Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Drosera rotundifolia. Cap. 7.
würdigste in diesem Bande mitgetheilte Thatsache. Wenn wir sehn,
dasz viel weniger als der millionte Theil 1 eines Gran des Phosphats,
von der Drüse eines der äuszeren Tentakeln absorbirt, diesen zu bie-
gen veranlaszt, so könnte man meinen, dasz die Wirkungen der Lösung
auf die Drüsen der Blattscheibe übersehen worden seien, nämlich
die Übermittelung eines motorischen Impulses von ihnen aus an die
äuszeren Tentakeln. Ohne Zweifel werden die Bewegungen der letz-
teren hierdurch unterstützt; aber die in dieser Weise geleistete Hülfe
musz unbedeutend sein; denn wir wissen, dasz ein Tropfen, welcher
so viel wie Gran enthält, wenn er auf die Scheibe gebracht
wird, nur gerade eben im Stande ist, die äuszern Tentakeln eines in
hohem Grade empfindlichen Blattes zum Biegen zu veranlassen. Es
ist sicherlich eine äuszerst überraschende Thatsache, dasz
eines Grans, oder in runder Zahl ein zwanzigmillionter Theil eines
Grans (0,0000033 Milligr.) des phosphorsauren Salzes irgend eine
Pflanze oder selbst irgend ein Thier afficiren sollte; und da dies Salz
35,33 Procent Krystallisationswasser enthält, so werden die wirksamen
Elemente auf Gran oder in runder Zahl auf ein dreiszig-
milliontel Gran (0,00000216 Milligr.) reducirt. Überdies war die
Lösung in diesen Versuchen im Verhältnis von einem Theile des
Salzes auf 2,187,500 Theile Wasser oder 1 Gran auf 5000 Unzen ver-
dünnt. Der Leser wird sich vielleicht diesen Grad von Verdünnung
am besten vergegenwärtigen, wenn er sich erinnert, dasz 5000 Unzen
mehr als ein 31 Gallonenfasz füllen würden, und dasz zu dieser
groszen Masse Wasser ein Gran des Salzes hinzugethan wird; über
ein Blatt wird dann nur eine halbe Drachme oder dreiszig Minims
der Lösung gegossen. Und doch reichte diese Menge hin, die Ein-
biegung beinahe jeden Tentakels und häufig auch der Blattscheibe
zu verursachen.

Ich bin mir wohl bewuszt, dasz diese Angabe auf den ersten
Blick beinahe Jedermann unglaublich erscheinen wird. Drosera ist
weit davon entfernt, mit dem Unterscheidungsvermögen des Spectro-
skops rivalisiren zu können; doch kann sie, wie es sich in den Bewe-

1 Es ist kaum möglich, sich vorzustellen, was eine Million bedeutet. Die
beste Illustration, die mir vorgekommen ist, ist die, welche W. Croll gibt; er
sagt: -- "Man nehme einen schmalen Streifen Papier 83 Fusz 4 Zoll lang und
strecke ihn an der Wand eines groszen Saales aus; dann bezeichne man an einem
Ende ein Zehntel Zoll. Dieses Zehntel wird ein Hundert und der ganze Streifen
eine Million repräsentiren.

Drosera rotundifolia. Cap. 7.
würdigste in diesem Bande mitgetheilte Thatsache. Wenn wir sehn,
dasz viel weniger als der millionte Theil 1 eines Gran des Phosphats,
von der Drüse eines der äuszeren Tentakeln absorbirt, diesen zu bie-
gen veranlaszt, so könnte man meinen, dasz die Wirkungen der Lösung
auf die Drüsen der Blattscheibe übersehen worden seien, nämlich
die Übermittelung eines motorischen Impulses von ihnen aus an die
äuszeren Tentakeln. Ohne Zweifel werden die Bewegungen der letz-
teren hierdurch unterstützt; aber die in dieser Weise geleistete Hülfe
musz unbedeutend sein; denn wir wissen, dasz ein Tropfen, welcher
so viel wie Gran enthält, wenn er auf die Scheibe gebracht
wird, nur gerade eben im Stande ist, die äuszern Tentakeln eines in
hohem Grade empfindlichen Blattes zum Biegen zu veranlassen. Es
ist sicherlich eine äuszerst überraschende Thatsache, dasz
eines Grans, oder in runder Zahl ein zwanzigmillionter Theil eines
Grans (0,0000033 Milligr.) des phosphorsauren Salzes irgend eine
Pflanze oder selbst irgend ein Thier afficiren sollte; und da dies Salz
35,33 Procent Krystallisationswasser enthält, so werden die wirksamen
Elemente auf Gran oder in runder Zahl auf ein dreiszig-
milliontel Gran (0,00000216 Milligr.) reducirt. Überdies war die
Lösung in diesen Versuchen im Verhältnis von einem Theile des
Salzes auf 2,187,500 Theile Wasser oder 1 Gran auf 5000 Unzen ver-
dünnt. Der Leser wird sich vielleicht diesen Grad von Verdünnung
am besten vergegenwärtigen, wenn er sich erinnert, dasz 5000 Unzen
mehr als ein 31 Gallonenfasz füllen würden, und dasz zu dieser
groszen Masse Wasser ein Gran des Salzes hinzugethan wird; über
ein Blatt wird dann nur eine halbe Drachme oder dreiszig Minims
der Lösung gegossen. Und doch reichte diese Menge hin, die Ein-
biegung beinahe jeden Tentakels und häufig auch der Blattscheibe
zu verursachen.

