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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673.

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Vom Gewalt der Schlüssel.
gemacht/ auff daß er viel gewinne/ und jedermann allerley wor-
dden/ auff daß er allenthalben ja etliche selich mache. 1. Cor. 9.
Die Application und Zueignung dieses Mittels bestehet sonderlich in dem
Hören/ daß man mit sich handlen und reden laßt/ die Motiven annimmt/
und sich eines bessern bedencket. Es gibt manchen störrischen Kopff/ mit
dem nicht umzugehen ist; Schnarcher/ die sich nicht wollen berichten
lassen. Mit welchen man es offt versuchet/ die aber auff ihren Eylffen blei-
ben/ werffen mit ungezogenen/ groben und unleidlichen Worten um sich/
seynd nicht zum Verstand zu bringen. Da folget alsdann der andere
Grad/ nemlich der Richter/ davon mit nächstem ein mehreres wird zu
reden seyn.

Wann nun dieses Mittel allezeit versucht und getrieben würde/ so
würden wir nicht manchmahl wie Cyclopes, wie Wölff und Bären unter
einander leben; das/ was auff blossem Argwohn bestehet/ auß dem Sinn
schlagen; was geringe/ und vom Temperament herrührende Fehler seynd/
(wie dann der sanguineus den melancholicum, und dieser jenen nicht
wol vertragen kan) doch nicht so hoch empfinden/ auß der Mucke einen
Elephanten machen/ und um eines jeden Dings willen/ das der Rede
nicht werth/ ein Feur anzünden; sondern solche injuriolas unter die Pillu-
len referiren/ welche man nicht lang im Mund herum werffen/ sondern
bald verschlucken muß. Wäre es aber etwa der Rede werth/ so würde
man es doch in geheim collegialisch und brüderlich mit einander auß-
machen/ und also allen Mißverstand beylegen. Man würde mehr sehen
auff den Seelen-Gewinn/ als auff Reputation und zeitliche Ehre. Ach
wie ein schön Englisches Leben würde das seyn/ wie der liebliche Balsam
des Haupts Aarons/ und wie der köstliche Thau des Gebürges Hermon/
Ps. 133. Aber dieweil/ wie die Erfahrung bezeugt/ man sich manchmahl
Feinde dichtet/ den Mähren-Tragern glaubet/ oder Oel ins Feur giesset/ mit
unbilligen Stich-Worten um sich wirfft/ daß man nicht weiß/ obs gehauen
oder gestochen. Oder weil man die rechte Ordnung nicht wahr nimmt/
keines mag dem andern das Maul gönnen/ ist allenthalben schon außblä-
sinirt/ ehe und dann der Nächste davon gehöret. Weil nicht seiner Seelen
Gewinn und Zuruckholung/ sondern seine Verschreyung/ Verkleinerung
und Verschimpffung gesucht wird/ und die Calumnia, das Geschwätz-
Werck/ das Mährlein-Tragen dazu kommt/ so brennets in allen Gassen/
und gehets wie in der Faßnacht. Sonderlich wann der corrigendus und
Zucht-würdige keine Privat-Zucht und Vermahnung annehmen wil/
wann niemand will gefehlet haben/ und nicht gedencket/ ut sol quandoque

tenebris,
N n ij

Vom Gewalt der Schluͤſſel.
gemacht/ auff daß er viel gewinne/ und jedermann allerley wor-
dden/ auff daß er allenthalben ja etliche ſelich mache. 1. Cor. 9.
Die Application und Zueignung dieſes Mittels beſtehet ſonderlich in dem
Hoͤren/ daß man mit ſich handlen und reden laßt/ die Motiven annimmt/
und ſich eines beſſern bedencket. Es gibt manchen ſtoͤrriſchen Kopff/ mit
dem nicht umzugehen iſt; Schnarcher/ die ſich nicht wollen berichten
laſſen. Mit welchen man es offt verſuchet/ die aber auff ihren Eylffen blei-
ben/ werffen mit ungezogenen/ groben und unleidlichen Worten um ſich/
ſeynd nicht zum Verſtand zu bringen. Da folget alsdann der andere
Grad/ nemlich der Richter/ davon mit naͤchſtem ein mehreres wird zu
reden ſeyn.

