richtiger leite als die Unwissenheit, eine Ausnahme mache.
Johann David Michaelis in s. Räsonnement über die protestan- tischen Universitäten in Deutschland 4 Thle. Frkft. 1768 ff. be- kennt sich zu dieser Meinung (I, 83.): "Ob die Politik auf Uni- versitäten dem Nahmen nach und pedantisch, oder gut getrieben werde, das rührt das Wohl desjenigen Staates nur mittel- mäßig, in welchem bloß der Geheimde-Rath, der durch mehrere Stufen und lange Erfahrung gebildet wird, die Regeln der Po- litik verstehen und zum Besten des Landes anwenden soll". Diese Worte wurden ungefähr zu derselben Zeit geschrieben, da einer der ehrenwerthesten Deutschen Männer, der jüngere Mo- ser (Von dem Deutschen National-Geist 1765) vornehmlich den Deutschen hohen Schulen zürnt, "weil auf den mehresten dersel- ben die Professoren der Politik und des Staats-Rechts sich mit weit mehrerem Grunde Lehrer des Eigennutzes und blin- den Gehorsams nennen könnten, da ihnen das Große und Erhabene der Liebe des Vaterlandes ein versiegeltes Buch ist, daß sie mithin auch ihren Untergebenen keine andere als knech- tische, eigennützige, gleichgültige und niederträchtige Gesinnungen einflößen, daß sie jene hohe Wissenschaft als ein Handwerk zu ihrem Lebensunterhalt treiben"; von welchem Vorwurfe nur Göttingen einigermaaßen ausgenommen wird. Auch trägt Mi- chaelis hinterher (S. 85.) gar kein Bedenken zu meinen, die Lehre de iure divino und der passiva obedientia könne für Hannöverische Lande nachtheilig werden, wo die Landstände noch ihre alten Rechte haben. Er fügt hinzu (S. 87.): "Wenn im Jahre 1756 noch das ius publicum im Preußischen so geglaubt wäre, wie man es vor Stiftung der Hallischen Universität ge- meiniglich lehrte, und wenn alsdenn der geistliche Stand den Irrthum vom göttlichen Recht der Könige und der Unrechtmäßig- keit des Widerstandes gehabt, und auf den Kayser angewandt hätte; so würde der Ausgang des vorigen Krieges noch ein größeres Wunder seyn müssen als er jetzt ist. Was in diesen Sachen auf der Universität gelehrt wird, das hören zwar An- fangs nur Studenten, aber nach und nach und etwa in einem
Vierzehntes Capitel.
richtiger leite als die Unwiſſenheit, eine Ausnahme mache.
Johann David Michaelis in ſ. Raͤſonnement uͤber die proteſtan- tiſchen Univerſitaͤten in Deutſchland 4 Thle. Frkft. 1768 ff. be- kennt ſich zu dieſer Meinung (I, 83.): “Ob die Politik auf Uni- verſitaͤten dem Nahmen nach und pedantiſch, oder gut getrieben werde, das ruͤhrt das Wohl desjenigen Staates nur mittel- maͤßig, in welchem bloß der Geheimde-Rath, der durch mehrere Stufen und lange Erfahrung gebildet wird, die Regeln der Po- litik verſtehen und zum Beſten des Landes anwenden ſoll”. Dieſe Worte wurden ungefaͤhr zu derſelben Zeit geſchrieben, da einer der ehrenwertheſten Deutſchen Maͤnner, der juͤngere Mo- ſer (Von dem Deutſchen National-Geiſt 1765) vornehmlich den Deutſchen hohen Schulen zuͤrnt, “weil auf den mehreſten derſel- ben die Profeſſoren der Politik und des Staats-Rechts ſich mit weit mehrerem Grunde Lehrer des Eigennutzes und blin- den Gehorſams nennen koͤnnten, da ihnen das Große und Erhabene der Liebe des Vaterlandes ein verſiegeltes Buch iſt, daß ſie mithin auch ihren Untergebenen keine andere als knech- tiſche, eigennuͤtzige, gleichguͤltige und niedertraͤchtige Geſinnungen einfloͤßen, daß ſie jene hohe Wiſſenſchaft als ein Handwerk zu ihrem Lebensunterhalt treiben”; von welchem Vorwurfe nur Goͤttingen einigermaaßen ausgenommen wird. Auch traͤgt Mi- chaelis hinterher (S. 85.) gar kein Bedenken zu meinen, die Lehre de iure divino und der passiva obedientia koͤnne fuͤr Hannoͤveriſche Lande nachtheilig werden, wo die Landſtaͤnde noch ihre alten Rechte haben. Er fuͤgt hinzu (S. 87.): “Wenn im Jahre 1756 noch das ius publicum im Preußiſchen ſo geglaubt waͤre, wie man es vor Stiftung der Halliſchen Univerſitaͤt ge- meiniglich lehrte, und wenn alsdenn der geiſtliche Stand den Irrthum vom goͤttlichen Recht der Koͤnige und der Unrechtmaͤßig- keit des Widerſtandes gehabt, und auf den Kayſer angewandt haͤtte; ſo wuͤrde der Ausgang des vorigen Krieges noch ein groͤßeres Wunder ſeyn muͤſſen als er jetzt iſt. Was in dieſen Sachen auf der Univerſitaͤt gelehrt wird, das hoͤren zwar An- fangs nur Studenten, aber nach und nach und etwa in einem
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Vierzehntes Capitel.
