu wirken, denn nach beträchtlicher Erfahrung im
Beobachten der Bewegungen dieser Substanz bei der Drosera habe ich es
bei keiner andern Gelegenheit in einem so thätigen Zustande gesehen.
Ich war daher sehr gespannt, zu hören, wie dieses Gift auf thierisches
Protoplasma wirke; und Dr. Fayrer war so gütig, einige Beobachtungen

Cap. 9. Gift der Cobra.
waren die halbrandständigen Tentakeln stark eingebogen, und die Drüsen
etwas blasz; nach 3 Stunden 30 Minuten hatten beide Blätter alle ihre
Tentakeln dicht eingebogen und die Drüsen waren weisz. Daher bewirkte
die schwächere Lösung, wie in so vielen andern Fällen, viel rapidere Ein-
biegung, als die stärkere; aber die Drüsen wurden eher weisz gemacht
durch die letztere. Nach einem 24 Stunden langen Eintauchen wurden
einige der Tentakeln untersucht, und das Protoplasma, noch von schöner
purpurner Färbung, wurde in Ketten von kleinen kugligen Massen zu-
sammengeballt gefunden. Diese veränderten ihre Formen mit merkwür-
diger Schnelligkeit. Nach einem 48 Stunden langen Eintauchen wurden
sie wieder untersucht, und ihre Bewegungen waren so deutlich, dasz sie
unter einer schwachen Vergröszerung leicht gesehen werden konnten. Die
Blätter wurden nun in Wasser gelegt, und nach 24 Stunden (d. h. 72
Stunden von ihrem ersten Eintauchen an) waren die kleinen Massen Pro-
toplasma, welche von einem schmutzigen Purpur waren, noch in starker
Bewegung, ihre Formen verändernd, sich vereinigend und wieder trennend.

In 8 Stunden, nachdem sie in Wasser gelegen hatten (d. h. in 56
Stunden nach ihrem Eintauchen in die Lösung), fiengen diese zwei Blätter
an, sich wieder auszubreiten und waren am nächsten Morgen noch weiter
ausgebreitet. Nach Verlauf eines weiteren Tages (d. h. am vierten Tage
nach ihrem Eintauchen in die Lösung) waren sie bedeutend aber nicht
ganz vollständig wieder ausgebreitet. Die Tentakeln wurden nun unter-
sucht, und die zusammengeballten Massen waren beinahe gänzlich wieder
aufgelöst; die Zellen waren mit homogener purpurner Flüssigkeit, mit
Ausnahme einer einzigen kugligen Masse hie und da, angefüllt. Wir
sehen hieraus, wie vollständig das Protoplasma aller Verletzung durch das
Gift entgangen war. Da die Drüsen so bald ganz weisz wurden, kam
mir der Gedanke, dasz ihre Textur in solcher Weise modificirt sein könne,
dasz das Gift verhindert würde, in die Zellen darunter zu dringen, und
folglich, dasz das Protoplasma in diesen Zellen gar nicht afficirt worden
wäre. Dem entsprechend brachte ich ein anderes Blatt, welches 48 Stun-
den lang in das Gift, und nachher 24 Stunden lang in Wasser gelegt
worden war, in ein wenig Lösung von einem Theil kohlensauren Ammoniak
auf 218 Theile Wasser; in 30 Minuten wurde das Protoplasma in den
Zellen unter den Drüsen dunkler, und im Lauf von 24 Stunden waren
die Tentakeln bis hinunter zu ihren Basen mit dunkelfarbigen kugligen
Massen angefüllt. Es hatten daher die Drüsen ihre Fähigkeit zum Auf-
saugen nicht verloren, so weit das kohlensaure Ammoniak in Betracht
kommt.

Nach diesen Thatsachen ist es offenbar, dasz das Gift der Cobra,
obgleich Thieren so tödtlich, gar nicht giftig für die Drosera ist. Doch
verursacht es starke und rapide Einbiegung der Tentakeln und entfernt
bald alle Farbe aus den Drüsen. Es scheint selbst als ein Reizmittel auf
das Protoplasma zu wirken, denn nach beträchtlicher Erfahrung im
Beobachten der Bewegungen dieser Substanz bei der Drosera habe ich es
bei keiner andern Gelegenheit in einem so thätigen Zustande gesehen.
