Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsverfassung der Alten. Rom.
nachtheilig war; denn den Kern des Senats bildete jetzt
eine geprüfte Versammlung von Männern beider Stände,
welche in den höchsten Staatswürden gestanden hatten.

58. Fragt man nun, wie es kam, daß nach der Auf-
hebung des alten Gegensatzes von Adel und Gemeinden
jetzt, bei dem längst verlorenen Königthum, nicht geradezu
reine Demokratie einbrach und durch sie Anarchie, sondern
vielmehr die Staatsordnung lange Zeit eine ernste und
hohe Haltung behielt, so liegt der Grund dieser merkwür-
digen Erscheinung keineswegs allein in der Religiosität und
lange streng bewahrten Familien-Sitte, sondern ebenfalls
in der Nachwirkung der alten Institutionen auf die öffentliche
Sitte, fruchtbar für die Mäßigung und wohlthätige Stä-
tigkeit der neuen. Darum, daß die Römische Volksver-
sammlung nie dahin gerieth, bloß nach Köpfen stimmen zu
wollen; darum, daß Anträge zu Beschlüssen oder Gesetzen
nie aus der Volksversammlung hervorgingen, sondern von
dem Senat ausgingen, oder den Consuln, oder den Volks-
Tribunen. Daher die Bewahrung der Lebenslänglichkeit
und würdigen Stellung ihres Senats, und die Ehrfurcht
vor seinem Gutachten. In eben diesem Sinne ließ man
einen gewissen Gegensatz von Demokratie und Aristokratie
fortbestehen, indem man die beiden Formen der Volksver-
sammlung beibehielt. Die gesetzgebende Gewalt zwar ruhte
wesentlich in den Tribut-Comitien; außer den Volks-
Tribunen wurden auch die Ädilen und die niederen Magistrate
hier gewählt, wo jeder Römische Bürger ohne Unterschied
des Vermögens stimmte. Den Centuriat-Comitien
aber blieb die Wahl aller (früher) altpatricischen Magistrate
vorbehalten, die Entscheidung über Krieg und Frieden und
das höchste Criminalgericht. In diesen Comitien ward in

Staatsverfaſſung der Alten. Rom.
nachtheilig war; denn den Kern des Senats bildete jetzt
eine gepruͤfte Verſammlung von Maͤnnern beider Staͤnde,
welche in den hoͤchſten Staatswuͤrden geſtanden hatten.