Wann nun dieſes Mittel allezeit verſucht und getrieben wuͤrde/ ſo
wuͤrden wir nicht manchmahl wie Cyclopes, wie Woͤlff und Baͤren unter
einander leben; das/ was auff bloſſem Argwohn beſtehet/ auß dem Sinn
ſchlagen; was geringe/ und vom Temperament herruͤhrende Fehler ſeynd/
(wie dann der ſanguineus den melancholicum, und dieſer jenen nicht
wol vertragen kan) doch nicht ſo hoch empfinden/ auß der Mucke einen
Elephanten machen/ und um eines jeden Dings willen/ das der Rede
nicht werth/ ein Feur anzuͤnden; ſondern ſolche injuriolas unter die Pillu-
len referiren/ welche man nicht lang im Mund herum werffen/ ſondern
bald verſchlucken muß. Waͤre es aber etwa der Rede werth/ ſo wuͤrde
man es doch in geheim collegialiſch und bruͤderlich mit einander auß-
machen/ und alſo allen Mißverſtand beylegen. Man wuͤrde mehr ſehen
auff den Seelen-Gewinn/ als auff Reputation und zeitliche Ehre. Ach
wie ein ſchoͤn Engliſches Leben wuͤrde das ſeyn/ wie der liebliche Balſam
des Haupts Aarons/ und wie der koͤſtliche Thau des Gebuͤrges Hermon/
Pſ. 133. Aber dieweil/ wie die Erfahrung bezeugt/ man ſich manchmahl
Feinde dichtet/ den Maͤhren-Tragern glaubet/ oder Oel ins Feur gieſſet/ mit
unbilligen Stich-Worten um ſich wirfft/ daß man nicht weiß/ obs gehauen
oder geſtochen. Oder weil man die rechte Ordnung nicht wahr nimmt/
keines mag dem andern das Maul goͤnnen/ iſt allenthalben ſchon außblaͤ-
ſinirt/ ehe und dann der Naͤchſte davon gehoͤret. Weil nicht ſeiner Seelen
Gewinn und Zuruckholung/ ſondern ſeine Verſchreyung/ Verkleinerung
und Verſchimpffung geſucht wird/ und die Calumnia, das Geſchwaͤtz-
Werck/ das Maͤhrlein-Tragen dazu kommt/ ſo brennets in allen Gaſſen/
und gehets wie in der Faßnacht. Sonderlich wann der corrigendus und
Zucht-wuͤrdige keine Privat-Zucht und Vermahnung annehmen wil/
wann niemand will gefehlet haben/ und nicht gedencket/ ut ſol quandoque

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[283/0301] Vom Gewalt der Schluͤſſel. gemacht/ auff daß er viel gewinne/ und jedermann allerley wor- dden/ auff daß er allenthalben ja etliche ſelich mache. 1. Cor. 9. Die Application und Zueignung dieſes Mittels beſtehet ſonderlich in dem Hoͤren/ daß man mit ſich handlen und reden laßt/ die Motiven annimmt/ und ſich eines beſſern bedencket. Es gibt manchen ſtoͤrriſchen Kopff/ mit dem nicht umzugehen iſt; Schnarcher/ die ſich nicht wollen berichten laſſen. Mit welchen man es offt verſuchet/ die aber auff ihren Eylffen blei- ben/ werffen mit ungezogenen/ groben und unleidlichen Worten um ſich/ ſeynd nicht zum Verſtand zu bringen. Da folget alsdann der andere Grad/ nemlich der Richter/ davon mit naͤchſtem ein mehreres wird zu reden ſeyn. Wann nun dieſes Mittel allezeit verſucht und getrieben wuͤrde/ ſo wuͤrden wir nicht manchmahl wie Cyclopes, wie Woͤlff und Baͤren unter einander leben; das/ was auff bloſſem Argwohn beſtehet/ auß dem Sinn ſchlagen; was geringe/ und vom Temperament herruͤhrende Fehler ſeynd/ (wie dann der ſanguineus den melancholicum, und dieſer jenen nicht wol vertragen kan) doch nicht ſo hoch empfinden/ auß der Mucke einen Elephanten machen/ und um eines jeden Dings willen/ das der Rede nicht werth/ ein Feur anzuͤnden; ſondern ſolche injuriolas unter die Pillu- len referiren/ welche man nicht lang im Mund herum werffen/ ſondern bald verſchlucken muß. Waͤre es aber etwa der Rede werth/ ſo wuͤrde man es doch in geheim collegialiſch und bruͤderlich mit einander auß- machen/ und alſo allen Mißverſtand beylegen. Man wuͤrde mehr ſehen auff den Seelen-Gewinn/ als auff Reputation und zeitliche Ehre. Ach wie ein ſchoͤn Engliſches Leben wuͤrde das ſeyn/ wie der liebliche Balſam des Haupts Aarons/ und wie der koͤſtliche Thau des Gebuͤrges Hermon/ Pſ. 133. Aber dieweil/ wie die Erfahrung bezeugt/ man ſich manchmahl Feinde dichtet/ den Maͤhren-Tragern glaubet/ oder Oel ins Feur gieſſet/ mit unbilligen Stich-Worten um ſich wirfft/ daß man nicht weiß/ obs gehauen oder geſtochen. Oder weil man die rechte Ordnung nicht wahr nimmt/ keines mag dem andern das Maul goͤnnen/ iſt allenthalben ſchon außblaͤ- ſinirt/ ehe und dann der Naͤchſte davon gehoͤret. Weil nicht ſeiner Seelen Gewinn und Zuruckholung/ ſondern ſeine Verſchreyung/ Verkleinerung und Verſchimpffung geſucht wird/ und die Calumnia, das Geſchwaͤtz- Werck/ das Maͤhrlein-Tragen dazu kommt/ ſo brennets in allen Gaſſen/ und gehets wie in der Faßnacht. Sonderlich wann der corrigendus und Zucht-wuͤrdige keine Privat-Zucht und Vermahnung annehmen wil/ wann niemand will gefehlet haben/ und nicht gedencket/ ut ſol quandoque tenebris, N n ij

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus10_1673/301>, abgerufen am 22.11.2024.