längst ausgebildete Rechtmäßigkeits-Lehre bedarf ihrer ohnehin nicht.
237. Für die Staatsfragen der Gegenwart wird die Philosophie nicht viel mehr thun können als die Haupt- sache, daß sie Sittlichkeit und Recht in einem viel höhe- ren Daseyn als dem menschlichen zu begründen fortfährt. Der Politik bleibt die würdige Aufgabe, mit einem durch die Vergleichung der Zeitalter gestärkten Blicke die noth- wendigen Neubildungen von den Neuerungen zu unterschei- den, welche unersättlich seys der Muthwille seys der Un- muth ersinnt. Die Lage der realen Volks-Elemente ist aber diese. Fast überall im Welttheile bildet ein weitver- breiteter, stets an Gleichartigkeit wachsender Mittelstand den Kern der Bevölkerung; er hat das Wissen der alten Geistlichkeit, das Vermögen des alten Adels zugleich mit seinen Waffen in sich aufgenommen. Ihn hat jede Re- gierung vornehmlich zu beachten, denn in ihm ruht ge- genwärtig der Schwerpunkt des Staates, der ganze Kör- per folgt seiner Bewegung. Will dieser Mittelstand sich als Masse geltend machen, so hat er die Macht, die ein jeder hat, sich selber umzubringen, sich in einen Bildungs- und Vermögens-losen Pöbel zu verwandeln. Strebt er einsichtig nach schützenden Einrichtungen, so mögen seine Mitglieder bedenken, daß nichts schützt als was über uns steht, als was feststeht, erhaben über dem wechselnden Willen der Einzelnen, als was zugleich beschränkt. Lassen seine Mitglieder der gemessenen Fortbildung Raum, so kommt es in Betracht des Endresultats wenig darauf an, ob diese emsiger auf den Wegen der Verwaltung oder der Verfassung vorschreitet; denn beide bilden keine Parallelen, es kommt der Punkt,
Neuntes Capitel.
laͤngſt ausgebildete Rechtmaͤßigkeits-Lehre bedarf ihrer ohnehin nicht.
237. Fuͤr die Staatsfragen der Gegenwart wird die Philoſophie nicht viel mehr thun koͤnnen als die Haupt- ſache, daß ſie Sittlichkeit und Recht in einem viel hoͤhe- ren Daſeyn als dem menſchlichen zu begruͤnden fortfaͤhrt. Der Politik bleibt die wuͤrdige Aufgabe, mit einem durch die Vergleichung der Zeitalter geſtaͤrkten Blicke die noth- wendigen Neubildungen von den Neuerungen zu unterſchei- den, welche unerſaͤttlich ſeys der Muthwille ſeys der Un- muth erſinnt. Die Lage der realen Volks-Elemente iſt aber dieſe. Faſt uͤberall im Welttheile bildet ein weitver- breiteter, ſtets an Gleichartigkeit wachſender Mittelſtand den Kern der Bevoͤlkerung; er hat das Wiſſen der alten Geiſtlichkeit, das Vermoͤgen des alten Adels zugleich mit ſeinen Waffen in ſich aufgenommen. Ihn hat jede Re- gierung vornehmlich zu beachten, denn in ihm ruht ge- genwaͤrtig der Schwerpunkt des Staates, der ganze Koͤr- per folgt ſeiner Bewegung. Will dieſer Mittelſtand ſich als Maſſe geltend machen, ſo hat er die Macht, die ein jeder hat, ſich ſelber umzubringen, ſich in einen Bildungs- und Vermoͤgens-loſen Poͤbel zu verwandeln. Strebt er einſichtig nach ſchuͤtzenden Einrichtungen, ſo moͤgen ſeine Mitglieder bedenken, daß nichts ſchuͤtzt als was uͤber uns ſteht, als was feſtſteht, erhaben uͤber dem wechſelnden Willen der Einzelnen, als was zugleich beſchraͤnkt. Laſſen ſeine Mitglieder der gemeſſenen Fortbildung Raum, ſo kommt es in Betracht des Endreſultats wenig darauf an, ob dieſe emſiger auf den Wegen der Verwaltung oder der Verfaſſung vorſchreitet; denn beide bilden keine Parallelen, es kommt der Punkt,
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Neuntes Capitel.
laͤngſt ausgebildete Rechtmaͤßigkeits-Lehre bedarf ihrer
ohnehin nicht.
237. Fuͤr die Staatsfragen der Gegenwart wird die
Philoſophie nicht viel mehr thun koͤnnen als die Haupt-
ſache, daß ſie Sittlichkeit und Recht in einem viel hoͤhe-
ren Daſeyn als dem menſchlichen zu begruͤnden fortfaͤhrt.
Der Politik bleibt die wuͤrdige Aufgabe, mit einem durch
die Vergleichung der Zeitalter geſtaͤrkten Blicke die noth-
wendigen Neubildungen von den Neuerungen zu unterſchei-
den, welche unerſaͤttlich ſeys der Muthwille ſeys der Un-
muth erſinnt. Die Lage der realen Volks-Elemente iſt
aber dieſe. Faſt uͤberall im Welttheile bildet ein weitver-
breiteter, ſtets an Gleichartigkeit wachſender Mittelſtand
den Kern der Bevoͤlkerung; er hat das Wiſſen der alten
Geiſtlichkeit, das Vermoͤgen des alten Adels zugleich mit
ſeinen Waffen in ſich aufgenommen. Ihn hat jede Re-
gierung vornehmlich zu beachten, denn in ihm ruht ge-
genwaͤrtig der Schwerpunkt des Staates, der ganze Koͤr-
per folgt ſeiner Bewegung. Will dieſer Mittelſtand ſich
als Maſſe geltend machen, ſo hat er die Macht, die ein
jeder hat, ſich ſelber umzubringen, ſich in einen Bildungs-
und Vermoͤgens-loſen Poͤbel zu verwandeln. Strebt er
einſichtig nach ſchuͤtzenden Einrichtungen, ſo moͤgen ſeine
Mitglieder bedenken, daß nichts ſchuͤtzt als was uͤber uns
ſteht, als was feſtſteht, erhaben uͤber dem wechſelnden
Willen der Einzelnen, als was zugleich beſchraͤnkt. Laſſen
ſeine Mitglieder der gemeſſenen Fortbildung Raum,
ſo kommt es in Betracht des Endreſultats wenig
darauf an, ob dieſe emſiger auf den Wegen der
Verwaltung oder der Verfaſſung vorſchreitet; denn
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/224>, abgerufen am 18.07.2024.
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