204. So wenig also beachtet ein in politischer Bildung vorgerücktes Volk das stolze y si no, no der Arragonesen, und was bei den Polen, Ungarn, und in Englands und Deutschlands Geschichte Verwandtes vorkommt, als einen beneidenswerthen Vorzug einer kräftigeren Vergangenheit, daß es vielmehr von den aus der Ferne vorbeugenden Mit- teln, die hauptsächlich in der Kraft furchtlos freier Rede aus gerechtem Munde ruhen, stets am meisten erwartet, den Widerstand durch Versagung aber scheut wegen der zarten Gränze, die ihn vom aggressiven Widerstande schei- det. Ein solches Volk giebt aus tiefer Überzeugung selbst seine Stimme zu den Strafen, welche die Gesetzgebung denen droht, welche gewaltsame Unternehmungen gegen eine einzelne That der Regierung durch Aufstand oder ge- gen das Daseyn derselben durch Revolution versuchen möchten. Weil indeß der Unternehmung möglicher Weise ein Nothrecht zum Grunde lag, so liegt es in der Na- tur der Sache, daß Staatsverbrecher des Auslands an- ders behandelt werden als Verbrecher gegen die bürger- liche Gesetzgebung und die Auslieferung jener in der Regel verweigert wird.
205. Denn Nothwehr hat von jeher als sittliche Rechtfertigung der Erhebung gegen eine Staatsgewalt ge- golten, welche über ihre Zwecke und Gränzen beharrlich hinausschreitet. Es ist aber für das Heil der Staaten und ihrer Regierungen hochwichtig zu erkennen, wie nicht überall dieselben Verletzungen das Herz der Nation mit der Überzeugung verwunden, die Stunde der Nothwehr sey gekommen. Es giebt Völker, die allein den Bedarf, andere, die auch die Bequemlichkeiten zu den Nothwendig- keiten des Lebens rechnen, es giebt Regionen, in denen
Achtes Capitel.
204. So wenig alſo beachtet ein in politiſcher Bildung vorgeruͤcktes Volk das ſtolze y si no, no der Arragoneſen, und was bei den Polen, Ungarn, und in Englands und Deutſchlands Geſchichte Verwandtes vorkommt, als einen beneidenswerthen Vorzug einer kraͤftigeren Vergangenheit, daß es vielmehr von den aus der Ferne vorbeugenden Mit- teln, die hauptſaͤchlich in der Kraft furchtlos freier Rede aus gerechtem Munde ruhen, ſtets am meiſten erwartet, den Widerſtand durch Verſagung aber ſcheut wegen der zarten Graͤnze, die ihn vom aggreſſiven Widerſtande ſchei- det. Ein ſolches Volk giebt aus tiefer Überzeugung ſelbſt ſeine Stimme zu den Strafen, welche die Geſetzgebung denen droht, welche gewaltſame Unternehmungen gegen eine einzelne That der Regierung durch Aufſtand oder ge- gen das Daſeyn derſelben durch Revolution verſuchen moͤchten. Weil indeß der Unternehmung moͤglicher Weiſe ein Nothrecht zum Grunde lag, ſo liegt es in der Na- tur der Sache, daß Staatsverbrecher des Auslands an- ders behandelt werden als Verbrecher gegen die buͤrger- liche Geſetzgebung und die Auslieferung jener in der Regel verweigert wird.