Ich bin mir wohl bewuszt, dasz diese Angabe auf den ersten
Blick beinahe Jedermann unglaublich erscheinen wird. Drosera ist
weit davon entfernt, mit dem Unterscheidungsvermögen des Spectro-
skops rivalisiren zu können; doch kann sie, wie es sich in den Bewe-

1 Es ist kaum möglich, sich vorzustellen, was eine Million bedeutet. Die
beste Illustration, die mir vorgekommen ist, ist die, welche W. Croll gibt; er
sagt: — „Man nehme einen schmalen Streifen Papier 83 Fusz 4 Zoll lang und
strecke ihn an der Wand eines groszen Saales aus; dann bezeichne man an einem
Ende ein Zehntel Zoll. Dieses Zehntel wird ein Hundert und der ganze Streifen
eine Million repräsentiren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0166" n="152"/><fw place="top" type="header">Drosera rotundifolia. Cap. 7.</fw><lb/>
würdigste in diesem Bande mitgetheilte Thatsache. Wenn wir sehn,<lb/>
dasz viel weniger als der millionte Theil <note place="foot" n="1">Es ist kaum möglich, sich vorzustellen, was eine Million bedeutet. Die<lb/>
beste Illustration, die mir vorgekommen ist, ist die, welche W. <hi rendition="#g">Croll</hi> gibt; er<lb/>
sagt: &#x2014; &#x201E;Man nehme einen schmalen Streifen Papier 83 Fusz 4 Zoll lang und<lb/>
strecke ihn an der Wand eines groszen Saales aus; dann bezeichne man an einem<lb/>
Ende ein Zehntel Zoll. Dieses Zehntel wird ein Hundert und der ganze Streifen<lb/>
eine Million repräsentiren.</note> eines Gran des Phosphats,<lb/>
von der Drüse eines der äuszeren Tentakeln absorbirt, diesen zu bie-<lb/>
gen veranlaszt, so könnte man meinen, dasz die Wirkungen der Lösung<lb/>
auf die Drüsen der Blattscheibe übersehen worden seien, nämlich<lb/>
die Übermittelung eines motorischen Impulses von ihnen aus an die<lb/>
äuszeren Tentakeln. Ohne Zweifel werden die Bewegungen der letz-<lb/>
teren hierdurch unterstützt; aber die in dieser Weise geleistete Hülfe<lb/>
musz unbedeutend sein; denn wir wissen, dasz ein Tropfen, welcher<lb/>
so viel wie <formula notation="TeX">\frac {1}{3840}</formula> Gran enthält, wenn er auf die Scheibe gebracht<lb/>
wird, nur gerade eben im Stande ist, die äuszern Tentakeln eines in<lb/>
hohem Grade empfindlichen Blattes zum Biegen zu veranlassen. Es<lb/>
ist sicherlich eine äuszerst überraschende Thatsache, dasz <formula notation="TeX">\frac {1}{19760000}</formula><lb/>
eines Grans, oder in runder Zahl ein zwanzigmillionter Theil eines<lb/>
Grans (0,0000033 Milligr.) des phosphorsauren Salzes irgend eine<lb/>
Pflanze oder selbst irgend ein Thier afficiren sollte; und da dies Salz<lb/>
35,33 Procent Krystallisationswasser enthält, so werden die wirksamen<lb/>
Elemente auf <formula notation="TeX">\frac {1}{30555126}</formula> Gran oder in runder Zahl auf ein dreiszig-<lb/>
milliontel Gran (0,00000216 Milligr.) reducirt. Überdies war die<lb/>
Lösung in diesen Versuchen im Verhältnis von einem Theile des<lb/>
Salzes auf 2,187,500 Theile Wasser oder 1 Gran auf 5000 Unzen ver-<lb/>
dünnt. Der Leser wird sich vielleicht diesen Grad von Verdünnung<lb/>
am besten vergegenwärtigen, wenn er sich erinnert, dasz 5000 Unzen<lb/>
mehr als ein 31 Gallonenfasz füllen würden, und dasz zu dieser<lb/>
groszen Masse Wasser ein Gran des Salzes hinzugethan wird; über<lb/>
ein Blatt wird dann nur eine halbe Drachme oder dreiszig Minims<lb/>
