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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Neuntes Capitel.
ist der Gedanke zuerst von den Jesuiten ausgebildet, welche
das geistliche Regiment des Pabstes unmittelbar von Gott
leiteten und eben darum alle weltliche Herrschaft nur mit-
telbar. Im Allgemeinen nehmlich sey Regierung von Gott,
denn sie folgt aus der Natur der Menschheit und kommt
mithin von dem, der diese Natur gemacht hat; allein die
besondere Form der Regierung sey darum nicht von Gott
und auf diese der Spruch des Paulus an die Römer nicht
zu beziehen. "Das göttliche Recht hat keinem besondern
Menschen diese Gewalt verliehen, mithin hat es dieselbe der
Menge verliehen, darum gehört die Gewalt der ganzen
Menge an." Auch bewahren die Jesuiten sich schlau vor
der später von Hobbes dennoch gebrauchten Annahme, daß
diese Gewalt der Menge, die ja doch nicht selber herrschen
kann, durch den Act der Herrschafts-Übertragung verloren
gegangen sey. "Es ist nicht denkbar, daß die Bürger sich
ihrer Macht ganz berauben, sich nicht den größeren Theil
haben vorbehalten wollen." 1) Eben dieses Weges sucht
Locke seinen Pfad und Rousseau macht gar die gewöhnliche
Landstraße daraus, die er allem Volk zu ziehn räth. Will
man nun das Volks-Souveränität nennen, daß das
Volk am Ende mit seinem Wohle Zweck aller Regierung
bleibt, daß eine ihrem Zwecke beharrlich widerstrebende Re-
gierung dem Untergange verfallen ist, daß das Recht
zu regieren nie rein-privatrechtlich ein jus quaesitum
werden kann, so ist nichts gegen den Sinn der Sache ein-
zuwenden, nur daß die Benennung ihn verdunkelt; allein
dem Volk im Gegensatze gegen seine Regierung, dem von
Regierung verlassenen, an seiner Einheit verstümmelten
Volk die Souveränität beilegen, wie Rousseau thut, ist
ein verderblicher Irrthum, der die Krankheit zur Gesund-
heit und jede Rotte verfassungsmäßig zum Herrn der Re-

Neuntes Capitel.
iſt der Gedanke zuerſt von den Jeſuiten ausgebildet, welche
das geiſtliche Regiment des Pabſtes unmittelbar von Gott
leiteten und eben darum alle weltliche Herrſchaft nur mit-
telbar. Im Allgemeinen nehmlich ſey Regierung von Gott,
denn ſie folgt aus der Natur der Menſchheit und kommt
mithin von dem, der dieſe Natur gemacht hat; allein die
beſondere Form der Regierung ſey darum nicht von Gott
und auf dieſe der Spruch des Paulus an die Roͤmer nicht
zu beziehen. “Das goͤttliche Recht hat keinem beſondern
Menſchen dieſe Gewalt verliehen, mithin hat es dieſelbe der
Menge verliehen, darum gehoͤrt die Gewalt der ganzen
Menge an.” Auch bewahren die Jeſuiten ſich ſchlau vor
der ſpaͤter von Hobbes dennoch gebrauchten Annahme, daß
dieſe Gewalt der Menge, die ja doch nicht ſelber herrſchen
kann, durch den Act der Herrſchafts-Übertragung verloren
gegangen ſey. “Es iſt nicht denkbar, daß die Buͤrger ſich
ihrer Macht ganz berauben, ſich nicht den groͤßeren Theil
haben vorbehalten wollen.” 1) Eben dieſes Weges ſucht
Locke ſeinen Pfad und Rouſſeau macht gar die gewoͤhnliche
Landſtraße daraus, die er allem Volk zu ziehn raͤth. Will
man nun das Volks-Souveraͤnitaͤt nennen, daß das
Volk am Ende mit ſeinem Wohle Zweck aller Regierung
bleibt, daß eine ihrem Zwecke beharrlich widerſtrebende Re-
gierung dem Untergange verfallen iſt, daß das Recht
zu regieren nie rein-privatrechtlich ein jus quaesitum
werden kann, ſo iſt nichts gegen den Sinn der Sache ein-
zuwenden, nur daß die Benennung ihn verdunkelt; allein
dem Volk im Gegenſatze gegen ſeine Regierung, dem von
Regierung verlaſſenen, an ſeiner Einheit verſtuͤmmelten
Volk die Souveraͤnitaͤt beilegen, wie Rouſſeau thut, iſt
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[206/0218] Neuntes Capitel. iſt der Gedanke zuerſt von den Jeſuiten ausgebildet, welche das geiſtliche Regiment des Pabſtes unmittelbar von Gott leiteten und eben darum alle weltliche Herrſchaft nur mit- telbar. Im Allgemeinen nehmlich ſey Regierung von Gott, denn ſie folgt aus der Natur der Menſchheit und kommt mithin von dem, der dieſe Natur gemacht hat; allein die beſondere Form der Regierung ſey darum nicht von Gott und auf dieſe der Spruch des Paulus an die Roͤmer nicht zu beziehen. “Das goͤttliche Recht hat keinem beſondern Menſchen dieſe Gewalt verliehen, mithin hat es dieſelbe der Menge verliehen, darum gehoͤrt die Gewalt der ganzen Menge an.” Auch bewahren die Jeſuiten ſich ſchlau vor der ſpaͤter von Hobbes dennoch gebrauchten Annahme, daß dieſe Gewalt der Menge, die ja doch nicht ſelber herrſchen kann, durch den Act der Herrſchafts-Übertragung verloren gegangen ſey. “Es iſt nicht denkbar, daß die Buͤrger ſich ihrer Macht ganz berauben, ſich nicht den groͤßeren Theil haben vorbehalten wollen.” 1) Eben dieſes Weges ſucht Locke ſeinen Pfad und Rouſſeau macht gar die gewoͤhnliche Landſtraße daraus, die er allem Volk zu ziehn raͤth. Will man nun das Volks-Souveraͤnitaͤt nennen, daß das Volk am Ende mit ſeinem Wohle Zweck aller Regierung bleibt, daß eine ihrem Zwecke beharrlich widerſtrebende Re- gierung dem Untergange verfallen iſt, daß das Recht zu regieren nie rein-privatrechtlich ein jus quaesitum werden kann, ſo iſt nichts gegen den Sinn der Sache ein- zuwenden, nur daß die Benennung ihn verdunkelt; allein dem Volk im Gegenſatze gegen ſeine Regierung, dem von Regierung verlaſſenen, an ſeiner Einheit verſtuͤmmelten Volk die Souveraͤnitaͤt beilegen, wie Rouſſeau thut, iſt ein verderblicher Irrthum, der die Krankheit zur Geſund- heit und jede Rotte verfaſſungsmaͤßig zum Herrn der Re-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/218>, abgerufen am 22.11.2024.