Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Universitätswesen.
versitäten steht außer dem wissenschaftlichen Grunde, der
es jeder vereinzelten Facultät unmöglich macht das zu lei-
sten was sie im Ganzen wirkend vermöchte, auch der wirth-
schaftliche entgegen. Eine philosophische Facultät würde
jedenfalls angehängt werden müssen, eine Bibliothek, nicht
bloß für das eine Fach errichtet, dürfte nicht fehlen. Man
hätte ungeheure Opfer gebracht, um eine fehlerhafte Ein-
richtung zu begründen, welche keine der politischen Sorg-
lichkeiten vermindert.

Die Freiheit der Unterthanen auswärtige Universitäten
zu besuchen (jedermann weiß aus seiner Bildungsgeschichte,
was sie ihm bedeutet) ist in den Hannoverschen Landen
ungeachtet aller Vorliebe für Göttingen nie beschränkt wor-
den. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen verbot sei-
nen Theologen in Wittenberg zu studiren, weil dort schärfer
gegen die Reformirten gelehrt wurde. Im Jahre 1808 aber
(sophronein upo stenei) ward verfügt, es solle fortan nie-
mand mehr der Erlaubniß für den Besuch auswär-
tiger Universitäten bedürfen, und auf den Rath tiefblicken-
der Männer, welche wußten woher für Deutsche Wunden
Heilung komme, gründete man bald darauf die Berliner
Universität. Neuerdings ist man zu der vorigen Beschrän-
kung zurückgekehrt und Erlaubnisse werden nur als seltene
Ausnahme ertheilt, aus nicht hinlänglich verständlichem
Grunde. Denn die Annahme, daß die Staatsjugend vor
den Gefahren unpreußischer Wissenschaft bewahrt werden
müsse, hat sich irrig bewiesen, seit die zunehmende Menge
der Verhaftungen Preußischer Studirenden zeigt, wie täu-
schend auch in der Politik der Lieblingsglaube der Väter
sey, daß ihre Kinder ihre Unarten von fremden Kindern
gelernt haben. Auch ist überhaupt nicht anzunehmen, daß
die Politik von der alten Erfahrung, daß das Wissen

Vom Univerſitaͤtsweſen.
verſitaͤten ſteht außer dem wiſſenſchaftlichen Grunde, der
es jeder vereinzelten Facultaͤt unmoͤglich macht das zu lei-
ſten was ſie im Ganzen wirkend vermoͤchte, auch der wirth-
ſchaftliche entgegen. Eine philoſophiſche Facultaͤt wuͤrde
jedenfalls angehaͤngt werden muͤſſen, eine Bibliothek, nicht
bloß fuͤr das eine Fach errichtet, duͤrfte nicht fehlen. Man
haͤtte ungeheure Opfer gebracht, um eine fehlerhafte Ein-
richtung zu begruͤnden, welche keine der politiſchen Sorg-
lichkeiten vermindert.

