Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Capitel.
war ein kärglich zugemessener Besitz; zwei Joch Ackers
konnten für den Hausstand an Korn und Baumfrucht
wenig leisten, und der Viehstand auf der Gemeinweide
mußte wol das Beste thun; aber als das Staatsgebiet
sich vergrößerte, nahmen die Geschlechter als regierende
Gemeinde den meisten Zuwachs in ihre ausschließliche
Nutzung, genug wenn jedes von seinem Antheil den Zehn-
ten an die Staatscasse zu entrichten versprach. Auf die-
sem seinem Staatsacker ließ der Adel zahlreiche Untergehö-
rige wohnen, sey's daß sie ein Gewerbe betrieben, oder
ein Paar Joch Landes bittweise bauen durften. Nach
ihrer Menge maaß man die Gewalt eines Geschlechtes.
Sie selber, die Clienten, wurden in die Geschlechter mit-
hineingezählt, aber bloß als dienende Mitglieder, die der
Staat nur durch ihre gentilen Vertreter kannte. Es fehlte
zwar dem Verhältnisse nicht an Würde und Gegenseitigkeit,
aber Ausartung in Helotismus lag nahe, nur daß bei der
charakteristischen Stärke des Römischen Familienbandes, tief
ausgeprägt in väterlicher Gewalt und Ehe, an ein Opfer
der Familie, wie Lykurg's Volk es täglich brachte, nicht
zu denken war.

49. Sonst ist die Staatsanlage Spartanisch genug.
Denn eben so wenig als die Clienten hatten die freien
bürgerlichen Grundbesitzer im wachsenden Römischen Ge-
biete, Plebejer geheißen, irgend einen Antheil an der Re-
gierung. Ihre Familien wohnten in 30 Bezirken (regio-
nes
), die Bevölkerung jedes Bezirks bildete eine Gemeinde,
welche tribus hieß, ohne mehr als den Namen mit den
patricischen Geschlechter-Tribus gemein zu haben. König
Servius Tullius gab der Plebs diese Eintheilung. Die
Gemeinde-Angelegenheiten der Tribulen eines Bezirks durfte

Zweites Capitel.
war ein kaͤrglich zugemeſſener Beſitz; zwei Joch Ackers
konnten fuͤr den Hausſtand an Korn und Baumfrucht
wenig leiſten, und der Viehſtand auf der Gemeinweide
mußte wol das Beſte thun; aber als das Staatsgebiet
ſich vergroͤßerte, nahmen die Geſchlechter als regierende
Gemeinde den meiſten Zuwachs in ihre ausſchließliche
Nutzung, genug wenn jedes von ſeinem Antheil den Zehn-
ten an die Staatscaſſe zu entrichten verſprach. Auf die-
ſem ſeinem Staatsacker ließ der Adel zahlreiche Untergehoͤ-
rige wohnen, ſey’s daß ſie ein Gewerbe betrieben, oder
ein Paar Joch Landes bittweiſe bauen durften. Nach
ihrer Menge maaß man die Gewalt eines Geſchlechtes.
Sie ſelber, die Clienten, wurden in die Geſchlechter mit-
hineingezaͤhlt, aber bloß als dienende Mitglieder, die der
Staat nur durch ihre gentilen Vertreter kannte. Es fehlte
zwar dem Verhaͤltniſſe nicht an Wuͤrde und Gegenſeitigkeit,
aber Ausartung in Helotismus lag nahe, nur daß bei der
charakteriſtiſchen Staͤrke des Roͤmiſchen Familienbandes, tief
ausgepraͤgt in vaͤterlicher Gewalt und Ehe, an ein Opfer
der Familie, wie Lykurg’s Volk es taͤglich brachte, nicht
zu denken war.