richtiger leite als die Unwiſſenheit, eine Ausnahme
mache.
Johann David Michaelis in ſ. Raͤſonnement uͤber die proteſtan-
tiſchen Univerſitaͤten in Deutſchland 4 Thle. Frkft. 1768 ff. be-
kennt ſich zu dieſer Meinung (I, 83.): “Ob die Politik auf Uni-
verſitaͤten dem Nahmen nach und pedantiſch, oder gut getrieben
werde, das ruͤhrt das Wohl desjenigen Staates nur mittel-
maͤßig, in welchem bloß der Geheimde-Rath, der durch mehrere
Stufen und lange Erfahrung gebildet wird, die Regeln der Po-
litik verſtehen und zum Beſten des Landes anwenden ſoll”.
Dieſe Worte wurden ungefaͤhr zu derſelben Zeit geſchrieben, da
einer der ehrenwertheſten Deutſchen Maͤnner, der juͤngere Mo-
ſer (Von dem Deutſchen National-Geiſt 1765) vornehmlich den
Deutſchen hohen Schulen zuͤrnt, “weil auf den mehreſten derſel-
ben die Profeſſoren der Politik und des Staats-Rechts ſich mit
weit mehrerem Grunde Lehrer des Eigennutzes und blin-
den Gehorſams nennen koͤnnten, da ihnen das Große und
Erhabene der Liebe des Vaterlandes ein verſiegeltes Buch iſt,
daß ſie mithin auch ihren Untergebenen keine andere als knech-
tiſche, eigennuͤtzige, gleichguͤltige und niedertraͤchtige Geſinnungen
einfloͤßen, daß ſie jene hohe Wiſſenſchaft als ein Handwerk zu
ihrem Lebensunterhalt treiben”; von welchem Vorwurfe nur
Goͤttingen einigermaaßen ausgenommen wird. Auch traͤgt Mi-
chaelis hinterher (S. 85.) gar kein Bedenken zu meinen, die
Lehre de iure divino und der passiva obedientia koͤnne fuͤr
Hannoͤveriſche Lande nachtheilig werden, wo die Landſtaͤnde noch
ihre alten Rechte haben. Er fuͤgt hinzu (S. 87.): “Wenn im
Jahre 1756 noch das ius publicum im Preußiſchen ſo geglaubt
waͤre, wie man es vor Stiftung der Halliſchen Univerſitaͤt ge-
meiniglich lehrte, und wenn alsdenn der geiſtliche Stand den
Irrthum vom goͤttlichen Recht der Koͤnige und der Unrechtmaͤßig-
keit des Widerſtandes gehabt, und auf den Kayſer angewandt
haͤtte; ſo wuͤrde der Ausgang des vorigen Krieges noch ein
groͤßeres Wunder ſeyn muͤſſen als er jetzt iſt. Was in dieſen
Sachen auf der Univerſitaͤt gelehrt wird, das hoͤren zwar An-
fangs nur Studenten, aber nach und nach und etwa in einem
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/306>, abgerufen am 16.02.2025.
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