Ich war daher sehr gespannt, zu hören, wie dieses Gift auf thierisches
Protoplasma wirke; und Dr. Fayrer war so gütig, einige Beobachtungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0201" n="187"/><fw place="top" type="header">Cap. 9. Gift der Cobra.</fw><lb/>
waren die halbrandständigen Tentakeln stark eingebogen, und die Drüsen<lb/>
etwas blasz; nach 3 Stunden 30 Minuten hatten beide Blätter alle ihre<lb/>
Tentakeln dicht eingebogen und die Drüsen waren weisz. Daher bewirkte<lb/>
die schwächere Lösung, wie in so vielen andern Fällen, viel rapidere Ein-<lb/>
biegung, als die stärkere; aber die Drüsen wurden eher weisz gemacht<lb/>
durch die letztere. Nach einem 24 Stunden langen Eintauchen wurden<lb/>
einige der Tentakeln untersucht, und das Protoplasma, noch von schöner<lb/>
purpurner Färbung, wurde in Ketten von kleinen kugligen Massen zu-<lb/>
sammengeballt gefunden. Diese veränderten ihre Formen mit merkwür-<lb/>
diger Schnelligkeit. Nach einem 48 Stunden langen Eintauchen wurden<lb/>
sie wieder untersucht, und ihre Bewegungen waren so deutlich, dasz sie<lb/>
unter einer schwachen Vergröszerung leicht gesehen werden konnten. Die<lb/>
Blätter wurden nun in Wasser gelegt, und nach 24 Stunden (d. h. 72<lb/>
Stunden von ihrem ersten Eintauchen an) waren die kleinen Massen Pro-<lb/>
toplasma, welche von einem schmutzigen Purpur waren, noch in starker<lb/>
Bewegung, ihre Formen verändernd, sich vereinigend und wieder trennend.</p><lb/>
        <p>In 8 Stunden, nachdem sie in Wasser gelegen hatten (d. h. in 56<lb/>
Stunden nach ihrem Eintauchen in die Lösung), fiengen diese zwei Blätter<lb/>
an, sich wieder auszubreiten und waren am nächsten Morgen noch weiter<lb/>
ausgebreitet. Nach Verlauf eines weiteren Tages (d. h. am vierten Tage<lb/>
nach ihrem Eintauchen in die Lösung) waren sie bedeutend aber nicht<lb/>
ganz vollständig wieder ausgebreitet. Die Tentakeln wurden nun unter-<lb/>
sucht, und die zusammengeballten Massen waren beinahe gänzlich wieder<lb/>
aufgelöst; die Zellen waren mit homogener purpurner Flüssigkeit, mit<lb/>
Ausnahme einer einzigen kugligen Masse hie und da, angefüllt. Wir<lb/>
sehen hieraus, wie vollständig das Protoplasma aller Verletzung durch das<lb/>
Gift entgangen war. Da die Drüsen so bald ganz weisz wurden, kam<lb/>
mir der Gedanke, dasz ihre Textur in solcher Weise modificirt sein könne,<lb/>
dasz das Gift verhindert würde, in die Zellen darunter zu dringen, und<lb/>
folglich, dasz das Protoplasma in diesen Zellen gar nicht afficirt worden<lb/>
wäre. Dem entsprechend brachte ich ein anderes Blatt, welches 48 Stun-<lb/>
den lang in das Gift, und nachher 24 Stunden lang in Wasser gelegt<lb/>
worden war, in ein wenig Lösung von einem Theil kohlensauren Ammoniak<lb/>
auf 218 Theile Wasser; in 30 Minuten wurde das Protoplasma in den<lb/>
Zellen unter den Drüsen dunkler, und im Lauf von 24 Stunden waren<lb/>
die Tentakeln bis hinunter zu ihren Basen mit dunkelfarbigen kugligen<lb/>
Massen angefüllt. Es hatten daher die Drüsen ihre Fähigkeit zum Auf-<lb/>
saugen nicht verloren, so weit das kohlensaure Ammoniak in Betracht<lb/>
kommt.</p><lb/>
        <p>Nach diesen Thatsachen ist es offenbar, dasz das Gift der Cobra,<lb/>
obgleich Thieren so tödtlich, gar nicht giftig für die <hi rendition="#i">Drosera</hi> ist. Doch<lb/>
verursacht es starke und rapide Einbiegung der Tentakeln und entfernt<lb/>
bald alle Farbe aus den Drüsen. Es scheint selbst als ein Reizmittel auf<lb/>
das Protoplasma zu wirken, denn nach beträchtlicher Erfahrung im<lb/>
Beobachten der Bewegungen dieser Substanz bei der <hi rendition="#i">Drosera</hi> habe ich es<lb/>
bei keiner andern Gelegenheit in einem so thätigen Zustande gesehen.<lb/>
