236. Hoffe man aber nicht dieselbe durch Theorieen des blinden Gehorsams zu überwinden. Schlimm wenn diese von Privatleuten, verderblich wenn sie vvn Regierun- gen ausgehen. Was Brandes, Rehberg, was der noch nicht feile Gentz gegen den Geist der Französischen Revolution erinnerten, athmete nichts von dieser Art und hinterließ eben darum einen tiefen und wohlthätigen Ein- druck. Dagegen haben Bonald, Le Maistre, Adam Müller, Friedrich Schlegel, Haller das Terrain, welches sie den flachen politischen Freigeistern glücklich ab- stritten, alsbald dadurch wieder eingebüßt, daß sie die Geschichte da abschlossen wo sie ihnen unbequem ward und ihren Staat auf der Wiederherstellung von Ver- hältnissen bauten, welche bei dem besten Willen schon darum unwiederherstellbar sind, weil auf bessere Erkenntniß nicht willkührlich verzichtet werden kann, selbst wenn sie die Zustände gefährlich erschüttert haben sollte. Man mag die unsägliche Weitschweifigkeit des Hallerschen Werkes dem Ernste dieser Production zu Gute halten, mag ihn billig loben, daß er die Chimäre des ursprünglichen Staatsver- trages vernichtet und die seit Kant herrschend gewordene Idee, als seyen die Staaten bloß um des Rechtsgesetzes willen gegründet, ebenfalls verwirft als in der bloßen Phantasie der Juristen entsprungen, die ihr positives Ge- setz für das größeste Weltbedürfniß halten; loben, daß er das reiche Nebeneinander der Entwickelungen des Mittel- alters mit Liebe auffaßt und diesen frischen Wald den grad- linigten Grundrissen der modernen Theoretiker gegenüber- stellt. Allein sein Patrimonial-Staat giebt doch auch vom Mittelalter nur ein höchst einseitiges Bild. In keine Zeit will die Darstellung ganz passen, daß der Staat nur aus einem ungeheuren Aggregat von Privatrechten bestehe, ver-
Neuntes Capitel.
236. Hoffe man aber nicht dieſelbe durch Theorieen des blinden Gehorſams zu uͤberwinden. Schlimm wenn dieſe von Privatleuten, verderblich wenn ſie vvn Regierun- gen ausgehen. Was Brandes, Rehberg, was der noch nicht feile Gentz gegen den Geiſt der Franzoͤſiſchen Revolution erinnerten, athmete nichts von dieſer Art und hinterließ eben darum einen tiefen und wohlthaͤtigen Ein- druck. Dagegen haben Bonald, Le Maiſtre, Adam Muͤller, Friedrich Schlegel, Haller das Terrain, welches ſie den flachen politiſchen Freigeiſtern gluͤcklich ab- ſtritten, alsbald dadurch wieder eingebuͤßt, daß ſie die Geſchichte da abſchloſſen wo ſie ihnen unbequem ward und ihren Staat auf der Wiederherſtellung von Ver- haͤltniſſen bauten, welche bei dem beſten Willen ſchon darum unwiederherſtellbar ſind, weil auf beſſere Erkenntniß nicht willkuͤhrlich verzichtet werden kann, ſelbſt wenn ſie die Zuſtaͤnde gefaͤhrlich erſchuͤttert haben ſollte. Man mag die unſaͤgliche Weitſchweifigkeit des Hallerſchen Werkes dem Ernſte dieſer Production zu Gute halten, mag ihn billig loben, daß er die Chimaͤre des urſpruͤnglichen Staatsver- trages vernichtet und die ſeit Kant herrſchend gewordene Idee, als ſeyen die Staaten bloß um des Rechtsgeſetzes willen gegruͤndet, ebenfalls verwirft als in der bloßen Phantaſie der Juriſten entſprungen, die ihr poſitives Ge- ſetz fuͤr das groͤßeſte Weltbeduͤrfniß halten; loben, daß er das reiche Nebeneinander der Entwickelungen des Mittel- alters mit Liebe auffaßt und dieſen friſchen Wald den grad- linigten Grundriſſen der modernen Theoretiker gegenuͤber- ſtellt. Allein ſein Patrimonial-Staat giebt doch auch vom Mittelalter nur ein hoͤchſt einſeitiges Bild. In keine Zeit will die Darſtellung ganz paſſen, daß der Staat nur aus einem ungeheuren Aggregat von Privatrechten beſtehe, ver-
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Neuntes Capitel.
236. Hoffe man aber nicht dieſelbe durch Theorieen
des blinden Gehorſams zu uͤberwinden. Schlimm wenn
dieſe von Privatleuten, verderblich wenn ſie vvn Regierun-
gen ausgehen. Was Brandes, Rehberg, was der
noch nicht feile Gentz gegen den Geiſt der Franzoͤſiſchen
Revolution erinnerten, athmete nichts von dieſer Art und
hinterließ eben darum einen tiefen und wohlthaͤtigen Ein-
druck. Dagegen haben Bonald, Le Maiſtre, Adam
Muͤller, Friedrich Schlegel, Haller das Terrain,
welches ſie den flachen politiſchen Freigeiſtern gluͤcklich ab-
ſtritten, alsbald dadurch wieder eingebuͤßt, daß ſie die
Geſchichte da abſchloſſen wo ſie ihnen unbequem ward
und ihren Staat auf der Wiederherſtellung von Ver-
haͤltniſſen bauten, welche bei dem beſten Willen ſchon
darum unwiederherſtellbar ſind, weil auf beſſere Erkenntniß
nicht willkuͤhrlich verzichtet werden kann, ſelbſt wenn ſie
die Zuſtaͤnde gefaͤhrlich erſchuͤttert haben ſollte. Man mag
die unſaͤgliche Weitſchweifigkeit des Hallerſchen Werkes dem
Ernſte dieſer Production zu Gute halten, mag ihn billig
loben, daß er die Chimaͤre des urſpruͤnglichen Staatsver-
trages vernichtet und die ſeit Kant herrſchend gewordene
Idee, als ſeyen die Staaten bloß um des Rechtsgeſetzes
willen gegruͤndet, ebenfalls verwirft als in der bloßen
Phantaſie der Juriſten entſprungen, die ihr poſitives Ge-
ſetz fuͤr das groͤßeſte Weltbeduͤrfniß halten; loben, daß er
das reiche Nebeneinander der Entwickelungen des Mittel-
alters mit Liebe auffaßt und dieſen friſchen Wald den grad-
linigten Grundriſſen der modernen Theoretiker gegenuͤber-
ſtellt. Allein ſein Patrimonial-Staat giebt doch auch vom
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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