Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 6. Verdauung.
aber nicht nahezu gänzlich aufgelöst. Die Drüsen, welche mit ihnen
in Berührung gewesen waren, waren, anstatt bedeutend geschwärzt
zu sein, von einer sehr blassen Färbung und viele von ihnen waren
offenbar getödtet.

In nicht einem einzigen unter diesen zehn Fällen war der ganze
Leim aufgelöst, selbst wenn nur sehr kleine Stückchen gegeben wor-
den waren. Ich bat in Folge dessen Dr. Burdon Sanderson, Leim in
künstlicher Verdauungsflüssigkeit von Pepsin mit Salzsäure zu ver-
suchen; dies löste das Ganze auf. Der Leim wurde indessen bedeu-
tend langsamer angegriffen als Fibrin; das Verhältnis der in 4 Stun-
den aufgelösten Menge betrug 40,8 Leim auf 100 Fibrin. Auch in
zwei andern verdauenden Flüssigkeiten, bei denen die Salzsäure durch
Propionsäure und durch Buttersäure ersetzt war, wurde der Leim
versucht und von dieser Flüssigkeit bei der gewöhnlichen Zimmer-
temperatur vollständig aufgelöst. Hier haben wir denn endlich einen
Fall vor uns, in welchem allem Anscheine nach ein wesentlicher
Unterschied in dem Verdauungsvermögen des Secrets der Drosera
und des Magensaftes besteht; der Unterschied würde auf das Ferment
beschränkt sein, denn, wie wir so eben gesehen haben, wirkt Pepsin
in Verbindung mit Säuren der Essigreihe vollkommen auf den Leim
ein. Ich glaube, die Erklärung liegt einfach in der Thatsache, dasz
Leim ein zu kräftiges Reizmittel ist (wie rohes Fleisch, oder phos-
phorsaurer Kalk, oder selbst ein zu groszes Stück Eiweisz) und dasz
er die Drüsen verletzt oder tödtet, ehe sie Zeit gehabt haben, eine
genügende Menge der passenden Absonderung zu ergieszen. Dasz
etwas Substanz aus dem Leim absorbirt wird, dafür gibt die Länge
der Zeit einen deutlichen Beleg, während welcher die Tentakeln ein-
gebogen bleiben, ebenso die bedeutend veränderte Färbung der Drüsen.

Auf den Rath des Dr. Sanderson wurde etwas Leim 15 Stunden
lang in schwacher Salzsäure (0,02 Procent) gelassen, um die Stärke
daraus zu entfernen. Er wurde farblos, durchsichtiger und aufge-
schwollen. Kleine Partien wurden gewaschen und auf fünf Blätter
gebracht, welche bald dicht eingebogen wurden, sich aber zu meiner
Überraschung in 48 Stunden vollständig wieder ausbreiteten. Auf
zweien der Blätter war nur eine Spur von Leim zurückgeblieben, und
nicht eine Spur auf den andern dreien. Die klebrige und saure Ab-
sonderung, welche auf den Scheiben der letzten drei Blätter geblieben
war, wurde abgeschabt und von meinem Sohne mit einer starken

Cap. 6. Verdauung.
aber nicht nahezu gänzlich aufgelöst. Die Drüsen, welche mit ihnen
in Berührung gewesen waren, waren, anstatt bedeutend geschwärzt
zu sein, von einer sehr blassen Färbung und viele von ihnen waren
offenbar getödtet.

