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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Zwölftes Capitel.
gründen. Die Ehe ist so heilig, daß es kaum ein Volk
giebt, bei dem sich nicht um ihretwillen die bürgerliche
Gemeinde zugleich zur kirchlichen gestaltete, die den höhe-
ren Seegen für sie herbeiruft. Wo keine Ehe ist, da ist
keine Erziehung, selten Unterricht. Der unehelich Gebo-
rene hat es nur der Barmherzigkeit des Christlichen Le-
bens zu danken, daß er nicht gleich untergeht, ein Bach,
den seine Quelle verlassen hat. Wie der auf öffentliche
Kosten ernährte Arme einer Auflage gleichgeachtet wird, so
stände unverschuldet außer dem Volk der unehelich Ge-
zeugte, weil er keine Familie hat, wenn nicht jene Milde
wäre. Der kleine Staat, dessen Grundgesetz die Ehe ist,
legt ein Verhältniß von Freien zu Freien dar und doch
voller Gebundenheit; er spricht dem Manne die Herrschaft
und Gesetzgebung zu, der Frau die Verwaltung, auch
an den Kindern wird geehrt was frei schon an ihnen ist,
oder mit den Jahren werden wird, sie sind auf keiner Le-
bensstufe bloß Sache; erwachsene Söhne sind der Schutz
des Hauses und nehmen am Vermögen Theil, sie dürfen
neue Familien stiften, wodurch Erbtheilungen entstehen;
denn mehrere Familien können nicht wohl im Gemeinbe-
sitze bleiben.

262. Die Natur selber hat die Mutter zur Nährerin
des Kindes schon vor der Geburt und geraume Zeit nach
der Geburt bestellt, ihr bleibt diese Sorge so lange Näh-
ren und Schützen das Geschäft der Erziehung umfaßt, bis
sich auf einer höheren Bildungsstufe Erziehung und Un-
terricht unterscheiden. Bei dem ersten Aufkeimen der Selb-
ständigkeit aber scheidet sich nun die Ansicht der Völker;
Staat und Familie beginnen einen Streit um das Kind,
vor Allem wenn es ein Knabe ist. In diesem Zeitpunkte

Zwoͤlftes Capitel.
gruͤnden. Die Ehe iſt ſo heilig, daß es kaum ein Volk
giebt, bei dem ſich nicht um ihretwillen die buͤrgerliche
Gemeinde zugleich zur kirchlichen geſtaltete, die den hoͤhe-
ren Seegen fuͤr ſie herbeiruft. Wo keine Ehe iſt, da iſt
keine Erziehung, ſelten Unterricht. Der unehelich Gebo-
rene hat es nur der Barmherzigkeit des Chriſtlichen Le-
bens zu danken, daß er nicht gleich untergeht, ein Bach,
den ſeine Quelle verlaſſen hat. Wie der auf oͤffentliche
Koſten ernaͤhrte Arme einer Auflage gleichgeachtet wird, ſo
ſtaͤnde unverſchuldet außer dem Volk der unehelich Ge-
zeugte, weil er keine Familie hat, wenn nicht jene Milde
waͤre. Der kleine Staat, deſſen Grundgeſetz die Ehe iſt,
legt ein Verhaͤltniß von Freien zu Freien dar und doch
voller Gebundenheit; er ſpricht dem Manne die Herrſchaft
und Geſetzgebung zu, der Frau die Verwaltung, auch
an den Kindern wird geehrt was frei ſchon an ihnen iſt,
oder mit den Jahren werden wird, ſie ſind auf keiner Le-
bensſtufe bloß Sache; erwachſene Soͤhne ſind der Schutz
des Hauſes und nehmen am Vermoͤgen Theil, ſie duͤrfen
neue Familien ſtiften, wodurch Erbtheilungen entſtehen;
denn mehrere Familien koͤnnen nicht wohl im Gemeinbe-
ſitze bleiben.

262. Die Natur ſelber hat die Mutter zur Naͤhrerin
des Kindes ſchon vor der Geburt und geraume Zeit nach
der Geburt beſtellt, ihr bleibt dieſe Sorge ſo lange Naͤh-
ren und Schuͤtzen das Geſchaͤft der Erziehung umfaßt, bis
ſich auf einer hoͤheren Bildungsſtufe Erziehung und Un-
terricht unterſcheiden. Bei dem erſten Aufkeimen der Selb-
ſtaͤndigkeit aber ſcheidet ſich nun die Anſicht der Voͤlker;
Staat und Familie beginnen einen Streit um das Kind,
vor Allem wenn es ein Knabe iſt. In dieſem Zeitpunkte

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[256/0268] Zwoͤlftes Capitel. gruͤnden. Die Ehe iſt ſo heilig, daß es kaum ein Volk giebt, bei dem ſich nicht um ihretwillen die buͤrgerliche Gemeinde zugleich zur kirchlichen geſtaltete, die den hoͤhe- ren Seegen fuͤr ſie herbeiruft. Wo keine Ehe iſt, da iſt keine Erziehung, ſelten Unterricht. Der unehelich Gebo- rene hat es nur der Barmherzigkeit des Chriſtlichen Le- bens zu danken, daß er nicht gleich untergeht, ein Bach, den ſeine Quelle verlaſſen hat. Wie der auf oͤffentliche Koſten ernaͤhrte Arme einer Auflage gleichgeachtet wird, ſo ſtaͤnde unverſchuldet außer dem Volk der unehelich Ge- zeugte, weil er keine Familie hat, wenn nicht jene Milde waͤre. Der kleine Staat, deſſen Grundgeſetz die Ehe iſt, legt ein Verhaͤltniß von Freien zu Freien dar und doch voller Gebundenheit; er ſpricht dem Manne die Herrſchaft und Geſetzgebung zu, der Frau die Verwaltung, auch an den Kindern wird geehrt was frei ſchon an ihnen iſt, oder mit den Jahren werden wird, ſie ſind auf keiner Le- bensſtufe bloß Sache; erwachſene Soͤhne ſind der Schutz des Hauſes und nehmen am Vermoͤgen Theil, ſie duͤrfen neue Familien ſtiften, wodurch Erbtheilungen entſtehen; denn mehrere Familien koͤnnen nicht wohl im Gemeinbe- ſitze bleiben. 262. Die Natur ſelber hat die Mutter zur Naͤhrerin des Kindes ſchon vor der Geburt und geraume Zeit nach der Geburt beſtellt, ihr bleibt dieſe Sorge ſo lange Naͤh- ren und Schuͤtzen das Geſchaͤft der Erziehung umfaßt, bis ſich auf einer hoͤheren Bildungsſtufe Erziehung und Un- terricht unterſcheiden. Bei dem erſten Aufkeimen der Selb- ſtaͤndigkeit aber ſcheidet ſich nun die Anſicht der Voͤlker; Staat und Familie beginnen einen Streit um das Kind, vor Allem wenn es ein Knabe iſt. In dieſem Zeitpunkte

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/268>, abgerufen am 25.11.2024.