Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Capitel.
vor Gerichte fand, so die Orts-Gemeinde in den Ge-
meindeverbänden. Manches Dorf, mancher Verband mark-
genossischer Dörfer und Bauerschaften gehörte dazu, bis
man an den Gau kam, aber in diesem war denn auch fast
Alles enthalten, was den Staat jetzt ausmacht. Gauen
führten sogar Krieg unter sich und mit Gauen eines an-
dern Volks. Im Gau-Staate lebte man eilf Monathe
im Jahre, der Volks-Staat that seine großen Schläge im
März oder May.

241. Als von Gauen längst nicht mehr die Rede, lebte
der autonome Charakter des Gemeindewesens in den Städ-
ten fort; denn bis zum eigenen Ortsrecht, Zoll, Maas und
Gewicht und Münze für sich brachte es denn doch der ad-
liche Grundherr nicht. Der Staat drang nicht tief in die
Städte ein, bis daß die Staatsregierungen vielbedürftig
wurden und nun machtvollkommen, besoldete Kriegsmann-
schaft im Rücken, allenthalben hineinschauen wollten, wo
es Geld und Gut gäbe. Der dreißigjährige Krieg und das
gewaltthätige Zeitalter, welches ihm folgte, hat mit den
Landesverfassungen zugleich die meisten Deutschen Städte-
verfassungen zerrüttet, die Gemeinderechte theils an den
Staat übertragen theils in die unrechten Hände niederge-
legt. Aber der Tag der Prüfung blieb nicht aus, da man
inne ward, es sey das Volk an Kraft und Muth verstüm-
melt, seit man es in seinen wichtigsten Gliedmaaßen, den
Gemeinden, schwach gemacht, daher das allgemeine Unge-
schick gefährlichen Zeitläuften zu begegnen, denn wem man
seine nächsten Geschäfte, die er täglich vor Augen sieht, ab-
genommen hat, der muß größeren Sorgen unterliegen.
Vielleicht war die Lage der städtischen Commünen nirgend
unsicherer als in Preußen, wenn wir Preußischen Schrift-

Zehntes Capitel.
vor Gerichte fand, ſo die Orts-Gemeinde in den Ge-
meindeverbaͤnden. Manches Dorf, mancher Verband mark-
genoſſiſcher Doͤrfer und Bauerſchaften gehoͤrte dazu, bis
man an den Gau kam, aber in dieſem war denn auch faſt
Alles enthalten, was den Staat jetzt ausmacht. Gauen
fuͤhrten ſogar Krieg unter ſich und mit Gauen eines an-
dern Volks. Im Gau-Staate lebte man eilf Monathe
im Jahre, der Volks-Staat that ſeine großen Schlaͤge im
Maͤrz oder May.