der Lösung gegossen. Und doch reichte diese Menge hin, die Ein-<lb/>
biegung beinahe jeden Tentakels und häufig auch der Blattscheibe<lb/>
zu verursachen.</p><lb/>
          <p>Ich bin mir wohl bewuszt, dasz diese Angabe auf den ersten<lb/>
Blick beinahe Jedermann unglaublich erscheinen wird. <hi rendition="#i">Drosera</hi> ist<lb/>
weit davon entfernt, mit dem Unterscheidungsvermögen des Spectro-<lb/>
skops rivalisiren zu können; doch kann sie, wie es sich in den Bewe-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] Drosera rotundifolia. Cap. 7. würdigste in diesem Bande mitgetheilte Thatsache. Wenn wir sehn, dasz viel weniger als der millionte Theil 1 eines Gran des Phosphats, von der Drüse eines der äuszeren Tentakeln absorbirt, diesen zu bie- gen veranlaszt, so könnte man meinen, dasz die Wirkungen der Lösung auf die Drüsen der Blattscheibe übersehen worden seien, nämlich die Übermittelung eines motorischen Impulses von ihnen aus an die äuszeren Tentakeln. Ohne Zweifel werden die Bewegungen der letz- teren hierdurch unterstützt; aber die in dieser Weise geleistete Hülfe musz unbedeutend sein; denn wir wissen, dasz ein Tropfen, welcher so viel wie [FORMEL] Gran enthält, wenn er auf die Scheibe gebracht wird, nur gerade eben im Stande ist, die äuszern Tentakeln eines in hohem Grade empfindlichen Blattes zum Biegen zu veranlassen. Es ist sicherlich eine äuszerst überraschende Thatsache, dasz [FORMEL] eines Grans, oder in runder Zahl ein zwanzigmillionter Theil eines Grans (0,0000033 Milligr.) des phosphorsauren Salzes irgend eine Pflanze oder selbst irgend ein Thier afficiren sollte; und da dies Salz 35,33 Procent Krystallisationswasser enthält, so werden die wirksamen Elemente auf [FORMEL] Gran oder in runder Zahl auf ein dreiszig- milliontel Gran (0,00000216 Milligr.) reducirt. Überdies war die Lösung in diesen Versuchen im Verhältnis von einem Theile des Salzes auf 2,187,500 Theile Wasser oder 1 Gran auf 5000 Unzen ver- dünnt. Der Leser wird sich vielleicht diesen Grad von Verdünnung am besten vergegenwärtigen, wenn er sich erinnert, dasz 5000 Unzen mehr als ein 31 Gallonenfasz füllen würden, und dasz zu dieser groszen Masse Wasser ein Gran des Salzes hinzugethan wird; über ein Blatt wird dann nur eine halbe Drachme oder dreiszig Minims der Lösung gegossen. Und doch reichte diese Menge hin, die Ein- biegung beinahe jeden Tentakels und häufig auch der Blattscheibe zu verursachen. Ich bin mir wohl bewuszt, dasz diese Angabe auf den ersten Blick beinahe Jedermann unglaublich erscheinen wird. Drosera ist weit davon entfernt, mit dem Unterscheidungsvermögen des Spectro- skops rivalisiren zu können; doch kann sie, wie es sich in den Bewe- 1 Es ist kaum möglich, sich vorzustellen, was eine Million bedeutet. Die beste Illustration, die mir vorgekommen ist, ist die, welche W. Croll gibt; er sagt: — „Man nehme einen schmalen Streifen Papier 83 Fusz 4 Zoll lang und strecke ihn an der Wand eines groszen Saales aus; dann bezeichne man an einem Ende ein Zehntel Zoll. Dieses Zehntel wird ein Hundert und der ganze Streifen eine Million repräsentiren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/166
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/166>, abgerufen am 12.12.2024.