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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Religion und Kirche im Staate.
Andere ehrenwerthe Secten machen es dem Staate schwer
durch ihre Gleichgültigkeit gegen ihn, wie die Herrnhuter,
andere noch schwerer durch ihr Widerstreben gegen einzelne
seiner Forderungen, wie die Quäker, welche aus Misver-
stand sich dem Eide und dem Kriegsdienst entziehen.
Weder die Zahl der Gleichgültigen, noch die der Wider-
strebenden darf im Staate stark anwachsen, indeß wird der
Staat auch selbst den Letzteren bedingte Duldung in der
Hoffnung vergönnen, daß sich eben durch die Duldung das
duldungswürdige Princip weiter ausbilden, das entgegen-
gesetzte aber allmählig einschlummern werde; eine Hoff-
nung, die sich auch in den Quäker theilweise schon erfüllt
hat. Allein wenn der Staat es auch litte, der täglich über
Eid und Ehe halten muß, auch den Kriegsdienst nicht der
Christlichen Liebe aufopfern darf, die Religion selber besitzt
die Fähigkeit gar nicht, als herrschende Kirche an den Platz
des Staates zu treten, oder sich so zu stellen, daß sie we-
nigstens die Hauptleitung übernehme, im übrigen sie den
Staat dulde
. Die Religion ist eine Fackel, welche das
menschliche Thun zu erleuchten vermag, aber nicht zu er-
setzen. Die der Gottheit zugewandte Gesinnung weiß die
vergänglichen Güter den ewigen unterzuordnen, verirrt
sich nie dahin in jenen die letzten Zwecke des menschli-
chen Strebens zu erkennen, allein die Fähigkeit die weltli-
chen Dinge, wie sie dermahlen vorliegen, thätig zu behan-
deln wird auf ganz andern Bahnen erworben, und nur
wer über die Störungen der Erscheinung im Geiste hin-
auszublicken vermag, ist vielleicht im Stande in der Voll-
endung der menschlichen Dinge eine künftige Ausgleichung
vorzuahnden. Wer dagegen die Forderungen der Religion,
welchen die zurückgezogenste Ascetik sich nur stufenweise zu
nähern weiß, ohne weiteres auf die großen Weltverhält-

Religion und Kirche im Staate.
Andere ehrenwerthe Secten machen es dem Staate ſchwer
durch ihre Gleichguͤltigkeit gegen ihn, wie die Herrnhuter,
andere noch ſchwerer durch ihr Widerſtreben gegen einzelne
ſeiner Forderungen, wie die Quaͤker, welche aus Misver-
ſtand ſich dem Eide und dem Kriegsdienſt entziehen.
Weder die Zahl der Gleichguͤltigen, noch die der Wider-
ſtrebenden darf im Staate ſtark anwachſen, indeß wird der
Staat auch ſelbſt den Letzteren bedingte Duldung in der
Hoffnung vergoͤnnen, daß ſich eben durch die Duldung das
duldungswuͤrdige Princip weiter ausbilden, das entgegen-
geſetzte aber allmaͤhlig einſchlummern werde; eine Hoff-
nung, die ſich auch in den Quaͤker theilweiſe ſchon erfuͤllt
hat. Allein wenn der Staat es auch litte, der taͤglich uͤber
Eid und Ehe halten muß, auch den Kriegsdienſt nicht der
Chriſtlichen Liebe aufopfern darf, die Religion ſelber beſitzt
die Faͤhigkeit gar nicht, als herrſchende Kirche an den Platz
des Staates zu treten, oder ſich ſo zu ſtellen, daß ſie we-
nigſtens die Hauptleitung uͤbernehme, im uͤbrigen ſie den
Staat dulde
. Die Religion iſt eine Fackel, welche das
menſchliche Thun zu erleuchten vermag, aber nicht zu er-
ſetzen. Die der Gottheit zugewandte Geſinnung weiß die
vergaͤnglichen Guͤter den ewigen unterzuordnen, verirrt
ſich nie dahin in jenen die letzten Zwecke des menſchli-
chen Strebens zu erkennen, allein die Faͤhigkeit die weltli-
chen Dinge, wie ſie dermahlen vorliegen, thaͤtig zu behan-
deln wird auf ganz andern Bahnen erworben, und nur
wer uͤber die Stoͤrungen der Erſcheinung im Geiſte hin-
auszublicken vermag, iſt vielleicht im Stande in der Voll-
endung der menſchlichen Dinge eine kuͤnftige Ausgleichung
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welchen die zuruͤckgezogenſte Aſcetik ſich nur ſtufenweiſe zu
naͤhern weiß, ohne weiteres auf die großen Weltverhaͤlt-

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[319/0331] Religion und Kirche im Staate. Andere ehrenwerthe Secten machen es dem Staate ſchwer durch ihre Gleichguͤltigkeit gegen ihn, wie die Herrnhuter, andere noch ſchwerer durch ihr Widerſtreben gegen einzelne ſeiner Forderungen, wie die Quaͤker, welche aus Misver- ſtand ſich dem Eide und dem Kriegsdienſt entziehen. Weder die Zahl der Gleichguͤltigen, noch die der Wider- ſtrebenden darf im Staate ſtark anwachſen, indeß wird der Staat auch ſelbſt den Letzteren bedingte Duldung in der Hoffnung vergoͤnnen, daß ſich eben durch die Duldung das duldungswuͤrdige Princip weiter ausbilden, das entgegen- geſetzte aber allmaͤhlig einſchlummern werde; eine Hoff- nung, die ſich auch in den Quaͤker theilweiſe ſchon erfuͤllt hat. Allein wenn der Staat es auch litte, der taͤglich uͤber Eid und Ehe halten muß, auch den Kriegsdienſt nicht der Chriſtlichen Liebe aufopfern darf, die Religion ſelber beſitzt die Faͤhigkeit gar nicht, als herrſchende Kirche an den Platz des Staates zu treten, oder ſich ſo zu ſtellen, daß ſie we- nigſtens die Hauptleitung uͤbernehme, im uͤbrigen ſie den Staat dulde. Die Religion iſt eine Fackel, welche das menſchliche Thun zu erleuchten vermag, aber nicht zu er- ſetzen. Die der Gottheit zugewandte Geſinnung weiß die vergaͤnglichen Guͤter den ewigen unterzuordnen, verirrt ſich nie dahin in jenen die letzten Zwecke des menſchli- chen Strebens zu erkennen, allein die Faͤhigkeit die weltli- chen Dinge, wie ſie dermahlen vorliegen, thaͤtig zu behan- deln wird auf ganz andern Bahnen erworben, und nur wer uͤber die Stoͤrungen der Erſcheinung im Geiſte hin- auszublicken vermag, iſt vielleicht im Stande in der Voll- endung der menſchlichen Dinge eine kuͤnftige Ausgleichung vorzuahnden. Wer dagegen die Forderungen der Religion, welchen die zuruͤckgezogenſte Aſcetik ſich nur ſtufenweiſe zu naͤhern weiß, ohne weiteres auf die großen Weltverhaͤlt-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/331>, abgerufen am 22.11.2024.