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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Staatsverfassung der Alten. Athen.
schlechter, die sich Milchbrüder unter einander nannten,
wohnten mit dem Könige auf dem befestigten Burghügel,
theilten mit ihm die Priesterthümer, die Verwaltung des
Rechts, thaten den Reuterdienst. Ausschuß des Adels
war der Rath der Dreihundert. Wenn es eine Volksver-
sammlung derzeit gab außer der der Adels-Geschlechter,
so war doch die Entscheidung bei diesen. Mancher Bür-
ger baute in schwerem Frohn Eupatridisches Land; man-
cher büste Schulden mit Knechtschaft ab.

39. Ob die Könige versucht haben, den Gemeinfreien
Rechte in der Versammlung zu verschaffen, weiß man
nicht; aber dem Adel gelang es, das Königthum zu über-
wältigen. Er setzte an die Stelle desselben einen verant-
wortlichen Regenten (Archon) aus dem Königshause, über-
nahm selber die Herrschaft; er ging weiter; denn als die
Lebenslänglichkeit und die alte Ehrfurcht vor dem ersten
Hause des Staats den Erb-Regenten immer noch zu hoch
stellte, beschränkte man das Erb-Amt auf zehn Jahre;
bis man endlich dahin kam, den Vorzug des königlichen
Hauses ganz aufzuheben, und neun jährlich aus dem
Adel zu erwählende Archonten an die Stelle setzte. Was
das Königthum gewesen war, durfte fortan der Haupt-
sache nach als bloße Richtergewalt in Sachen polizeylicher,
bürgerlicher und freiwilliger Gerichtsbarkeit fortbestehen.
Die peinliche war besonderen Adelshöfen (Areopag und
Epheten) vorbehalten.

40. Es muß lange gedauert haben und die Gemein-
den müssen sehr dringend, und die Ansprüche der beweg-
lichen Güter müssen unabweisbar geworden seyn, ehe man
einem Edelmanne von Solons unpartheiischer Weisheit

Staatsverfaſſung der Alten. Athen.
ſchlechter, die ſich Milchbruͤder unter einander nannten,
wohnten mit dem Koͤnige auf dem befeſtigten Burghuͤgel,
theilten mit ihm die Prieſterthuͤmer, die Verwaltung des
Rechts, thaten den Reuterdienſt. Ausſchuß des Adels
war der Rath der Dreihundert. Wenn es eine Volksver-
ſammlung derzeit gab außer der der Adels-Geſchlechter,
ſo war doch die Entſcheidung bei dieſen. Mancher Buͤr-
ger baute in ſchwerem Frohn Eupatridiſches Land; man-
cher buͤste Schulden mit Knechtſchaft ab.

39. Ob die Koͤnige verſucht haben, den Gemeinfreien
Rechte in der Verſammlung zu verſchaffen, weiß man
nicht; aber dem Adel gelang es, das Koͤnigthum zu uͤber-
waͤltigen. Er ſetzte an die Stelle deſſelben einen verant-
wortlichen Regenten (Archon) aus dem Koͤnigshauſe, uͤber-
nahm ſelber die Herrſchaft; er ging weiter; denn als die
Lebenslaͤnglichkeit und die alte Ehrfurcht vor dem erſten
Hauſe des Staats den Erb-Regenten immer noch zu hoch
ſtellte, beſchraͤnkte man das Erb-Amt auf zehn Jahre;
bis man endlich dahin kam, den Vorzug des koͤniglichen
Hauſes ganz aufzuheben, und neun jaͤhrlich aus dem
Adel zu erwaͤhlende Archonten an die Stelle ſetzte. Was
das Koͤnigthum geweſen war, durfte fortan der Haupt-
ſache nach als bloße Richtergewalt in Sachen polizeylicher,
buͤrgerlicher und freiwilliger Gerichtsbarkeit fortbeſtehen.
Die peinliche war beſonderen Adelshoͤfen (Areopag und
Epheten) vorbehalten.

40. Es muß lange gedauert haben und die Gemein-
den muͤſſen ſehr dringend, und die Anſpruͤche der beweg-
lichen Guͤter muͤſſen unabweisbar geworden ſeyn, ehe man
einem Edelmanne von Solons unpartheiiſcher Weisheit

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[27/0039] Staatsverfaſſung der Alten. Athen. ſchlechter, die ſich Milchbruͤder unter einander nannten, wohnten mit dem Koͤnige auf dem befeſtigten Burghuͤgel, theilten mit ihm die Prieſterthuͤmer, die Verwaltung des Rechts, thaten den Reuterdienſt. Ausſchuß des Adels war der Rath der Dreihundert. Wenn es eine Volksver- ſammlung derzeit gab außer der der Adels-Geſchlechter, ſo war doch die Entſcheidung bei dieſen. Mancher Buͤr- ger baute in ſchwerem Frohn Eupatridiſches Land; man- cher buͤste Schulden mit Knechtſchaft ab. 39. Ob die Koͤnige verſucht haben, den Gemeinfreien Rechte in der Verſammlung zu verſchaffen, weiß man nicht; aber dem Adel gelang es, das Koͤnigthum zu uͤber- waͤltigen. Er ſetzte an die Stelle deſſelben einen verant- wortlichen Regenten (Archon) aus dem Koͤnigshauſe, uͤber- nahm ſelber die Herrſchaft; er ging weiter; denn als die Lebenslaͤnglichkeit und die alte Ehrfurcht vor dem erſten Hauſe des Staats den Erb-Regenten immer noch zu hoch ſtellte, beſchraͤnkte man das Erb-Amt auf zehn Jahre; bis man endlich dahin kam, den Vorzug des koͤniglichen Hauſes ganz aufzuheben, und neun jaͤhrlich aus dem Adel zu erwaͤhlende Archonten an die Stelle ſetzte. Was das Koͤnigthum geweſen war, durfte fortan der Haupt- ſache nach als bloße Richtergewalt in Sachen polizeylicher, buͤrgerlicher und freiwilliger Gerichtsbarkeit fortbeſtehen. Die peinliche war beſonderen Adelshoͤfen (Areopag und Epheten) vorbehalten. 40. Es muß lange gedauert haben und die Gemein- den muͤſſen ſehr dringend, und die Anſpruͤche der beweg- lichen Guͤter muͤſſen unabweisbar geworden ſeyn, ehe man einem Edelmanne von Solons unpartheiiſcher Weisheit

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/39>, abgerufen am 24.11.2024.