Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Zehntes Capitel. Von den Gemeinden. anzugeben, ohne einen bestimmten geschichtlichen Staat vorAugen zu haben, und auf keinen Fall allein aus dem Gesichtspunkte der Gemeinde. 1) Sehr lehrreich in diesen tiefen Beziehungen ist die Bauern- Rechts- und Gerichts-Ordnung der Alten Mark- Brandenburg, ein Landtagsschluß vom Jahre 1531, welche eben jetzt U. Hübbe im 89sten Hefte der Jahrbücher für Preußische Gesetzgebung herausgegeben hat. Die früher unbe- kannte Urkunde, gelehrt und was mehr ist mit Einsicht in das Leben der Dinge erörtert, zeigt, welche schützende Ordnungen des altmärkischen bäuerlichen Familienrechtes auch über dem ab- hängigen bäuerlichen Eigenthum noch bis zum dreißigjähri- gen Kriege walteten, "Vorzug der Söhne in der Hofannahme als ein Recht, durch Verträge öfters geändert; demnächst der Töch- ter; dann der Seitenverwandten vom Mannesstamme vor den überlebenden Ehegatten, wenn es nicht anders vertragen wor- den; Beispiele des Näherrechts bei Versteigerungen; -- an Testamente gar kein Gedanke, -- vormundschaftliche Verwaltung, Witthum, Zwischenwirthschaft lediglich Sache des Familienschlus- ses und Vertrages; -- alles das öffentlich, gerichtlich, unter Aufsicht der Gutsherren und Gemeinden, und der gesammt- oder voigtteigerichtlichen Entscheidung im Fall der Klage unter- worfen" (S. 52.). Nach dieser Zeit nahm die Civilrechts-Theo- rie den Bauern das Näherrecht, wenn auch die Gutsbesitzer es fest hielten, die gesetzliche Verbürgung der Untheilbarkeit des Hofes hörte auf und die erlaubte Zerstückelung des seiner Be- stimmung, den Erbgang durch die Familie zu machen, entwende- ten Hofes nahm dem Gemeinderecht seine wichtigsten Gegen- stände. Die Öffentlichkeit selber hörte auf. Dennoch ist noch die Flecken-Dorf- und Ackerordnung von 1702 ein Zeugniß der Fortdauer des alten Lebens. §. 15. sagt: "Ein jeder soll -- wenn er sich allhier einkaufen und einfreyen will, beglaubte Nachricht seines Vermögens -- vor dem Amte, auch Richter, Schulzen und Schöppen auflegen -- wonach der Beamte sampt der Gemeine, weiln sie alle vor einen und einer vor alle in jedem Dorfe stehen müssen, zu sehen -- wie denn auch, um deß Willen von den Beamten der Gemeine Niemand wider ihren Willen in den Flecken u. Dörfern gesetzet u. aufgedrungen werden soll". (S. 68.). Zehntes Capitel. Von den Gemeinden. anzugeben, ohne einen beſtimmten geſchichtlichen Staat vorAugen zu haben, und auf keinen Fall allein aus dem Geſichtspunkte der Gemeinde. 1) Sehr lehrreich in dieſen tiefen Beziehungen iſt die Bauern- Rechts- und Gerichts-Ordnung der Alten Mark- Brandenburg, ein Landtagsſchluß vom Jahre 1531, welche eben jetzt U. Huͤbbe im 89ſten Hefte der Jahrbuͤcher fuͤr Preußiſche Geſetzgebung herausgegeben hat. Die fruͤher unbe- kannte Urkunde, gelehrt und was mehr iſt mit Einſicht in das Leben der Dinge eroͤrtert, zeigt, welche ſchuͤtzende Ordnungen des altmaͤrkiſchen baͤuerlichen Familienrechtes auch uͤber dem ab- haͤngigen baͤuerlichen Eigenthum noch bis zum dreißigjaͤhri- gen Kriege walteten, „Vorzug der Soͤhne in der Hofannahme als ein Recht, durch Vertraͤge oͤfters geaͤndert; demnaͤchſt der Toͤch- ter; dann der Seitenverwandten vom Mannesſtamme vor den uͤberlebenden Ehegatten, wenn es nicht anders vertragen wor- den; Beiſpiele des Naͤherrechts bei Verſteigerungen; — an Teſtamente gar kein Gedanke, — vormundſchaftliche Verwaltung, Witthum, Zwiſchenwirthſchaft lediglich Sache des Familienſchluſ- ſes und Vertrages; — alles das oͤffentlich, gerichtlich, unter Aufſicht der Gutsherren und Gemeinden, und der geſammt- oder voigtteigerichtlichen Entſcheidung im Fall der Klage unter- worfen” (S. 52.). Nach dieſer Zeit nahm die Civilrechts-Theo- rie den Bauern das Naͤherrecht, wenn auch die Gutsbeſitzer es feſt hielten, die geſetzliche Verbuͤrgung der Untheilbarkeit des Hofes hoͤrte auf und die erlaubte Zerſtuͤckelung des ſeiner Be- ſtimmung, den Erbgang durch die Familie zu machen, entwende- ten Hofes nahm dem Gemeinderecht ſeine wichtigſten Gegen- ſtaͤnde. Die Öffentlichkeit ſelber hoͤrte auf. Dennoch iſt noch die Flecken-Dorf- und Ackerordnung von 1702 ein Zeugniß der Fortdauer des alten Lebens. §. 