In nicht einem einzigen unter diesen zehn Fällen war der ganze
Leim aufgelöst, selbst wenn nur sehr kleine Stückchen gegeben wor-
den waren. Ich bat in Folge dessen Dr. Burdon Sanderson, Leim in
künstlicher Verdauungsflüssigkeit von Pepsin mit Salzsäure zu ver-
suchen; dies löste das Ganze auf. Der Leim wurde indessen bedeu-
tend langsamer angegriffen als Fibrin; das Verhältnis der in 4 Stun-
den aufgelösten Menge betrug 40,8 Leim auf 100 Fibrin. Auch in
zwei andern verdauenden Flüssigkeiten, bei denen die Salzsäure durch
Propionsäure und durch Buttersäure ersetzt war, wurde der Leim
versucht und von dieser Flüssigkeit bei der gewöhnlichen Zimmer-
temperatur vollständig aufgelöst. Hier haben wir denn endlich einen
Fall vor uns, in welchem allem Anscheine nach ein wesentlicher
Unterschied in dem Verdauungsvermögen des Secrets der Drosera
und des Magensaftes besteht; der Unterschied würde auf das Ferment
beschränkt sein, denn, wie wir so eben gesehen haben, wirkt Pepsin
in Verbindung mit Säuren der Essigreihe vollkommen auf den Leim
ein. Ich glaube, die Erklärung liegt einfach in der Thatsache, dasz
Leim ein zu kräftiges Reizmittel ist (wie rohes Fleisch, oder phos-
phorsaurer Kalk, oder selbst ein zu groszes Stück Eiweisz) und dasz
er die Drüsen verletzt oder tödtet, ehe sie Zeit gehabt haben, eine
genügende Menge der passenden Absonderung zu ergieszen. Dasz
etwas Substanz aus dem Leim absorbirt wird, dafür gibt die Länge
der Zeit einen deutlichen Beleg, während welcher die Tentakeln ein-
gebogen bleiben, ebenso die bedeutend veränderte Färbung der Drüsen.

