Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Blick auf d. Systematik d. Staatswissensch.
durch die schöpferische Salbung des Fürsten Inneres hei-
ligt, den Staat unter die Kirche schiebt und wieder die
Kirche unter den Staat, der politischen Dreizahl huldigt
oder der Volks-Souveränität; wie man dieser im Herzen
unschuldige Altäre baut, oder sie in die Welt ausströmen
läßt, damit die Freiheit des Ganzen lebe, wenn auch das
Glück der Einzelnen zum Opfer fällt. Aber auch Land-
stände gölte es hier zu mustern, die keine Lebenskraft zum
Stehen haben und von einer Concessions- und Octroy-
Systematik wäre zu reden, die Andere glauben machen
will was sie selbst nicht glaubt; falls nicht diese Erörte-
rung über das bloße Meinen hinausgeht. Hier nun möge
Weniges zugleich an das Viele erinnern, das unge-
sagt bleibt.

209. Von keinem früher aber würde als vom Pytha-
goras
anzufangen und wohl lange bei ihm zu verweilen
seyn, stände er nicht wie eine eben so verdunkelte als ein-
zig hohe Gestalt da. Die Weisesten des späteren Griechen-
lands deuteten gern auf ihn als den Meister zurück, der
jedem Theile des Wissens in die Tiefe sah, größer noch
durch den Besitz des geistigen Bandes, welches die Theile
zum Ganzen verknüpft, der es zweifelhaft ließ, ob nicht,
wenn seine Schule Bestand gehabt, aus seinen Weihen sich
eine Religion der Hellenen von tiefsinnigerem Grunde her-
vorgebildet hätte, durch eine Priesterschaft der Geweihten
höchster Stufe zugleich mit dem Staate selber verwaltet.
Wie es nun kam, blieb, während im Innern jeder Wissen-
schaft Denkmale dieses so gewaltigen geistigen Vermögens
aufgestellt waren, im öffentlichen Gedächtniß der Menschen
nur die Überlieferung einer ganz ausgezeichneten Lebens-
weise übrig, welche Pythagoras auf seine Bundesgenossen

Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch.
durch die ſchoͤpferiſche Salbung des Fuͤrſten Inneres hei-
ligt, den Staat unter die Kirche ſchiebt und wieder die
Kirche unter den Staat, der politiſchen Dreizahl huldigt
oder der Volks-Souveraͤnitaͤt; wie man dieſer im Herzen
unſchuldige Altaͤre baut, oder ſie in die Welt ausſtroͤmen
laͤßt, damit die Freiheit des Ganzen lebe, wenn auch das
Gluͤck der Einzelnen zum Opfer faͤllt. Aber auch Land-
ſtaͤnde goͤlte es hier zu muſtern, die keine Lebenskraft zum
Stehen haben und von einer Conceſſions- und Octroy-
Syſtematik waͤre zu reden, die Andere glauben machen
will was ſie ſelbſt nicht glaubt; falls nicht dieſe Eroͤrte-
rung uͤber das bloße Meinen hinausgeht. Hier nun moͤge
Weniges zugleich an das Viele erinnern, das unge-
ſagt bleibt.

