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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Zweites Capitel.

64. Vornehmlich krankten die Finanzen. Schon seit
der Dalmatier Diocletian das Reich um besserer Ordnung
Willen in vier Kaisertheile theilte, die doch nach seinem
Wunsche ein Ganzes bilden sollten, ging die Steuerfreiheit
Italiens, so oft factisch schon verletzt, auch dem Grund-
satze nach verloren. Aber Italien war nicht mehr uner-
schöpflich. Die Zahl der Privat-Vermögen von könig-
lichem Umfange schmolz zusammen, seit besoldete Statt-
halter waren, und nur der Kaiser in Person erobern durfte.
Aber für den kaiserlichen Bedarf wurden jetzt die Provin-
zen ausgeraubt, räuberische Beamte fanden Vorschub, um
hernach wie ein Schwamm ausgedrückt zu werden; schon
Caracalla verlieh allen Freigeborenen im Römischen Reiche
Römisches Bürgerrecht, lediglich um der Steuern Willen,
die mit diesem Rechte zusammenhingen. Die neue Ord-
nung, welche Diocletian und Constantin in das Abgaben-
wesen brachten, erleichterte schlechten Kaisern die jährlichen
Steuererhöhungen, doppelt peinigend durch ein Quoten-
System. Der unerträgliche Steuerdruck erschuf eine dem
Reiche bisher fremde Classe der Bevölkerung: leibeigene
Bauern, und nicht bloß in Gallien endlose Kriege dieser
Bagauden gegen ihre Dränger.

65. Das verzweifelnde Landvolk begrüßte in den
Soldaten seine Protectoren, die auch wirklich oft besser,
gegen das Gesetz eingreifend, halfen, als den unter Ar-
menlasten und solidarischer Steuerhaftung seufzenden, doch
im Glanz der Gebäude strahlenden Städten ihre gesetzlich
bestellten Defensoren. Denn der Soldat war weder Rö-
misch noch Italisch mehr, auch gehörte er nicht den Pro-
vinzen ohne Unterschied an; er ward in den Gränzprovin-
zen zusammengeworben, an beiden Seiten der Gränze,

Zweites Capitel.

64. Vornehmlich krankten die Finanzen. Schon ſeit
der Dalmatier Diocletian das Reich um beſſerer Ordnung
Willen in vier Kaiſertheile theilte, die doch nach ſeinem
Wunſche ein Ganzes bilden ſollten, ging die Steuerfreiheit
Italiens, ſo oft factiſch ſchon verletzt, auch dem Grund-
ſatze nach verloren. Aber Italien war nicht mehr uner-
ſchoͤpflich. Die Zahl der Privat-Vermoͤgen von koͤnig-
lichem Umfange ſchmolz zuſammen, ſeit beſoldete Statt-
halter waren, und nur der Kaiſer in Perſon erobern durfte.
Aber fuͤr den kaiſerlichen Bedarf wurden jetzt die Provin-
zen ausgeraubt, raͤuberiſche Beamte fanden Vorſchub, um
hernach wie ein Schwamm ausgedruͤckt zu werden; ſchon
Caracalla verlieh allen Freigeborenen im Roͤmiſchen Reiche
Roͤmiſches Buͤrgerrecht, lediglich um der Steuern Willen,
die mit dieſem Rechte zuſammenhingen. Die neue Ord-
nung, welche Diocletian und Conſtantin in das Abgaben-
weſen brachten, erleichterte ſchlechten Kaiſern die jaͤhrlichen
Steuererhoͤhungen, doppelt peinigend durch ein Quoten-
Syſtem. Der unertraͤgliche Steuerdruck erſchuf eine dem
Reiche bisher fremde Claſſe der Bevoͤlkerung: leibeigene
Bauern, und nicht bloß in Gallien endloſe Kriege dieſer
Bagauden gegen ihre Draͤnger.

65. Das verzweifelnde Landvolk begruͤßte in den
Soldaten ſeine Protectoren, die auch wirklich oft beſſer,
gegen das Geſetz eingreifend, halfen, als den unter Ar-
menlaſten und ſolidariſcher Steuerhaftung ſeufzenden, doch
im Glanz der Gebaͤude ſtrahlenden Staͤdten ihre geſetzlich
beſtellten Defenſoren. Denn der Soldat war weder Roͤ-
miſch noch Italiſch mehr, auch gehoͤrte er nicht den Pro-
vinzen ohne Unterſchied an; er ward in den Graͤnzprovin-
zen zuſammengeworben, an beiden Seiten der Graͤnze,

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[48/0060] Zweites Capitel. 64. Vornehmlich krankten die Finanzen. Schon ſeit der Dalmatier Diocletian das Reich um beſſerer Ordnung Willen in vier Kaiſertheile theilte, die doch nach ſeinem Wunſche ein Ganzes bilden ſollten, ging die Steuerfreiheit Italiens, ſo oft factiſch ſchon verletzt, auch dem Grund- ſatze nach verloren. Aber Italien war nicht mehr uner- ſchoͤpflich. Die Zahl der Privat-Vermoͤgen von koͤnig- lichem Umfange ſchmolz zuſammen, ſeit beſoldete Statt- halter waren, und nur der Kaiſer in Perſon erobern durfte. Aber fuͤr den kaiſerlichen Bedarf wurden jetzt die Provin- zen ausgeraubt, raͤuberiſche Beamte fanden Vorſchub, um hernach wie ein Schwamm ausgedruͤckt zu werden; ſchon Caracalla verlieh allen Freigeborenen im Roͤmiſchen Reiche Roͤmiſches Buͤrgerrecht, lediglich um der Steuern Willen, die mit dieſem Rechte zuſammenhingen. Die neue Ord- nung, welche Diocletian und Conſtantin in das Abgaben- weſen brachten, erleichterte ſchlechten Kaiſern die jaͤhrlichen Steuererhoͤhungen, doppelt peinigend durch ein Quoten- Syſtem. Der unertraͤgliche Steuerdruck erſchuf eine dem Reiche bisher fremde Claſſe der Bevoͤlkerung: leibeigene Bauern, und nicht bloß in Gallien endloſe Kriege dieſer Bagauden gegen ihre Draͤnger. 65. Das verzweifelnde Landvolk begruͤßte in den Soldaten ſeine Protectoren, die auch wirklich oft beſſer, gegen das Geſetz eingreifend, halfen, als den unter Ar- menlaſten und ſolidariſcher Steuerhaftung ſeufzenden, doch im Glanz der Gebaͤude ſtrahlenden Staͤdten ihre geſetzlich beſtellten Defenſoren. Denn der Soldat war weder Roͤ- miſch noch Italiſch mehr, auch gehoͤrte er nicht den Pro- vinzen ohne Unterſchied an; er ward in den Graͤnzprovin- zen zuſammengeworben, an beiden Seiten der Graͤnze,

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/60>, abgerufen am 22.11.2024.