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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Sechzehntes Capitel.
sagen wünschenswerth, sondern überhaupt nur möglich
seyn, daß es ignorirt werde? Alle höhere Bildung und
namentlich auch der Fortschritt in bewußterer Staatsbil-
dung ist dem neueren Europa durch das Christenthum und
mit ihm geworden. Es gilt hier gar nicht die Frage, ob
nicht diese oder jene Wahrheit oder Erleuchtung den Ger-
manischen Völkerschaften auch auf anderem Wege eben so
füglich hätte zukommen können. Man weiß dem Geber
Dank und calculirt sich nicht von der Dankbarkeit frei durch
die Erwägung, ob dieser oder jener uns nicht auch am
Ende ausgeholfen haben möchte. Die Christliche Vorzeit
hat Gliedmaßen unsers eigenen Daseyns geschaffen, denen
wir nicht entsagen können, auch wenn wir wollten. Als
die Franzosen in der Revolution mit der allen Christen ge-
meinsamen Zeitrechnung auch die Wocheneintheilung ver-
warfen, welche das Christenthum aus dem Judaismus
auf uns gebracht hat, kündigte sich solch ein Wollen an,
aber sie hätten auch der nothwendigen Einheit der Ehe,
dem Nichtaussetzen der Kinder, dem tieferen Princip des
Strafrechts, der Nächstenliebe über den Staat hinaus, sie
hätten der Grundlage ihrer ganzen Bildung entsagen müs-
sen, um ihre vermeinte Höhe zu erreichen. Wir unseres
Theils möchten nicht einmahl die Kirchthürme aus der
Landschaft missen und machen gar nicht einmahl den Ver-
such uns von dem loszusagen was das Christenthum durch
unsere Väter uns gewesen ist. Inzwischen hat der Stif-
ter der Lehre keine Darstellung derselben hinterlassen, auch
ist es später niemanden gelungen, ein System aufzustellen,
welches die ganze Christenheit anerkannt hätte. Denn es
ist mit der Religion nicht wie mit den Wissenschaften, in
welchen Dasselbe Allen wahr seyn muß, eben wie in der
Sphäre der äußeren Erfahrungen; es ist viel mehr wie

Sechzehntes Capitel.
ſagen wuͤnſchenswerth, ſondern uͤberhaupt nur moͤglich
ſeyn, daß es ignorirt werde? Alle hoͤhere Bildung und
namentlich auch der Fortſchritt in bewußterer Staatsbil-
dung iſt dem neueren Europa durch das Chriſtenthum und
mit ihm geworden. Es gilt hier gar nicht die Frage, ob
nicht dieſe oder jene Wahrheit oder Erleuchtung den Ger-
maniſchen Voͤlkerſchaften auch auf anderem Wege eben ſo
fuͤglich haͤtte zukommen koͤnnen. Man weiß dem Geber
Dank und calculirt ſich nicht von der Dankbarkeit frei durch
die Erwaͤgung, ob dieſer oder jener uns nicht auch am
Ende ausgeholfen haben moͤchte. Die Chriſtliche Vorzeit
hat Gliedmaßen unſers eigenen Daſeyns geſchaffen, denen
wir nicht entſagen koͤnnen, auch wenn wir wollten. Als
die Franzoſen in der Revolution mit der allen Chriſten ge-
meinſamen Zeitrechnung auch die Wocheneintheilung ver-
warfen, welche das Chriſtenthum aus dem Judaismus
auf uns gebracht hat, kuͤndigte ſich ſolch ein Wollen an,
aber ſie haͤtten auch der nothwendigen Einheit der Ehe,
dem Nichtausſetzen der Kinder, dem tieferen Princip des
Strafrechts, der Naͤchſtenliebe uͤber den Staat hinaus, ſie
haͤtten der Grundlage ihrer ganzen Bildung entſagen muͤſ-
ſen, um ihre vermeinte Hoͤhe zu erreichen. Wir unſeres
Theils moͤchten nicht einmahl die Kirchthuͤrme aus der
Landſchaft miſſen und machen gar nicht einmahl den Ver-
ſuch uns von dem loszuſagen was das Chriſtenthum durch
unſere Vaͤter uns geweſen iſt. Inzwiſchen hat der Stif-
ter der Lehre keine Darſtellung derſelben hinterlaſſen, auch
iſt es ſpaͤter niemanden gelungen, ein Syſtem aufzuſtellen,
welches die ganze Chriſtenheit anerkannt haͤtte. Denn es
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welchen Daſſelbe Allen wahr ſeyn muß, eben wie in der
Sphaͤre der aͤußeren Erfahrungen; es iſt viel mehr wie

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[312/0324] Sechzehntes Capitel. ſagen wuͤnſchenswerth, ſondern uͤberhaupt nur moͤglich ſeyn, daß es ignorirt werde? Alle hoͤhere Bildung und namentlich auch der Fortſchritt in bewußterer Staatsbil- dung iſt dem neueren Europa durch das Chriſtenthum und mit ihm geworden. Es gilt hier gar nicht die Frage, ob nicht dieſe oder jene Wahrheit oder Erleuchtung den Ger- maniſchen Voͤlkerſchaften auch auf anderem Wege eben ſo fuͤglich haͤtte zukommen koͤnnen. Man weiß dem Geber Dank und calculirt ſich nicht von der Dankbarkeit frei durch die Erwaͤgung, ob dieſer oder jener uns nicht auch am Ende ausgeholfen haben moͤchte. Die Chriſtliche Vorzeit hat Gliedmaßen unſers eigenen Daſeyns geſchaffen, denen wir nicht entſagen koͤnnen, auch wenn wir wollten. Als die Franzoſen in der Revolution mit der allen Chriſten ge- meinſamen Zeitrechnung auch die Wocheneintheilung ver- warfen, welche das Chriſtenthum aus dem Judaismus auf uns gebracht hat, kuͤndigte ſich ſolch ein Wollen an, aber ſie haͤtten auch der nothwendigen Einheit der Ehe, dem Nichtausſetzen der Kinder, dem tieferen Princip des Strafrechts, der Naͤchſtenliebe uͤber den Staat hinaus, ſie haͤtten der Grundlage ihrer ganzen Bildung entſagen muͤſ- ſen, um ihre vermeinte Hoͤhe zu erreichen. Wir unſeres Theils moͤchten nicht einmahl die Kirchthuͤrme aus der Landſchaft miſſen und machen gar nicht einmahl den Ver- ſuch uns von dem loszuſagen was das Chriſtenthum durch unſere Vaͤter uns geweſen iſt. Inzwiſchen hat der Stif- ter der Lehre keine Darſtellung derſelben hinterlaſſen, auch iſt es ſpaͤter niemanden gelungen, ein Syſtem aufzuſtellen, welches die ganze Chriſtenheit anerkannt haͤtte. Denn es iſt mit der Religion nicht wie mit den Wiſſenſchaften, in welchen Daſſelbe Allen wahr ſeyn muß, eben wie in der Sphaͤre der aͤußeren Erfahrungen; es iſt viel mehr wie

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/324>, abgerufen am 25.11.2024.