58. Fragt man nun, wie es kam, daß nach der Auf-
hebung des alten Gegenſatzes von Adel und Gemeinden
jetzt, bei dem laͤngſt verlorenen Koͤnigthum, nicht geradezu
reine Demokratie einbrach und durch ſie Anarchie, ſondern
vielmehr die Staatsordnung lange Zeit eine ernſte und
hohe Haltung behielt, ſo liegt der Grund dieſer merkwuͤr-
digen Erſcheinung keineswegs allein in der Religioſitaͤt und
lange ſtreng bewahrten Familien-Sitte, ſondern ebenfalls
in der Nachwirkung der alten Inſtitutionen auf die oͤffentliche
Sitte, fruchtbar fuͤr die Maͤßigung und wohlthaͤtige Staͤ-
tigkeit der neuen. Darum, daß die Roͤmiſche Volksver-
ſammlung nie dahin gerieth, bloß nach Koͤpfen ſtimmen zu
wollen; darum, daß Antraͤge zu Beſchluͤſſen oder Geſetzen
nie aus der Volksverſammlung hervorgingen, ſondern von
dem Senat ausgingen, oder den Conſuln, oder den Volks-
Tribunen. Daher die Bewahrung der Lebenslaͤnglichkeit
und wuͤrdigen Stellung ihres Senats, und die Ehrfurcht
vor ſeinem Gutachten. In eben dieſem Sinne ließ man
einen gewiſſen Gegenſatz von Demokratie und Ariſtokratie
fortbeſtehen, indem man die beiden Formen der Volksver-
ſammlung beibehielt. Die geſetzgebende Gewalt zwar ruhte
weſentlich in den Tribut-Comitien; außer den Volks-
Tribunen wurden auch die Ädilen und die niederen Magiſtrate
hier gewaͤhlt, wo jeder Roͤmiſche Buͤrger ohne Unterſchied
des Vermoͤgens ſtimmte. Den Centuriat-Comitien
aber blieb die Wahl aller (fruͤher) altpatriciſchen Magiſtrate
vorbehalten, die Entſcheidung uͤber Krieg und Frieden und
das hoͤchſte Criminalgericht. In dieſen Comitien ward in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0053" n="41"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung der Alten. Rom</hi>.</fw><lb/>
nachtheilig war; denn den Kern des Senats bildete jetzt<lb/>
eine gepru&#x0364;fte Ver&#x017F;ammlung von Ma&#x0364;nnern beider Sta&#x0364;nde,<lb/>
welche in den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Staatswu&#x0364;rden ge&#x017F;tanden hatten.</p><lb/>
              <p>58. Fragt man nun, wie es kam, daß nach der Auf-<lb/>
hebung des alten Gegen&#x017F;atzes von Adel und Gemeinden<lb/>
jetzt, bei dem la&#x0364;ng&#x017F;t verlorenen Ko&#x0364;nigthum, nicht geradezu<lb/>
reine Demokratie einbrach und durch &#x017F;ie Anarchie, &#x017F;ondern<lb/>
vielmehr die Staatsordnung lange Zeit eine ern&#x017F;te und<lb/>
hohe Haltung behielt, &#x017F;o liegt der Grund die&#x017F;er merkwu&#x0364;r-<lb/>
digen Er&#x017F;cheinung keineswegs allein in der Religio&#x017F;ita&#x0364;t und<lb/>
lange &#x017F;treng bewahrten Familien-Sitte, &#x017F;ondern ebenfalls<lb/>
in der Nachwirkung der alten In&#x017F;titutionen auf die o&#x0364;ffentliche<lb/>
Sitte, fruchtbar fu&#x0364;r die Ma&#x0364;ßigung und wohltha&#x0364;tige Sta&#x0364;-<lb/>
tigkeit der neuen. Darum, daß die Ro&#x0364;mi&#x017F;che Volksver-<lb/>
&#x017F;ammlung nie dahin gerieth, bloß nach Ko&#x0364;pfen &#x017F;timmen zu<lb/>
wollen; darum, daß Antra&#x0364;ge zu Be&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en oder Ge&#x017F;etzen<lb/>
nie aus der Volksver&#x017F;ammlung hervorgingen, &#x017F;ondern von<lb/>
dem Senat ausgingen, oder den Con&#x017F;uln, oder den Volks-<lb/>
Tribunen. Daher die Bewahrung der Lebensla&#x0364;nglichkeit<lb/>
und wu&#x0364;rdigen Stellung ihres Senats, und die Ehrfurcht<lb/>
vor &#x017F;einem Gutachten. In eben die&#x017F;em Sinne ließ man<lb/>
einen gewi&#x017F;&#x017F;en Gegen&#x017F;atz von Demokratie und Ari&#x017F;tokratie<lb/>
fortbe&#x017F;tehen, indem man die beiden Formen der Volksver-<lb/>
&#x017F;ammlung beibehielt. Die ge&#x017F;etzgebende Gewalt zwar ruhte<lb/>
we&#x017F;entlich in den <hi rendition="#g">Tribut-Comitien</hi>; außer den Volks-<lb/>
Tribunen wurden auch die Ädilen und die niederen Magi&#x017F;trate<lb/>
hier gewa&#x0364;hlt, wo jeder Ro&#x0364;mi&#x017F;che Bu&#x0364;rger ohne Unter&#x017F;chied<lb/>
des Vermo&#x0364;gens &#x017F;timmte. Den <hi rendition="#g">Centuriat-Comitien</hi><lb/>
aber blieb die Wahl aller (fru&#x0364;her) altpatrici&#x017F;chen Magi&#x017F;trate<lb/>
vorbehalten, die Ent&#x017F;cheidung u&#x0364;ber Krieg und Frieden und<lb/>
das ho&#x0364;ch&#x017F;te Criminalgericht. In die&#x017F;en Comitien ward in<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0053] Staatsverfaſſung der Alten. Rom. nachtheilig war; denn den Kern des Senats bildete jetzt eine gepruͤfte Verſammlung von Maͤnnern beider Staͤnde, welche in den hoͤchſten Staatswuͤrden geſtanden hatten. 58. Fragt man nun, wie es kam, daß nach der Auf- hebung des alten Gegenſatzes von Adel und Gemeinden jetzt, bei dem laͤngſt verlorenen Koͤnigthum, nicht geradezu reine Demokratie einbrach und durch ſie Anarchie, ſondern vielmehr die Staatsordnung lange Zeit eine ernſte und hohe Haltung behielt, ſo liegt der Grund dieſer merkwuͤr- digen Erſcheinung keineswegs allein in der Religioſitaͤt und lange ſtreng bewahrten Familien-Sitte, ſondern ebenfalls in der Nachwirkung der alten Inſtitutionen auf die oͤffentliche Sitte, fruchtbar fuͤr die Maͤßigung und wohlthaͤtige Staͤ- tigkeit der neuen. Darum, daß die Roͤmiſche Volksver- ſammlung nie dahin gerieth, bloß nach Koͤpfen ſtimmen zu wollen; darum, daß Antraͤge zu Beſchluͤſſen oder Geſetzen nie aus der Volksverſammlung hervorgingen, ſondern von dem Senat ausgingen, oder den Conſuln, oder den Volks- Tribunen. Daher die Bewahrung der Lebenslaͤnglichkeit und wuͤrdigen Stellung ihres Senats, und die Ehrfurcht vor ſeinem Gutachten. In eben dieſem Sinne ließ man einen gewiſſen Gegenſatz von Demokratie und Ariſtokratie fortbeſtehen, indem man die beiden Formen der Volksver- ſammlung beibehielt. Die geſetzgebende Gewalt zwar ruhte weſentlich in den Tribut-Comitien; außer den Volks- Tribunen wurden auch die Ädilen und die niederen Magiſtrate hier gewaͤhlt, wo jeder Roͤmiſche Buͤrger ohne Unterſchied des Vermoͤgens ſtimmte. Den Centuriat-Comitien aber blieb die Wahl aller (fruͤher) altpatriciſchen Magiſtrate vorbehalten, die Entſcheidung uͤber Krieg und Frieden und das hoͤchſte Criminalgericht. In dieſen Comitien ward in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/53
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/53>, abgerufen am 25.11.2024.