Ich war daher sehr gespannt, zu hören, wie dieses Gift auf thierisches<lb/>
Protoplasma wirke; und Dr. <hi rendition="#k">Fayrer</hi> war so gütig, einige Beobachtungen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0201] Cap. 9. Gift der Cobra. waren die halbrandständigen Tentakeln stark eingebogen, und die Drüsen etwas blasz; nach 3 Stunden 30 Minuten hatten beide Blätter alle ihre Tentakeln dicht eingebogen und die Drüsen waren weisz. Daher bewirkte die schwächere Lösung, wie in so vielen andern Fällen, viel rapidere Ein- biegung, als die stärkere; aber die Drüsen wurden eher weisz gemacht durch die letztere. Nach einem 24 Stunden langen Eintauchen wurden einige der Tentakeln untersucht, und das Protoplasma, noch von schöner purpurner Färbung, wurde in Ketten von kleinen kugligen Massen zu- sammengeballt gefunden. Diese veränderten ihre Formen mit merkwür- diger Schnelligkeit. Nach einem 48 Stunden langen Eintauchen wurden sie wieder untersucht, und ihre Bewegungen waren so deutlich, dasz sie unter einer schwachen Vergröszerung leicht gesehen werden konnten. Die Blätter wurden nun in Wasser gelegt, und nach 24 Stunden (d. h. 72 Stunden von ihrem ersten Eintauchen an) waren die kleinen Massen Pro- toplasma, welche von einem schmutzigen Purpur waren, noch in starker Bewegung, ihre Formen verändernd, sich vereinigend und wieder trennend. In 8 Stunden, nachdem sie in Wasser gelegen hatten (d. h. in 56 Stunden nach ihrem Eintauchen in die Lösung), fiengen diese zwei Blätter an, sich wieder auszubreiten und waren am nächsten Morgen noch weiter ausgebreitet. Nach Verlauf eines weiteren Tages (d. h. am vierten Tage nach ihrem Eintauchen in die Lösung) waren sie bedeutend aber nicht ganz vollständig wieder ausgebreitet. Die Tentakeln wurden nun unter- sucht, und die zusammengeballten Massen waren beinahe gänzlich wieder aufgelöst; die Zellen waren mit homogener purpurner Flüssigkeit, mit Ausnahme einer einzigen kugligen Masse hie und da, angefüllt. Wir sehen hieraus, wie vollständig das Protoplasma aller Verletzung durch das Gift entgangen war. Da die Drüsen so bald ganz weisz wurden, kam mir der Gedanke, dasz ihre Textur in solcher Weise modificirt sein könne, dasz das Gift verhindert würde, in die Zellen darunter zu dringen, und folglich, dasz das Protoplasma in diesen Zellen gar nicht afficirt worden wäre. Dem entsprechend brachte ich ein anderes Blatt, welches 48 Stun- den lang in das Gift, und nachher 24 Stunden lang in Wasser gelegt worden war, in ein wenig Lösung von einem Theil kohlensauren Ammoniak auf 218 Theile Wasser; in 30 Minuten wurde das Protoplasma in den Zellen unter den Drüsen dunkler, und im Lauf von 24 Stunden waren die Tentakeln bis hinunter zu ihren Basen mit dunkelfarbigen kugligen Massen angefüllt. Es hatten daher die Drüsen ihre Fähigkeit zum Auf- saugen nicht verloren, so weit das kohlensaure Ammoniak in Betracht kommt. Nach diesen Thatsachen ist es offenbar, dasz das Gift der Cobra, obgleich Thieren so tödtlich, gar nicht giftig für die Drosera ist. Doch verursacht es starke und rapide Einbiegung der Tentakeln und entfernt bald alle Farbe aus den Drüsen. Es scheint selbst als ein Reizmittel auf das Protoplasma zu wirken, denn nach beträchtlicher Erfahrung im Beobachten der Bewegungen dieser Substanz bei der Drosera habe ich es bei keiner andern Gelegenheit in einem so thätigen Zustande gesehen. Ich war daher sehr gespannt, zu hören, wie dieses Gift auf thierisches Protoplasma wirke; und Dr. Fayrer war so gütig, einige Beobachtungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/201
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/201>, abgerufen am 12.12.2024.