15. ſagt: “Ein jeder ſoll — wenn er ſich allhier einkaufen und einfreyen will, beglaubte Nachricht ſeines Vermoͤgens — vor dem Amte, auch Richter, Schulzen und Schoͤppen auflegen — wonach der Beamte ſampt der Gemeine, weiln ſie alle vor einen und einer vor alle in jedem Dorfe ſtehen muͤſſen, zu ſehen — wie denn auch, um deß Willen von den Beamten der Gemeine Niemand wider ihren Willen in den Flecken u. Doͤrfern geſetzet u. aufgedrungen werden ſoll”. (S. 68.). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0256" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Capitel. Von den Gemeinden</hi>.</fw><lb/> anzugeben, ohne einen beſtimmten geſchichtlichen Staat vor<lb/> Augen zu haben, und auf keinen Fall allein aus dem<lb/> Geſichtspunkte der Gemeinde.</p><lb/> <note place="end" n="1)">Sehr lehrreich in dieſen tiefen Beziehungen iſt die <hi rendition="#g">Bauern-<lb/> Rechts- und Gerichts-Ordnung der Alten Mark-<lb/> Brandenburg</hi>, ein Landtagsſchluß vom Jahre 1531, welche<lb/> eben jetzt U. <hi rendition="#g">Huͤbbe</hi> im 89ſten Hefte der Jahrbuͤcher fuͤr<lb/> Preußiſche Geſetzgebung herausgegeben hat. 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Zehntes Capitel. Von den Gemeinden.
anzugeben, ohne einen beſtimmten geſchichtlichen Staat vor
Augen zu haben, und auf keinen Fall allein aus dem
Geſichtspunkte der Gemeinde.
¹⁾ Sehr lehrreich in dieſen tiefen Beziehungen iſt die Bauern-
Rechts- und Gerichts-Ordnung der Alten Mark-
Brandenburg, ein Landtagsſchluß vom Jahre 1531, welche
eben jetzt U. Huͤbbe im 89ſten Hefte der Jahrbuͤcher fuͤr
Preußiſche Geſetzgebung herausgegeben hat. Die fruͤher unbe-
kannte Urkunde, gelehrt und was mehr iſt mit Einſicht in das
Leben der Dinge eroͤrtert, zeigt, welche ſchuͤtzende Ordnungen
des altmaͤrkiſchen baͤuerlichen Familienrechtes auch uͤber dem ab-
haͤngigen baͤuerlichen Eigenthum noch bis zum dreißigjaͤhri-
gen Kriege walteten, „Vorzug der Soͤhne in der Hofannahme als
ein Recht, durch Vertraͤge oͤfters geaͤndert; demnaͤchſt der Toͤch-
ter; dann der Seitenverwandten vom Mannesſtamme vor den
uͤberlebenden Ehegatten, wenn es nicht anders vertragen wor-
den; Beiſpiele des Naͤherrechts bei Verſteigerungen; — an
Teſtamente gar kein Gedanke, — vormundſchaftliche Verwaltung,
Witthum, Zwiſchenwirthſchaft lediglich Sache des Familienſchluſ-
ſes und Vertrages; — alles das oͤffentlich, gerichtlich, unter
Aufſicht der Gutsherren und Gemeinden, und der geſammt-
oder voigtteigerichtlichen Entſcheidung im Fall der Klage unter-
worfen” (S. 52.). Nach dieſer Zeit nahm die Civilrechts-Theo-
rie den Bauern das Naͤherrecht, wenn auch die Gutsbeſitzer es
feſt hielten, die geſetzliche Verbuͤrgung der Untheilbarkeit des
Hofes hoͤrte auf und die erlaubte Zerſtuͤckelung des ſeiner Be-
ſtimmung, den Erbgang durch die Familie zu machen, entwende-
ten Hofes nahm dem Gemeinderecht ſeine wichtigſten Gegen-
ſtaͤnde. Die Öffentlichkeit ſelber hoͤrte auf. Dennoch iſt noch
die Flecken-Dorf- und Ackerordnung von 1702 ein Zeugniß der
Fortdauer des alten Lebens. §. 15. ſagt: “Ein jeder ſoll —
wenn er ſich allhier einkaufen und einfreyen will, beglaubte
Nachricht ſeines Vermoͤgens — vor dem Amte, auch Richter,
Schulzen und Schoͤppen auflegen — wonach der Beamte ſampt
der Gemeine, weiln ſie alle vor einen und einer vor alle in jedem
Dorfe ſtehen muͤſſen, zu ſehen — wie denn auch, um deß Willen
von den Beamten der Gemeine Niemand wider ihren Willen in den
Flecken u. Doͤrfern geſetzet u. aufgedrungen werden ſoll”. (S. 68.).
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