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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Neuntes Capitel.
macht, die er im Keime zertreten hat 1). Jean Bodin
schilt den Machiavell ohne seinem Genie zu huldigen; er
hat von den Alten gelernt, daß nicht die Staatsform, son-
dern die Lage der Staatsgewalten über die Wirkung einer
Verfassung entscheidet; schon die Untheilbarkeit der höchsten
Gewalt aber bestimmt ihn für die Monarchie. Sein Werk
über den Staat hat nichts von der erschütternden Gedan-
kenkraft Machiavells, ist nicht begeisternd, aber lehrreich ist
er, ungeachtet mancher Unzuverlässigkeit in den Thatsachen,
voll Sinns für die historische Verschiedenartigkeit der
menschlichen Zustände, auch reich an volkswirthschaftlichen
Notizen, die er freilich noch reicher in einem früher erschie-
nenen Werke ausgestreut hat 2).

1) Gervinus hat in seinen ausgezeichneten Untersuchungen über
die Florentinische Historiographie (Hist. Schriften. 1833) bündig
bewiesen, daß nicht im Principe allein das enthalten sey was
man gewöhnlich am Machiavelli verabscheut, sondern gleichmäßig
in allen seinen Schriften und namentlich in den Discorsi. Sehr
bezeichnend für M's Denkart sind die S. 128 aus seinem golde-
nen Esel gegebenen Verse.
Wohl glaubt' ich stets, daß Gift des Todes ruhte
in Zins und Wucher, und daß Fleischessünde
der Erdenreiche Geißel sey und Ruthe;
und daß sich ihrer Größe Ursach finde
im Wohlthun und im Beten und Enthalten,
und daß sich hierauf ihre Macht begründe:
doch denkt wer tiefern Sinn weiß zu entfalten,
dies Übel gnüge nicht sie zu vernichten,
noch gnüge dieses Gut sie zu erhalten.
Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten
an uns, dieweil wir faul die Kniee beugen,
muß Reich und Staaten gar zu Grunde richten.
Wohl noth ist's vom Gebete nicht zu weichen,
und sinnlos sind, die sich zu stören freuen
ein Volk in seinen heiligen Gebräuchen.

Neuntes Capitel.
macht, die er im Keime zertreten hat 1). Jean Bodin
ſchilt den Machiavell ohne ſeinem Genie zu huldigen; er
hat von den Alten gelernt, daß nicht die Staatsform, ſon-
dern die Lage der Staatsgewalten uͤber die Wirkung einer
Verfaſſung entſcheidet; ſchon die Untheilbarkeit der hoͤchſten
Gewalt aber beſtimmt ihn fuͤr die Monarchie. Sein Werk
uͤber den Staat hat nichts von der erſchuͤtternden Gedan-
kenkraft Machiavells, iſt nicht begeiſternd, aber lehrreich iſt
er, ungeachtet mancher Unzuverlaͤſſigkeit in den Thatſachen,
voll Sinns fuͤr die hiſtoriſche Verſchiedenartigkeit der
menſchlichen Zuſtaͤnde, auch reich an volkswirthſchaftlichen
Notizen, die er freilich noch reicher in einem fruͤher erſchie-
nenen Werke ausgeſtreut hat 2).

1) Gervinus hat in ſeinen ausgezeichneten Unterſuchungen uͤber
die Florentiniſche Hiſtoriographie (Hiſt. Schriften. 1833) buͤndig
bewieſen, daß nicht im Principe allein das enthalten ſey was
man gewoͤhnlich am Machiavelli verabſcheut, ſondern gleichmaͤßig
in allen ſeinen Schriften und namentlich in den Discorsi. Sehr
bezeichnend fuͤr M’s Denkart ſind die S. 128 aus ſeinem golde-
nen Eſel gegebenen Verſe.
Wohl glaubt’ ich ſtets, daß Gift des Todes ruhte
in Zins und Wucher, und daß Fleiſchesſuͤnde
der Erdenreiche Geißel ſey und Ruthe;
und daß ſich ihrer Groͤße Urſach finde
im Wohlthun und im Beten und Enthalten,
und daß ſich hierauf ihre Macht begruͤnde:
doch denkt wer tiefern Sinn weiß zu entfalten,
dies Übel gnuͤge nicht ſie zu vernichten,
noch gnuͤge dieſes Gut ſie zu erhalten.
Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten
an uns, dieweil wir faul die Kniee beugen,
muß Reich und Staaten gar zu Grunde richten.
Wohl noth iſt’s vom Gebete nicht zu weichen,
und ſinnlos ſind, die ſich zu ſtoͤren freuen
ein Volk in ſeinen heiligen Gebraͤuchen.
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[198/0210] Neuntes Capitel. macht, die er im Keime zertreten hat 1). Jean Bodin ſchilt den Machiavell ohne ſeinem Genie zu huldigen; er hat von den Alten gelernt, daß nicht die Staatsform, ſon- dern die Lage der Staatsgewalten uͤber die Wirkung einer Verfaſſung entſcheidet; ſchon die Untheilbarkeit der hoͤchſten Gewalt aber beſtimmt ihn fuͤr die Monarchie. Sein Werk uͤber den Staat hat nichts von der erſchuͤtternden Gedan- kenkraft Machiavells, iſt nicht begeiſternd, aber lehrreich iſt er, ungeachtet mancher Unzuverlaͤſſigkeit in den Thatſachen, voll Sinns fuͤr die hiſtoriſche Verſchiedenartigkeit der menſchlichen Zuſtaͤnde, auch reich an volkswirthſchaftlichen Notizen, die er freilich noch reicher in einem fruͤher erſchie- nenen Werke ausgeſtreut hat 2). ¹⁾ Gervinus hat in ſeinen ausgezeichneten Unterſuchungen uͤber die Florentiniſche Hiſtoriographie (Hiſt. Schriften. 1833) buͤndig bewieſen, daß nicht im Principe allein das enthalten ſey was man gewoͤhnlich am Machiavelli verabſcheut, ſondern gleichmaͤßig in allen ſeinen Schriften und namentlich in den Discorsi. Sehr bezeichnend fuͤr M’s Denkart ſind die S. 128 aus ſeinem golde- nen Eſel gegebenen Verſe. Wohl glaubt’ ich ſtets, daß Gift des Todes ruhte in Zins und Wucher, und daß Fleiſchesſuͤnde der Erdenreiche Geißel ſey und Ruthe; und daß ſich ihrer Groͤße Urſach finde im Wohlthun und im Beten und Enthalten, und daß ſich hierauf ihre Macht begruͤnde: doch denkt wer tiefern Sinn weiß zu entfalten, dies Übel gnuͤge nicht ſie zu vernichten, noch gnuͤge dieſes Gut ſie zu erhalten. Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten an uns, dieweil wir faul die Kniee beugen, muß Reich und Staaten gar zu Grunde richten. Wohl noth iſt’s vom Gebete nicht zu weichen, und ſinnlos ſind, die ſich zu ſtoͤren freuen ein Volk in ſeinen heiligen Gebraͤuchen.

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/210>, abgerufen am 25.11.2024.