209. Von keinem fruͤher aber wuͤrde als vom Pytha-
goras
anzufangen und wohl lange bei ihm zu verweilen
ſeyn, ſtaͤnde er nicht wie eine eben ſo verdunkelte als ein-
zig hohe Geſtalt da. Die Weiſeſten des ſpaͤteren Griechen-
lands deuteten gern auf ihn als den Meiſter zuruͤck, der
jedem Theile des Wiſſens in die Tiefe ſah, groͤßer noch
durch den Beſitz des geiſtigen Bandes, welches die Theile
zum Ganzen verknuͤpft, der es zweifelhaft ließ, ob nicht,
wenn ſeine Schule Beſtand gehabt, aus ſeinen Weihen ſich
eine Religion der Hellenen von tiefſinnigerem Grunde her-
vorgebildet haͤtte, durch eine Prieſterſchaft der Geweihten
hoͤchſter Stufe zugleich mit dem Staate ſelber verwaltet.
Wie es nun kam, blieb, waͤhrend im Innern jeder Wiſſen-
ſchaft Denkmale dieſes ſo gewaltigen geiſtigen Vermoͤgens
aufgeſtellt waren, im oͤffentlichen Gedaͤchtniß der Menſchen
nur die Überlieferung einer ganz ausgezeichneten Lebens-
weiſe uͤbrig, welche Pythagoras auf ſeine Bundesgenoſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0195" n="183"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Blick auf d. Sy&#x017F;tematik d. Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ch</hi>.</fw><lb/>
durch die &#x017F;cho&#x0364;pferi&#x017F;che Salbung des Fu&#x0364;r&#x017F;ten Inneres hei-<lb/>
ligt, den Staat unter die Kirche &#x017F;chiebt und wieder die<lb/>
Kirche unter den Staat, der politi&#x017F;chen Dreizahl huldigt<lb/>
oder der Volks-Souvera&#x0364;nita&#x0364;t; wie man die&#x017F;er im Herzen<lb/>
un&#x017F;chuldige Alta&#x0364;re baut, oder &#x017F;ie in die Welt aus&#x017F;tro&#x0364;men<lb/>
la&#x0364;ßt, damit die Freiheit des Ganzen lebe, wenn auch das<lb/>
Glu&#x0364;ck der Einzelnen zum Opfer fa&#x0364;llt. Aber auch Land-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde go&#x0364;lte es hier zu mu&#x017F;tern, die keine Lebenskraft zum<lb/>
Stehen haben und von einer Conce&#x017F;&#x017F;ions- und Octroy-<lb/>
Sy&#x017F;tematik wa&#x0364;re zu reden, die Andere glauben machen<lb/>
will was &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nicht glaubt; falls nicht die&#x017F;e Ero&#x0364;rte-<lb/>
rung u&#x0364;ber das bloße Meinen hinausgeht. Hier nun mo&#x0364;ge<lb/>
Weniges zugleich an das Viele erinnern, das unge-<lb/>
&#x017F;agt bleibt.</p><lb/>
            <p>209. Von keinem fru&#x0364;her aber wu&#x0364;rde als vom <hi rendition="#g">Pytha-<lb/>
goras</hi> anzufangen und wohl lange bei ihm zu verweilen<lb/>
&#x017F;eyn, &#x017F;ta&#x0364;nde er nicht wie eine eben &#x017F;o verdunkelte als ein-<lb/>
zig hohe Ge&#x017F;talt da. Die Wei&#x017F;e&#x017F;ten des &#x017F;pa&#x0364;teren Griechen-<lb/>
lands deuteten gern auf ihn als den Mei&#x017F;ter zuru&#x0364;ck, der<lb/>
jedem Theile des Wi&#x017F;&#x017F;ens in die Tiefe &#x017F;ah, gro&#x0364;ßer noch<lb/>
durch den Be&#x017F;itz des gei&#x017F;tigen Bandes, welches die Theile<lb/>
zum Ganzen verknu&#x0364;pft, der es zweifelhaft ließ, ob nicht,<lb/>
wenn &#x017F;eine Schule Be&#x017F;tand gehabt, aus &#x017F;einen Weihen &#x017F;ich<lb/>
eine Religion der Hellenen von tief&#x017F;innigerem Grunde her-<lb/>
vorgebildet ha&#x0364;tte, durch eine Prie&#x017F;ter&#x017F;chaft der Geweihten<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ter Stufe zugleich mit dem Staate &#x017F;elber verwaltet.<lb/>
Wie es nun kam, blieb, wa&#x0364;hrend im Innern jeder Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft Denkmale die&#x017F;es &#x017F;o gewaltigen gei&#x017F;tigen Vermo&#x0364;gens<lb/>
aufge&#x017F;tellt waren, im o&#x0364;ffentlichen Geda&#x0364;chtniß der Men&#x017F;chen<lb/>
nur die Überlieferung einer ganz ausgezeichneten Lebens-<lb/>
wei&#x017F;e u&#x0364;brig, welche Pythagoras auf &#x017F;eine Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0195] Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch. durch die ſchoͤpferiſche Salbung des Fuͤrſten Inneres hei- ligt, den Staat unter die Kirche ſchiebt und wieder die Kirche unter den Staat, der politiſchen Dreizahl huldigt oder der Volks-Souveraͤnitaͤt; wie man dieſer im Herzen unſchuldige Altaͤre baut, oder ſie in die Welt ausſtroͤmen laͤßt, damit die Freiheit des Ganzen lebe, wenn auch das Gluͤck der Einzelnen zum Opfer faͤllt. Aber auch Land- ſtaͤnde goͤlte es hier zu muſtern, die keine Lebenskraft zum Stehen haben und von einer Conceſſions- und Octroy- Syſtematik waͤre zu reden, die Andere glauben machen will was ſie ſelbſt nicht glaubt; falls nicht dieſe Eroͤrte- rung uͤber das bloße Meinen hinausgeht. Hier nun moͤge Weniges zugleich an das Viele erinnern, das unge- ſagt bleibt. 209. Von keinem fruͤher aber wuͤrde als vom Pytha- goras anzufangen und wohl lange bei ihm zu verweilen ſeyn, ſtaͤnde er nicht wie eine eben ſo verdunkelte als ein- zig hohe Geſtalt da. Die Weiſeſten des ſpaͤteren Griechen- lands deuteten gern auf ihn als den Meiſter zuruͤck, der jedem Theile des Wiſſens in die Tiefe ſah, groͤßer noch durch den Beſitz des geiſtigen Bandes, welches die Theile zum Ganzen verknuͤpft, der es zweifelhaft ließ, ob nicht, wenn ſeine Schule Beſtand gehabt, aus ſeinen Weihen ſich eine Religion der Hellenen von tiefſinnigerem Grunde her- vorgebildet haͤtte, durch eine Prieſterſchaft der Geweihten hoͤchſter Stufe zugleich mit dem Staate ſelber verwaltet. Wie es nun kam, blieb, waͤhrend im Innern jeder Wiſſen- ſchaft Denkmale dieſes ſo gewaltigen geiſtigen Vermoͤgens aufgeſtellt waren, im oͤffentlichen Gedaͤchtniß der Menſchen nur die Überlieferung einer ganz ausgezeichneten Lebens- weiſe uͤbrig, welche Pythagoras auf ſeine Bundesgenoſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/195
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/195>, abgerufen am 23.11.2024.