205. Denn Nothwehr hat von jeher als ſittliche Rechtfertigung der Erhebung gegen eine Staatsgewalt ge- golten, welche uͤber ihre Zwecke und Graͤnzen beharrlich hinausſchreitet. Es iſt aber fuͤr das Heil der Staaten und ihrer Regierungen hochwichtig zu erkennen, wie nicht uͤberall dieſelben Verletzungen das Herz der Nation mit der Überzeugung verwunden, die Stunde der Nothwehr ſey gekommen. Es giebt Voͤlker, die allein den Bedarf, andere, die auch die Bequemlichkeiten zu den Nothwendig- keiten des Lebens rechnen, es giebt Regionen, in denen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0190"n="178"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>204. So wenig alſo beachtet ein in politiſcher Bildung<lb/>
vorgeruͤcktes Volk das ſtolze <hirendition="#aq">y si no, no</hi> der Arragoneſen,<lb/>
und was bei den Polen, Ungarn, und in Englands und<lb/>
Deutſchlands Geſchichte Verwandtes vorkommt, als einen<lb/>
beneidenswerthen Vorzug einer kraͤftigeren Vergangenheit,<lb/>
daß es vielmehr von den aus der Ferne vorbeugenden Mit-<lb/>
teln, die hauptſaͤchlich in der Kraft furchtlos freier Rede<lb/>
aus gerechtem Munde ruhen, ſtets am meiſten erwartet,<lb/>
den Widerſtand durch Verſagung aber ſcheut wegen der<lb/>
zarten Graͤnze, die ihn vom aggreſſiven Widerſtande ſchei-<lb/>
det. Ein ſolches Volk giebt aus tiefer Überzeugung ſelbſt<lb/>ſeine Stimme zu den Strafen, welche die Geſetzgebung<lb/>
denen droht, welche gewaltſame Unternehmungen gegen<lb/>
eine einzelne That der Regierung durch Aufſtand oder ge-<lb/>
gen das Daſeyn derſelben durch Revolution verſuchen<lb/>
moͤchten. Weil indeß der Unternehmung moͤglicher Weiſe<lb/>
ein Nothrecht zum Grunde lag, ſo liegt es in der Na-<lb/>
tur der Sache, daß Staatsverbrecher des Auslands an-<lb/>
ders behandelt werden als Verbrecher gegen die buͤrger-<lb/>
liche Geſetzgebung und die Auslieferung jener in der Regel<lb/>
verweigert wird.</p><lb/><p>205. Denn Nothwehr hat von jeher als ſittliche<lb/>
Rechtfertigung der Erhebung gegen eine Staatsgewalt ge-<lb/>
golten, welche uͤber ihre Zwecke und Graͤnzen beharrlich<lb/>
hinausſchreitet. Es iſt aber fuͤr das Heil der Staaten<lb/>
und ihrer Regierungen hochwichtig zu erkennen, wie nicht<lb/>
uͤberall dieſelben Verletzungen das Herz der Nation mit<lb/>
der Überzeugung verwunden, die Stunde der Nothwehr<lb/>ſey gekommen. Es giebt Voͤlker, die allein den Bedarf,<lb/>
andere, die auch die Bequemlichkeiten zu den Nothwendig-<lb/>
keiten des Lebens rechnen, es giebt Regionen, in denen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[178/0190]
Achtes Capitel.
204. So wenig alſo beachtet ein in politiſcher Bildung
vorgeruͤcktes Volk das ſtolze y si no, no der Arragoneſen,
und was bei den Polen, Ungarn, und in Englands und
Deutſchlands Geſchichte Verwandtes vorkommt, als einen
beneidenswerthen Vorzug einer kraͤftigeren Vergangenheit,
daß es vielmehr von den aus der Ferne vorbeugenden Mit-
teln, die hauptſaͤchlich in der Kraft furchtlos freier Rede
aus gerechtem Munde ruhen, ſtets am meiſten erwartet,
den Widerſtand durch Verſagung aber ſcheut wegen der
zarten Graͤnze, die ihn vom aggreſſiven Widerſtande ſchei-
det. Ein ſolches Volk giebt aus tiefer Überzeugung ſelbſt
ſeine Stimme zu den Strafen, welche die Geſetzgebung
denen droht, welche gewaltſame Unternehmungen gegen
eine einzelne That der Regierung durch Aufſtand oder ge-
gen das Daſeyn derſelben durch Revolution verſuchen
moͤchten. Weil indeß der Unternehmung moͤglicher Weiſe
ein Nothrecht zum Grunde lag, ſo liegt es in der Na-
tur der Sache, daß Staatsverbrecher des Auslands an-
ders behandelt werden als Verbrecher gegen die buͤrger-
liche Geſetzgebung und die Auslieferung jener in der Regel
verweigert wird.
205. Denn Nothwehr hat von jeher als ſittliche
Rechtfertigung der Erhebung gegen eine Staatsgewalt ge-
golten, welche uͤber ihre Zwecke und Graͤnzen beharrlich
hinausſchreitet. Es iſt aber fuͤr das Heil der Staaten
und ihrer Regierungen hochwichtig zu erkennen, wie nicht
uͤberall dieſelben Verletzungen das Herz der Nation mit
der Überzeugung verwunden, die Stunde der Nothwehr
ſey gekommen. Es giebt Voͤlker, die allein den Bedarf,
andere, die auch die Bequemlichkeiten zu den Nothwendig-
keiten des Lebens rechnen, es giebt Regionen, in denen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/190>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.