Auf den Rath des Dr. Sanderson wurde etwas Leim 15 Stunden
lang in schwacher Salzsäure (0,02 Procent) gelassen, um die Stärke
daraus zu entfernen. Er wurde farblos, durchsichtiger und aufge-
schwollen. Kleine Partien wurden gewaschen und auf fünf Blätter
gebracht, welche bald dicht eingebogen wurden, sich aber zu meiner
Überraschung in 48 Stunden vollständig wieder ausbreiteten. Auf
zweien der Blätter war nur eine Spur von Leim zurückgeblieben, und
nicht eine Spur auf den andern dreien. Die klebrige und saure Ab-
sonderung, welche auf den Scheiben der letzten drei Blätter geblieben
war, wurde abgeschabt und von meinem Sohne mit einer starken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="105"/><fw place="top" type="header">Cap. 6. Verdauung.</fw><lb/>
aber nicht nahezu gänzlich aufgelöst. Die Drüsen, welche mit ihnen<lb/>
in Berührung gewesen waren, waren, anstatt bedeutend geschwärzt<lb/>
zu sein, von einer sehr blassen Färbung und viele von ihnen waren<lb/>
offenbar getödtet.</p><lb/>
          <p>In nicht einem einzigen unter diesen zehn Fällen war der ganze<lb/>
Leim aufgelöst, selbst wenn nur sehr kleine Stückchen gegeben wor-<lb/>
den waren. Ich bat in Folge dessen Dr. <hi rendition="#k">Burdon Sanderson,</hi> Leim in<lb/>
künstlicher Verdauungsflüssigkeit von Pepsin mit Salzsäure zu ver-<lb/>
suchen; dies löste das Ganze auf. Der Leim wurde indessen bedeu-<lb/>
tend langsamer angegriffen als Fibrin; das Verhältnis der in 4 Stun-<lb/>
den aufgelösten Menge betrug 40,8 Leim auf 100 Fibrin. Auch in<lb/>
zwei andern verdauenden Flüssigkeiten, bei denen die Salzsäure durch<lb/>
Propionsäure und durch Buttersäure ersetzt war, wurde der Leim<lb/>
versucht und von dieser Flüssigkeit bei der gewöhnlichen Zimmer-<lb/>
temperatur vollständig aufgelöst. Hier haben wir denn endlich einen<lb/>
Fall vor uns, in welchem allem Anscheine nach ein wesentlicher<lb/>
Unterschied in dem Verdauungsvermögen des Secrets der <hi rendition="#i">Drosera</hi><lb/>
und des Magensaftes besteht; der Unterschied würde auf das Ferment<lb/>
beschränkt sein, denn, wie wir so eben gesehen haben, wirkt Pepsin<lb/>
in Verbindung mit Säuren der Essigreihe vollkommen auf den Leim<lb/>
ein. Ich glaube, die Erklärung liegt einfach in der Thatsache, dasz<lb/>
Leim ein zu kräftiges Reizmittel ist (wie rohes Fleisch, oder phos-<lb/>
phorsaurer Kalk, oder selbst ein zu groszes Stück Eiweisz) und dasz<lb/>
er die Drüsen verletzt oder tödtet, ehe sie Zeit gehabt haben, eine<lb/>
genügende Menge der passenden Absonderung zu ergieszen. Dasz<lb/>
etwas Substanz aus dem Leim absorbirt wird, dafür gibt die Länge<lb/>
der Zeit einen deutlichen Beleg, während welcher die Tentakeln ein-<lb/>
gebogen bleiben, ebenso die bedeutend veränderte Färbung der Drüsen.</p><lb/>
          <p>Auf den Rath des Dr. <hi rendition="#k">Sanderson</hi> wurde etwas Leim 15 Stunden<lb/>
lang in schwacher Salzsäure (0,02 Procent) gelassen, um die Stärke<lb/>
daraus zu entfernen. Er wurde farblos, durchsichtiger und aufge-<lb/>
schwollen. Kleine Partien wurden gewaschen und auf fünf Blätter<lb/>
gebracht, welche bald dicht eingebogen wurden, sich aber zu meiner<lb/>
Überraschung in 48 Stunden vollständig wieder ausbreiteten. Auf<lb/>
zweien der Blätter war nur eine Spur von Leim zurückgeblieben, und<lb/>
nicht eine Spur auf den andern dreien. Die klebrige und saure Ab-<lb/>
sonderung, welche auf den Scheiben der letzten drei Blätter geblieben<lb/>
war, wurde abgeschabt und von meinem Sohne mit einer starken<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0119] Cap. 6. Verdauung. aber nicht nahezu gänzlich aufgelöst. Die Drüsen, welche mit ihnen in Berührung gewesen waren, waren, anstatt bedeutend geschwärzt zu sein, von einer sehr blassen Färbung und viele von ihnen waren offenbar getödtet. In nicht einem einzigen unter diesen zehn Fällen war der ganze Leim aufgelöst, selbst wenn nur sehr kleine Stückchen gegeben wor- den waren. Ich bat in Folge dessen Dr. Burdon Sanderson, Leim in künstlicher Verdauungsflüssigkeit von Pepsin mit Salzsäure zu ver- suchen; dies löste das Ganze auf. Der Leim wurde indessen bedeu- tend langsamer angegriffen als Fibrin; das Verhältnis der in 4 Stun- den aufgelösten Menge betrug 40,8 Leim auf 100 Fibrin. Auch in zwei andern verdauenden Flüssigkeiten, bei denen die Salzsäure durch Propionsäure und durch Buttersäure ersetzt war, wurde der Leim versucht und von dieser Flüssigkeit bei der gewöhnlichen Zimmer- temperatur vollständig aufgelöst. Hier haben wir denn endlich einen Fall vor uns, in welchem allem Anscheine nach ein wesentlicher Unterschied in dem Verdauungsvermögen des Secrets der Drosera und des Magensaftes besteht; der Unterschied würde auf das Ferment beschränkt sein, denn, wie wir so eben gesehen haben, wirkt Pepsin in Verbindung mit Säuren der Essigreihe vollkommen auf den Leim ein. Ich glaube, die Erklärung liegt einfach in der Thatsache, dasz Leim ein zu kräftiges Reizmittel ist (wie rohes Fleisch, oder phos- phorsaurer Kalk, oder selbst ein zu groszes Stück Eiweisz) und dasz er die Drüsen verletzt oder tödtet, ehe sie Zeit gehabt haben, eine genügende Menge der passenden Absonderung zu ergieszen. Dasz etwas Substanz aus dem Leim absorbirt wird, dafür gibt die Länge der Zeit einen deutlichen Beleg, während welcher die Tentakeln ein- gebogen bleiben, ebenso die bedeutend veränderte Färbung der Drüsen. Auf den Rath des Dr. Sanderson wurde etwas Leim 15 Stunden lang in schwacher Salzsäure (0,02 Procent) gelassen, um die Stärke daraus zu entfernen. Er wurde farblos, durchsichtiger und aufge- schwollen. Kleine Partien wurden gewaschen und auf fünf Blätter gebracht, welche bald dicht eingebogen wurden, sich aber zu meiner Überraschung in 48 Stunden vollständig wieder ausbreiteten. Auf zweien der Blätter war nur eine Spur von Leim zurückgeblieben, und nicht eine Spur auf den andern dreien. Die klebrige und saure Ab- sonderung, welche auf den Scheiben der letzten drei Blätter geblieben war, wurde abgeschabt und von meinem Sohne mit einer starken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/119
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/119>, abgerufen am 25.11.2024.