49. Sonſt iſt die Staatsanlage Spartaniſch genug.
Denn eben ſo wenig als die Clienten hatten die freien
buͤrgerlichen Grundbeſitzer im wachſenden Roͤmiſchen Ge-
biete, Plebejer geheißen, irgend einen Antheil an der Re-
gierung. Ihre Familien wohnten in 30 Bezirken (regio-
nes
), die Bevoͤlkerung jedes Bezirks bildete eine Gemeinde,
welche tribus hieß, ohne mehr als den Namen mit den
patriciſchen Geſchlechter-Tribus gemein zu haben. Koͤnig
Servius Tullius gab der Plebs dieſe Eintheilung. Die
Gemeinde-Angelegenheiten der Tribulen eines Bezirks durfte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0046" n="34"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/>
war ein ka&#x0364;rglich zugeme&#x017F;&#x017F;ener Be&#x017F;itz; zwei Joch Ackers<lb/>
konnten fu&#x0364;r den Haus&#x017F;tand an Korn und Baumfrucht<lb/>
wenig lei&#x017F;ten, und der Vieh&#x017F;tand auf der Gemeinweide<lb/>
mußte wol das Be&#x017F;te thun; aber als das Staatsgebiet<lb/>
&#x017F;ich vergro&#x0364;ßerte, nahmen die Ge&#x017F;chlechter als regierende<lb/>
Gemeinde den mei&#x017F;ten Zuwachs in ihre aus&#x017F;chließliche<lb/>
Nutzung, genug wenn jedes von &#x017F;einem Antheil den Zehn-<lb/>
ten an die Staatsca&#x017F;&#x017F;e zu entrichten ver&#x017F;prach. Auf die-<lb/>
&#x017F;em &#x017F;einem Staatsacker ließ der Adel zahlreiche Untergeho&#x0364;-<lb/>
rige wohnen, &#x017F;ey&#x2019;s daß &#x017F;ie ein Gewerbe betrieben, oder<lb/>
ein Paar Joch Landes bittwei&#x017F;e bauen durften. Nach<lb/>
ihrer Menge maaß man die Gewalt eines Ge&#x017F;chlechtes.<lb/>
Sie &#x017F;elber, die Clienten, wurden in die Ge&#x017F;chlechter mit-<lb/>
hineingeza&#x0364;hlt, aber bloß als dienende Mitglieder, die der<lb/>
Staat nur durch ihre gentilen Vertreter kannte. Es fehlte<lb/>
zwar dem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e nicht an Wu&#x0364;rde und Gegen&#x017F;eitigkeit,<lb/>
aber Ausartung in Helotismus lag nahe, nur daß bei der<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Sta&#x0364;rke des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Familienbandes, tief<lb/>
ausgepra&#x0364;gt in va&#x0364;terlicher Gewalt und Ehe, an ein Opfer<lb/>
der Familie, wie Lykurg&#x2019;s Volk es ta&#x0364;glich brachte, nicht<lb/>
zu denken war.</p><lb/>
              <p>49. Son&#x017F;t i&#x017F;t die Staatsanlage Spartani&#x017F;ch genug.<lb/>
Denn eben &#x017F;o wenig als die Clienten hatten die freien<lb/>
bu&#x0364;rgerlichen Grundbe&#x017F;itzer im wach&#x017F;enden Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Ge-<lb/>
biete, Plebejer geheißen, irgend einen Antheil an der Re-<lb/>
gierung. Ihre Familien wohnten in 30 Bezirken (<hi rendition="#aq">regio-<lb/>
nes</hi>), die Bevo&#x0364;lkerung jedes Bezirks bildete eine Gemeinde,<lb/>
welche <hi rendition="#aq">tribus</hi> hieß, ohne mehr als den Namen mit den<lb/>
patrici&#x017F;chen Ge&#x017F;chlechter-Tribus gemein zu haben. Ko&#x0364;nig<lb/>
Servius Tullius gab der Plebs die&#x017F;e Eintheilung. Die<lb/>
Gemeinde-Angelegenheiten der Tribulen eines Bezirks durfte<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0046] Zweites Capitel. war ein kaͤrglich zugemeſſener Beſitz; zwei Joch Ackers konnten fuͤr den Hausſtand an Korn und Baumfrucht wenig leiſten, und der Viehſtand auf der Gemeinweide mußte wol das Beſte thun; aber als das Staatsgebiet ſich vergroͤßerte, nahmen die Geſchlechter als regierende Gemeinde den meiſten Zuwachs in ihre ausſchließliche Nutzung, genug wenn jedes von ſeinem Antheil den Zehn- ten an die Staatscaſſe zu entrichten verſprach. Auf die- ſem ſeinem Staatsacker ließ der Adel zahlreiche Untergehoͤ- rige wohnen, ſey’s daß ſie ein Gewerbe betrieben, oder ein Paar Joch Landes bittweiſe bauen durften. Nach ihrer Menge maaß man die Gewalt eines Geſchlechtes. Sie ſelber, die Clienten, wurden in die Geſchlechter mit- hineingezaͤhlt, aber bloß als dienende Mitglieder, die der Staat nur durch ihre gentilen Vertreter kannte. Es fehlte zwar dem Verhaͤltniſſe nicht an Wuͤrde und Gegenſeitigkeit, aber Ausartung in Helotismus lag nahe, nur daß bei der charakteriſtiſchen Staͤrke des Roͤmiſchen Familienbandes, tief ausgepraͤgt in vaͤterlicher Gewalt und Ehe, an ein Opfer der Familie, wie Lykurg’s Volk es taͤglich brachte, nicht zu denken war. 49. Sonſt iſt die Staatsanlage Spartaniſch genug. Denn eben ſo wenig als die Clienten hatten die freien buͤrgerlichen Grundbeſitzer im wachſenden Roͤmiſchen Ge- biete, Plebejer geheißen, irgend einen Antheil an der Re- gierung. Ihre Familien wohnten in 30 Bezirken (regio- nes), die Bevoͤlkerung jedes Bezirks bildete eine Gemeinde, welche tribus hieß, ohne mehr als den Namen mit den patriciſchen Geſchlechter-Tribus gemein zu haben. Koͤnig Servius Tullius gab der Plebs dieſe Eintheilung. Die Gemeinde-Angelegenheiten der Tribulen eines Bezirks durfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/46
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/46>, abgerufen am 22.12.2024.