Von d. Rechte d. Staates üb. Erzieh. u. Unterricht.
1)Rehberg, Sämmtliche Schriften Bd. 1. Erziehung. Prüfung der Erziehungskunst.
267. Wenn die Quelle eines Irrthums historisch nach- weisen und ihn rechtfertigen einerlei wäre, so genügte es freilich anzuführen, daß solche Richtungen sich überall zei- gen, sobald die Wissenschaften sich entwickeln, über den Bereich eines Staats hinauszugehen anfangen, und es nun offenbar wird, daß auf diesem Felde Verträge mit Aus- wärtigen geschlossen werden, die des Siegelbewahrers nicht bedürfen, daß hier eine Theilung der Geistesarbeit statt- findet, die nicht einmahl der Krieg unterbricht. Das war es im Grunde, warum schon die Sokratiker schlechte Bür- ger heißen mußten, und als nun vollends ein Glaube über den ganzen Welttheil ging, ein und dasselbe Haupt des Glaubens jedweden Staat geistlichen Ordnungen unter- warf, die in das feinste Geäder des Lebens drangen, da konnte es Einem der das Alles vom Standpunkte der Geistlichkeit betrachtete, leicht bedünken, daß wohl am Ende der gemeinsame Kirchenstaat der allein wahre sey, bestimmt die aus dem Heidenthum überlieferten weltlichen Staaten allmählig in sich aufzunehmen. Dennoch war das Täu- schung und der Beweis des Gegentheils ward langsam aber gründlicher als durch den weltlichen Arm auf unschein- barem Pfade geführt. In klösterlicher Stille entwickelte sich im Schooße der Geistlichkeit selber ein Schulstand, trat dann freier heraus wo in Dom- und Collegiatstiften Geist- liche zum kanonischen Leben vereinigt wohnten; nicht bloß künftige Geistliche zu bilden, auch die weltliche Jugend zu unterrichten ward der Zweck. Von da war noch ein wei- ter Weg bis zur Selbständigkeit. Aber auch die Zeit der Universitäten kam und wie diese reif da standen, erkannte die Kirche ihren vorigen Pflegling, den demüthigen Schul-
Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht.
1)Rehberg, Saͤmmtliche Schriften Bd. 1. Erziehung. Pruͤfung der Erziehungskunſt.
267. Wenn die Quelle eines Irrthums hiſtoriſch nach- weiſen und ihn rechtfertigen einerlei waͤre, ſo genuͤgte es freilich anzufuͤhren, daß ſolche Richtungen ſich uͤberall zei- gen, ſobald die Wiſſenſchaften ſich entwickeln, uͤber den Bereich eines Staats hinauszugehen anfangen, und es nun offenbar wird, daß auf dieſem Felde Vertraͤge mit Aus- waͤrtigen geſchloſſen werden, die des Siegelbewahrers nicht beduͤrfen, daß hier eine Theilung der Geiſtesarbeit ſtatt- findet, die nicht einmahl der Krieg unterbricht. Das war es im Grunde, warum ſchon die Sokratiker ſchlechte Buͤr- ger heißen mußten, und als nun vollends ein Glaube uͤber den ganzen Welttheil ging, ein und daſſelbe Haupt des Glaubens jedweden Staat geiſtlichen Ordnungen unter- warf, die in das feinſte Geaͤder des Lebens drangen, da konnte es Einem der das Alles vom Standpunkte der Geiſtlichkeit betrachtete, leicht beduͤnken, daß wohl am Ende der gemeinſame Kirchenſtaat der allein wahre ſey, beſtimmt die aus dem Heidenthum uͤberlieferten weltlichen Staaten allmaͤhlig in ſich aufzunehmen. Dennoch war das Taͤu- ſchung und der Beweis des Gegentheils ward langſam aber gruͤndlicher als durch den weltlichen Arm auf unſchein- barem Pfade gefuͤhrt. In kloͤſterlicher Stille entwickelte ſich im Schooße der Geiſtlichkeit ſelber ein Schulſtand, trat dann freier heraus wo in Dom- und Collegiatſtiften Geiſt- liche zum kanoniſchen Leben vereinigt wohnten; nicht bloß kuͤnftige Geiſtliche zu bilden, auch die weltliche Jugend zu unterrichten ward der Zweck. Von da war noch ein wei- ter Weg bis zur Selbſtaͤndigkeit. Aber auch die Zeit der Univerſitaͤten kam und wie dieſe reif da ſtanden, erkannte die Kirche ihren vorigen Pflegling, den demuͤthigen Schul-
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Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht.
¹⁾ Rehberg, Saͤmmtliche Schriften Bd. 1. Erziehung. Pruͤfung
der Erziehungskunſt.
267. Wenn die Quelle eines Irrthums hiſtoriſch nach-
weiſen und ihn rechtfertigen einerlei waͤre, ſo genuͤgte es
freilich anzufuͤhren, daß ſolche Richtungen ſich uͤberall zei-
gen, ſobald die Wiſſenſchaften ſich entwickeln, uͤber den
Bereich eines Staats hinauszugehen anfangen, und es nun
offenbar wird, daß auf dieſem Felde Vertraͤge mit Aus-
waͤrtigen geſchloſſen werden, die des Siegelbewahrers nicht
beduͤrfen, daß hier eine Theilung der Geiſtesarbeit ſtatt-
findet, die nicht einmahl der Krieg unterbricht. Das war
es im Grunde, warum ſchon die Sokratiker ſchlechte Buͤr-
ger heißen mußten, und als nun vollends ein Glaube
uͤber den ganzen Welttheil ging, ein und daſſelbe Haupt
des Glaubens jedweden Staat geiſtlichen Ordnungen unter-
warf, die in das feinſte Geaͤder des Lebens drangen, da
konnte es Einem der das Alles vom Standpunkte der
Geiſtlichkeit betrachtete, leicht beduͤnken, daß wohl am Ende
der gemeinſame Kirchenſtaat der allein wahre ſey, beſtimmt
die aus dem Heidenthum uͤberlieferten weltlichen Staaten
allmaͤhlig in ſich aufzunehmen. Dennoch war das Taͤu-
ſchung und der Beweis des Gegentheils ward langſam
aber gruͤndlicher als durch den weltlichen Arm auf unſchein-
barem Pfade gefuͤhrt. In kloͤſterlicher Stille entwickelte
ſich im Schooße der Geiſtlichkeit ſelber ein Schulſtand, trat
dann freier heraus wo in Dom- und Collegiatſtiften Geiſt-
liche zum kanoniſchen Leben vereinigt wohnten; nicht bloß
kuͤnftige Geiſtliche zu bilden, auch die weltliche Jugend zu
unterrichten ward der Zweck. Von da war noch ein wei-
ter Weg bis zur Selbſtaͤndigkeit. Aber auch die Zeit der
Univerſitaͤten kam und wie dieſe reif da ſtanden, erkannte
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/277>, abgerufen am 16.02.2025.
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