Die Freiheit der Unterthanen auswaͤrtige Univerſitaͤten
zu beſuchen (jedermann weiß aus ſeiner Bildungsgeſchichte,
was ſie ihm bedeutet) iſt in den Hannoverſchen Landen
ungeachtet aller Vorliebe fuͤr Goͤttingen nie beſchraͤnkt wor-
den. Koͤnig Friedrich Wilhelm I. von Preußen verbot ſei-
nen Theologen in Wittenberg zu ſtudiren, weil dort ſchaͤrfer
gegen die Reformirten gelehrt wurde. Im Jahre 1808 aber
(σωφϱονεῖν ὑπὸ στένει) ward verfuͤgt, es ſolle fortan nie-
mand mehr der Erlaubniß fuͤr den Beſuch auswaͤr-
tiger Univerſitaͤten beduͤrfen, und auf den Rath tiefblicken-
der Maͤnner, welche wußten woher fuͤr Deutſche Wunden
Heilung komme, gruͤndete man bald darauf die Berliner
Univerſitaͤt. Neuerdings iſt man zu der vorigen Beſchraͤn-
kung zuruͤckgekehrt und Erlaubniſſe werden nur als ſeltene
Ausnahme ertheilt, aus nicht hinlaͤnglich verſtaͤndlichem
Grunde. Denn die Annahme, daß die Staatsjugend vor
den Gefahren unpreußiſcher Wiſſenſchaft bewahrt werden
muͤſſe, hat ſich irrig bewieſen, ſeit die zunehmende Menge
der Verhaftungen Preußiſcher Studirenden zeigt, wie taͤu-
ſchend auch in der Politik der Lieblingsglaube der Vaͤter
ſey, daß ihre Kinder ihre Unarten von fremden Kindern
gelernt haben. Auch iſt uͤberhaupt nicht anzunehmen, daß
die Politik von der alten Erfahrung, daß das Wiſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0305" n="293"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vom Univer&#x017F;ita&#x0364;tswe&#x017F;en</hi>.</fw><lb/>
ver&#x017F;ita&#x0364;ten &#x017F;teht außer dem wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Grunde, der<lb/>
es jeder vereinzelten Faculta&#x0364;t unmo&#x0364;glich macht das zu lei-<lb/>
&#x017F;ten was &#x017F;ie im Ganzen wirkend vermo&#x0364;chte, auch der wirth-<lb/>
&#x017F;chaftliche entgegen. Eine philo&#x017F;ophi&#x017F;che Faculta&#x0364;t wu&#x0364;rde<lb/>
jedenfalls angeha&#x0364;ngt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, eine Bibliothek, nicht<lb/>
bloß fu&#x0364;r das <hi rendition="#g">eine</hi> Fach errichtet, du&#x0364;rfte nicht fehlen. Man<lb/>
ha&#x0364;tte ungeheure Opfer gebracht, um eine fehlerhafte Ein-<lb/>
richtung zu begru&#x0364;nden, welche keine der politi&#x017F;chen Sorg-<lb/>
lichkeiten vermindert.</p><lb/>
                <p>Die Freiheit der Unterthanen auswa&#x0364;rtige Univer&#x017F;ita&#x0364;ten<lb/>
zu be&#x017F;uchen (jedermann weiß aus &#x017F;einer Bildungsge&#x017F;chichte,<lb/>
was &#x017F;ie ihm bedeutet) i&#x017F;t in den Hannover&#x017F;chen Landen<lb/>
ungeachtet aller Vorliebe fu&#x0364;r Go&#x0364;ttingen nie be&#x017F;chra&#x0364;nkt wor-<lb/>
den. Ko&#x0364;nig Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">I.</hi> von Preußen verbot &#x017F;ei-<lb/>
nen Theologen in Wittenberg zu &#x017F;tudiren, weil dort &#x017F;cha&#x0364;rfer<lb/>
gegen die Reformirten gelehrt wurde. Im Jahre 1808 aber<lb/>
(&#x03C3;&#x03C9;&#x03C6;&#x03F1;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03BD; &#x1F51;&#x03C0;&#x1F78; &#x03C3;&#x03C4;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;) ward verfu&#x0364;gt, es &#x017F;olle fortan nie-<lb/>
mand mehr der Erlaubniß fu&#x0364;r den Be&#x017F;uch auswa&#x0364;r-<lb/>
tiger Univer&#x017F;ita&#x0364;ten bedu&#x0364;rfen, und auf den Rath tiefblicken-<lb/>
der Ma&#x0364;nner, welche wußten woher fu&#x0364;r Deut&#x017F;che Wunden<lb/>
Heilung komme, gru&#x0364;ndete man bald darauf die Berliner<lb/>
Univer&#x017F;ita&#x0364;t. Neuerdings i&#x017F;t man zu der vorigen Be&#x017F;chra&#x0364;n-<lb/>
kung zuru&#x0364;ckgekehrt und Erlaubni&#x017F;&#x017F;e werden nur als &#x017F;eltene<lb/>
Ausnahme ertheilt, aus nicht hinla&#x0364;nglich ver&#x017F;ta&#x0364;ndlichem<lb/>
Grunde. Denn die Annahme, daß die Staatsjugend vor<lb/>
den Gefahren unpreußi&#x017F;cher Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft bewahrt werden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, hat &#x017F;ich irrig bewie&#x017F;en, &#x017F;eit die zunehmende Menge<lb/>
der Verhaftungen Preußi&#x017F;cher Studirenden zeigt, wie ta&#x0364;u-<lb/>
&#x017F;chend auch in der Politik der Lieblingsglaube der Va&#x0364;ter<lb/>
&#x017F;ey, daß ihre Kinder ihre Unarten von fremden Kindern<lb/>
gelernt haben. Auch i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt nicht anzunehmen, daß<lb/>
die Politik von der alten Erfahrung, daß das Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0305] Vom Univerſitaͤtsweſen. verſitaͤten ſteht außer dem wiſſenſchaftlichen Grunde, der es jeder vereinzelten Facultaͤt unmoͤglich macht das zu lei- ſten was ſie im Ganzen wirkend vermoͤchte, auch der wirth- ſchaftliche entgegen. Eine philoſophiſche Facultaͤt wuͤrde jedenfalls angehaͤngt werden muͤſſen, eine Bibliothek, nicht bloß fuͤr das eine Fach errichtet, duͤrfte nicht fehlen. Man haͤtte ungeheure Opfer gebracht, um eine fehlerhafte Ein- richtung zu begruͤnden, welche keine der politiſchen Sorg- lichkeiten vermindert. Die Freiheit der Unterthanen auswaͤrtige Univerſitaͤten zu beſuchen (jedermann weiß aus ſeiner Bildungsgeſchichte, was ſie ihm bedeutet) iſt in den Hannoverſchen Landen ungeachtet aller Vorliebe fuͤr Goͤttingen nie beſchraͤnkt wor- den. Koͤnig Friedrich Wilhelm I. von Preußen verbot ſei- nen Theologen in Wittenberg zu ſtudiren, weil dort ſchaͤrfer gegen die Reformirten gelehrt wurde. Im Jahre 1808 aber (σωφϱονεῖν ὑπὸ στένει) ward verfuͤgt, es ſolle fortan nie- mand mehr der Erlaubniß fuͤr den Beſuch auswaͤr- tiger Univerſitaͤten beduͤrfen, und auf den Rath tiefblicken- der Maͤnner, welche wußten woher fuͤr Deutſche Wunden Heilung komme, gruͤndete man bald darauf die Berliner Univerſitaͤt. Neuerdings iſt man zu der vorigen Beſchraͤn- kung zuruͤckgekehrt und Erlaubniſſe werden nur als ſeltene Ausnahme ertheilt, aus nicht hinlaͤnglich verſtaͤndlichem Grunde. Denn die Annahme, daß die Staatsjugend vor den Gefahren unpreußiſcher Wiſſenſchaft bewahrt werden muͤſſe, hat ſich irrig bewieſen, ſeit die zunehmende Menge der Verhaftungen Preußiſcher Studirenden zeigt, wie taͤu- ſchend auch in der Politik der Lieblingsglaube der Vaͤter ſey, daß ihre Kinder ihre Unarten von fremden Kindern gelernt haben. Auch iſt uͤberhaupt nicht anzunehmen, daß die Politik von der alten Erfahrung, daß das Wiſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/305
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/305>, abgerufen am 22.11.2024.