241. Als von Gauen laͤngſt nicht mehr die Rede, lebte
der autonome Charakter des Gemeindeweſens in den Staͤd-
ten fort; denn bis zum eigenen Ortsrecht, Zoll, Maas und
Gewicht und Muͤnze fuͤr ſich brachte es denn doch der ad-
liche Grundherr nicht. Der Staat drang nicht tief in die
Staͤdte ein, bis daß die Staatsregierungen vielbeduͤrftig
wurden und nun machtvollkommen, beſoldete Kriegsmann-
ſchaft im Ruͤcken, allenthalben hineinſchauen wollten, wo
es Geld und Gut gaͤbe. Der dreißigjaͤhrige Krieg und das
gewaltthaͤtige Zeitalter, welches ihm folgte, hat mit den
Landesverfaſſungen zugleich die meiſten Deutſchen Staͤdte-
verfaſſungen zerruͤttet, die Gemeinderechte theils an den
Staat uͤbertragen theils in die unrechten Haͤnde niederge-
legt. Aber der Tag der Pruͤfung blieb nicht aus, da man
inne ward, es ſey das Volk an Kraft und Muth verſtuͤm-
melt, ſeit man es in ſeinen wichtigſten Gliedmaaßen, den
Gemeinden, ſchwach gemacht, daher das allgemeine Unge-
ſchick gefaͤhrlichen Zeitlaͤuften zu begegnen, denn wem man
ſeine naͤchſten Geſchaͤfte, die er taͤglich vor Augen ſieht, ab-
genommen hat, der muß groͤßeren Sorgen unterliegen.
Vielleicht war die Lage der ſtaͤdtiſchen Commuͤnen nirgend
unſicherer als in Preußen, wenn wir Preußiſchen Schrift-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0228" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
vor Gerichte fand, &#x017F;o die Orts-Gemeinde in den Ge-<lb/>
meindeverba&#x0364;nden. Manches Dorf, mancher Verband mark-<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Do&#x0364;rfer und Bauer&#x017F;chaften geho&#x0364;rte dazu, bis<lb/>
man an den Gau kam, aber in die&#x017F;em war denn auch fa&#x017F;t<lb/>
Alles enthalten, was den Staat jetzt ausmacht. Gauen<lb/>
fu&#x0364;hrten &#x017F;ogar Krieg unter &#x017F;ich und mit Gauen eines an-<lb/>
dern Volks. Im Gau-Staate lebte man eilf Monathe<lb/>
im Jahre, der Volks-Staat that &#x017F;eine großen Schla&#x0364;ge im<lb/>
Ma&#x0364;rz oder May.</p><lb/>
              <p>241. Als von Gauen la&#x0364;ng&#x017F;t nicht mehr die Rede, lebte<lb/>
der autonome Charakter des Gemeindewe&#x017F;ens in den Sta&#x0364;d-<lb/>
ten fort; denn bis zum eigenen Ortsrecht, Zoll, Maas und<lb/>
Gewicht und Mu&#x0364;nze fu&#x0364;r &#x017F;ich brachte es denn doch der ad-<lb/>
liche Grundherr nicht. Der Staat drang nicht tief in die<lb/>
Sta&#x0364;dte ein, bis daß die Staatsregierungen vielbedu&#x0364;rftig<lb/>
wurden und nun machtvollkommen, be&#x017F;oldete Kriegsmann-<lb/>
&#x017F;chaft im Ru&#x0364;cken, allenthalben hinein&#x017F;chauen wollten, wo<lb/>
es Geld und Gut ga&#x0364;be. Der dreißigja&#x0364;hrige Krieg und das<lb/>
gewalttha&#x0364;tige Zeitalter, welches ihm folgte, hat mit den<lb/>
Landesverfa&#x017F;&#x017F;ungen zugleich die mei&#x017F;ten Deut&#x017F;chen Sta&#x0364;dte-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungen zerru&#x0364;ttet, die Gemeinderechte theils an den<lb/>
Staat u&#x0364;bertragen theils in die unrechten Ha&#x0364;nde niederge-<lb/>
legt. Aber der Tag der Pru&#x0364;fung blieb nicht aus, da man<lb/>
inne ward, es &#x017F;ey das Volk an Kraft und Muth ver&#x017F;tu&#x0364;m-<lb/>
melt, &#x017F;eit man es in &#x017F;einen wichtig&#x017F;ten Gliedmaaßen, den<lb/>
Gemeinden, &#x017F;chwach gemacht, daher das allgemeine Unge-<lb/>
&#x017F;chick gefa&#x0364;hrlichen Zeitla&#x0364;uften zu begegnen, denn wem man<lb/>
&#x017F;eine na&#x0364;ch&#x017F;ten Ge&#x017F;cha&#x0364;fte, die er ta&#x0364;glich vor Augen &#x017F;ieht, ab-<lb/>
genommen hat, der muß gro&#x0364;ßeren Sorgen unterliegen.<lb/>
Vielleicht war die Lage der &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chen Commu&#x0364;nen nirgend<lb/>
un&#x017F;icherer als in Preußen, wenn wir Preußi&#x017F;chen Schrift-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0228] Zehntes Capitel. vor Gerichte fand, ſo die Orts-Gemeinde in den Ge- meindeverbaͤnden. Manches Dorf, mancher Verband mark- genoſſiſcher Doͤrfer und Bauerſchaften gehoͤrte dazu, bis man an den Gau kam, aber in dieſem war denn auch faſt Alles enthalten, was den Staat jetzt ausmacht. Gauen fuͤhrten ſogar Krieg unter ſich und mit Gauen eines an- dern Volks. Im Gau-Staate lebte man eilf Monathe im Jahre, der Volks-Staat that ſeine großen Schlaͤge im Maͤrz oder May. 241. Als von Gauen laͤngſt nicht mehr die Rede, lebte der autonome Charakter des Gemeindeweſens in den Staͤd- ten fort; denn bis zum eigenen Ortsrecht, Zoll, Maas und Gewicht und Muͤnze fuͤr ſich brachte es denn doch der ad- liche Grundherr nicht. Der Staat drang nicht tief in die Staͤdte ein, bis daß die Staatsregierungen vielbeduͤrftig wurden und nun machtvollkommen, beſoldete Kriegsmann- ſchaft im Ruͤcken, allenthalben hineinſchauen wollten, wo es Geld und Gut gaͤbe. Der dreißigjaͤhrige Krieg und das gewaltthaͤtige Zeitalter, welches ihm folgte, hat mit den Landesverfaſſungen zugleich die meiſten Deutſchen Staͤdte- verfaſſungen zerruͤttet, die Gemeinderechte theils an den Staat uͤbertragen theils in die unrechten Haͤnde niederge- legt. Aber der Tag der Pruͤfung blieb nicht aus, da man inne ward, es ſey das Volk an Kraft und Muth verſtuͤm- melt, ſeit man es in ſeinen wichtigſten Gliedmaaßen, den Gemeinden, ſchwach gemacht, daher das allgemeine Unge- ſchick gefaͤhrlichen Zeitlaͤuften zu begegnen, denn wem man ſeine naͤchſten Geſchaͤfte, die er taͤglich vor Augen ſieht, ab- genommen hat, der muß groͤßeren Sorgen unterliegen. Vielleicht war die Lage der ſtaͤdtiſchen Commuͤnen nirgend unſicherer als in Preußen, wenn wir Preußiſchen Schrift-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/228
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/228>, abgerufen am 25.11.2024.