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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Blick auf d. Systematik d. Staatswissensch.
und der Einzelbildung erwachsen, führt man ein langes
Gefolge von Freiheits- und Gleichheits-Rechten auf, die
der Menschheit opferloses unveräußerliches Eigenthum von
jeher gewesen seyn sollen und bleiben müssen, -- und von
denen sich doch am Ende in der Urkunde selber bloß einige
Trümmer finden. Hätte die National-Versammlung nicht
bloß das Staatsrecht verändern wollen, sondern auch ins
Privatrecht eingreifen, die Äcker gleich vertheilen, den Rei-
chen zwingen sich mit der Quote zu begnügen, die bei
der allgemeinen Auftheilung an ihn zurückfallen wird, den
Besitzer mehrerer Häuser sich auf eins zu beschränken, so
waren die Menschenrechte ganz in der Ordnung. Wie es
aber nun stand, der Arme arm blieb und ungeehrt, der
Vermögende fortzahlte, fragte sich die Nation gleich dem
Plutus des Aristophanes: "Wie mach' ich s, daß ich der
Macht, die ich wie du sagst besitze, wirklich Herr werde?"
und da sich an den Menschenrechten nicht zweifeln ließ, so
mußte die Schuld an ihrer mangelhaften Einführung in
die Constitution liegen. Man legte Alles der Beibehaltung
des Königthums zur Last und vergeblich vertheidigte La-
fayette als ehrlicher Mann seine Verfassung. Die Krone
fiel. Was war damit geholfen? An die Spitze der re-
publicanischen Constitution setzte man noch stolzere Men-
schenrechte, man war abermahls unbefriedigt und da die
Menschenrechte längst den Ausdruck geläufig gemacht hat-
ten: "das Gesetz kann nicht", statt daß man früher
sagte: "das Gesetz soll nicht", so übte man, sobald ein
Gesetz dennoch that was es nicht konnte, das constitu-
tionelle Recht ihm als bloß anmaaßlichem Gesetze den Ge-
horsam zu verweigern, statt auf dem gesetzlichen Wege die
Aufhebung desselben zu bewirken. Die Theorie des Unge-
horsams war fertig.

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Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch.
und der Einzelbildung erwachſen, fuͤhrt man ein langes
Gefolge von Freiheits- und Gleichheits-Rechten auf, die
der Menſchheit opferloſes unveraͤußerliches Eigenthum von
jeher geweſen ſeyn ſollen und bleiben muͤſſen, — und von
denen ſich doch am Ende in der Urkunde ſelber bloß einige
Truͤmmer finden. Haͤtte die National-Verſammlung nicht
bloß das Staatsrecht veraͤndern wollen, ſondern auch ins
Privatrecht eingreifen, die Äcker gleich vertheilen, den Rei-
chen zwingen ſich mit der Quote zu begnuͤgen, die bei
der allgemeinen Auftheilung an ihn zuruͤckfallen wird, den
Beſitzer mehrerer Haͤuſer ſich auf eins zu beſchraͤnken, ſo
waren die Menſchenrechte ganz in der Ordnung. Wie es
aber nun ſtand, der Arme arm blieb und ungeehrt, der
Vermoͤgende fortzahlte, fragte ſich die Nation gleich dem
Plutus des Ariſtophanes: “Wie mach’ ich s, daß ich der
Macht, die ich wie du ſagſt beſitze, wirklich Herr werde?”
und da ſich an den Menſchenrechten nicht zweifeln ließ, ſo
mußte die Schuld an ihrer mangelhaften Einfuͤhrung in
die Conſtitution liegen. Man legte Alles der Beibehaltung
des Koͤnigthums zur Laſt und vergeblich vertheidigte La-
fayette als ehrlicher Mann ſeine Verfaſſung. Die Krone
fiel. Was war damit geholfen? An die Spitze der re-
publicaniſchen Conſtitution ſetzte man noch ſtolzere Men-
ſchenrechte, man war abermahls unbefriedigt und da die
Menſchenrechte laͤngſt den Ausdruck gelaͤufig gemacht hat-
ten: “das Geſetz kann nicht”, ſtatt daß man fruͤher
ſagte: “das Geſetz ſoll nicht”, ſo uͤbte man, ſobald ein
Geſetz dennoch that was es nicht konnte, das conſtitu-
tionelle Recht ihm als bloß anmaaßlichem Geſetze den Ge-
horſam zu verweigern, ſtatt auf dem geſetzlichen Wege die
Aufhebung deſſelben zu bewirken. Die Theorie des Unge-
horſams war fertig.

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[209/0221] Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch. und der Einzelbildung erwachſen, fuͤhrt man ein langes Gefolge von Freiheits- und Gleichheits-Rechten auf, die der Menſchheit opferloſes unveraͤußerliches Eigenthum von jeher geweſen ſeyn ſollen und bleiben muͤſſen, — und von denen ſich doch am Ende in der Urkunde ſelber bloß einige Truͤmmer finden. Haͤtte die National-Verſammlung nicht bloß das Staatsrecht veraͤndern wollen, ſondern auch ins Privatrecht eingreifen, die Äcker gleich vertheilen, den Rei- chen zwingen ſich mit der Quote zu begnuͤgen, die bei der allgemeinen Auftheilung an ihn zuruͤckfallen wird, den Beſitzer mehrerer Haͤuſer ſich auf eins zu beſchraͤnken, ſo waren die Menſchenrechte ganz in der Ordnung. Wie es aber nun ſtand, der Arme arm blieb und ungeehrt, der Vermoͤgende fortzahlte, fragte ſich die Nation gleich dem Plutus des Ariſtophanes: “Wie mach’ ich s, daß ich der Macht, die ich wie du ſagſt beſitze, wirklich Herr werde?” und da ſich an den Menſchenrechten nicht zweifeln ließ, ſo mußte die Schuld an ihrer mangelhaften Einfuͤhrung in die Conſtitution liegen. Man legte Alles der Beibehaltung des Koͤnigthums zur Laſt und vergeblich vertheidigte La- fayette als ehrlicher Mann ſeine Verfaſſung. Die Krone fiel. Was war damit geholfen? An die Spitze der re- publicaniſchen Conſtitution ſetzte man noch ſtolzere Men- ſchenrechte, man war abermahls unbefriedigt und da die Menſchenrechte laͤngſt den Ausdruck gelaͤufig gemacht hat- ten: “das Geſetz kann nicht”, ſtatt daß man fruͤher ſagte: “das Geſetz ſoll nicht”, ſo uͤbte man, ſobald ein Geſetz dennoch that was es nicht konnte, das conſtitu- tionelle Recht ihm als bloß anmaaßlichem Geſetze den Ge- horſam zu verweigern, ſtatt auf dem geſetzlichen Wege die Aufhebung deſſelben zu bewirken. Die Theorie des Unge- horſams war fertig. 14

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/221>, abgerufen am 23.11.2024.