Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtes Capitel.

Wäre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten
Widerstandes verfassungsmäßig aufzustellen und nur auf
gewisse nahmhaft gemachte Fälle zu beschränken? Wir be-
haupten: Nein. In der heutigen Staatsordnung darf
gewaltsamer Widerstand nie gesetzlich gemacht werden; er
liegt dem Grundgesetze so fern, als der wahrhaften Ehe
der Streit der Kirchen über die Zulässigkeit der Scheidung
liegt. Das Verfassungsrecht des gewaffneten Widerstandes
beruhte auf dem Rechte der ständischen Mitregierung, war
ein Theil von diesem und ist mit ihm aufgegeben. Wo
vor Alters Volksversammlungen schalteten, wurde in jedem
einzelnen Mitgliede derselben ein Bruchstück der Regierung
verletzt; nur die Klugheit beschränkte das Recht des Auf-
standes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann,
es war Pflicht ihn zu tödten. So lange privilegirte
Stände mitregierten, huldigten diese unter Vorbehalt, ließen
sich Festungen einräumen, kündigten den Gehorsam auf,
wählten einen wohlgefälligeren Herrn. Seit aber wachsende
politische Bildung die Wahlfürstlichkeit verworfen und ein-
gesehen hat, daß die Regierung am wohlthätigsten von ei-
ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwischenreich in
die andere übergeht, mit Ausschließung aller willkührlichen
Verfügung über die Krone, und der Staat sich in Folge
dieser Grundwahrheit feiner und tiefsinniger organisirt hat,
beschränken sich die Wege des erlaubten Widerstandes,
welche die Verfassung eröffnen kann aber auch eröffnen soll,
allein auf gewisse Weigerungen, ein Verneinen des
Gehorsams in gewissen Fällen, ein Nicht-Thun ohne alle
aggressive Zuthat. Es ist das Recht der Unterthanen,
solchen Steuerausschreibungen und Gesetzen, welche ohne
die verfassungsmäßig erforderliche ständische Verwilligung
und die Anführung der wirklich geschehenen erlassen sind,

Achtes Capitel.

Waͤre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten
Widerſtandes verfaſſungsmaͤßig aufzuſtellen und nur auf
gewiſſe nahmhaft gemachte Faͤlle zu beſchraͤnken? Wir be-
haupten: Nein. In der heutigen Staatsordnung darf
gewaltſamer Widerſtand nie geſetzlich gemacht werden; er
liegt dem Grundgeſetze ſo fern, als der wahrhaften Ehe
der Streit der Kirchen uͤber die Zulaͤſſigkeit der Scheidung
liegt. Das Verfaſſungsrecht des gewaffneten Widerſtandes
beruhte auf dem Rechte der ſtaͤndiſchen Mitregierung, war
ein Theil von dieſem und iſt mit ihm aufgegeben. Wo
vor Alters Volksverſammlungen ſchalteten, wurde in jedem
einzelnen Mitgliede derſelben ein Bruchſtuͤck der Regierung
verletzt; nur die Klugheit beſchraͤnkte das Recht des Auf-
ſtandes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann,
es war Pflicht ihn zu toͤdten. So lange privilegirte
Staͤnde mitregierten, huldigten dieſe unter Vorbehalt, ließen
ſich Feſtungen einraͤumen, kuͤndigten den Gehorſam auf,
waͤhlten einen wohlgefaͤlligeren Herrn. Seit aber wachſende
politiſche Bildung die Wahlfuͤrſtlichkeit verworfen und ein-
geſehen hat, daß die Regierung am wohlthaͤtigſten von ei-
ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwiſchenreich in
die andere uͤbergeht, mit Ausſchließung aller willkuͤhrlichen
Verfuͤgung uͤber die Krone, und der Staat ſich in Folge
dieſer Grundwahrheit feiner und tiefſinniger organiſirt hat,
beſchraͤnken ſich die Wege des erlaubten Widerſtandes,
welche die Verfaſſung eroͤffnen kann aber auch eroͤffnen ſoll,
allein auf gewiſſe Weigerungen, ein Verneinen des
Gehorſams in gewiſſen Faͤllen, ein Nicht-Thun ohne alle
aggreſſive Zuthat. Es iſt das Recht der Unterthanen,
ſolchen Steuerausſchreibungen und Geſetzen, welche ohne
die verfaſſungsmaͤßig erforderliche ſtaͤndiſche Verwilligung
und die Anfuͤhrung der wirklich geſchehenen erlaſſen ſind,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0188" n="176"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
            <p>Wa&#x0364;re denn aber dennoch das Recht des gewaffneten<lb/>
Wider&#x017F;tandes verfa&#x017F;&#x017F;ungsma&#x0364;ßig aufzu&#x017F;tellen und nur auf<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e nahmhaft gemachte Fa&#x0364;lle zu be&#x017F;chra&#x0364;nken? Wir be-<lb/>
haupten: <hi rendition="#g">Nein</hi>. In der heutigen Staatsordnung darf<lb/>
gewalt&#x017F;amer Wider&#x017F;tand nie ge&#x017F;etzlich gemacht werden; er<lb/>
liegt dem Grundge&#x017F;etze &#x017F;o fern, als der wahrhaften Ehe<lb/>
der Streit der Kirchen u&#x0364;ber die Zula&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit der Scheidung<lb/>
liegt. Das Verfa&#x017F;&#x017F;ungsrecht des gewaffneten Wider&#x017F;tandes<lb/>
beruhte auf dem Rechte der &#x017F;ta&#x0364;ndi&#x017F;chen Mitregierung, war<lb/>
ein Theil von die&#x017F;em und i&#x017F;t mit ihm aufgegeben. Wo<lb/>
vor Alters Volksver&#x017F;ammlungen &#x017F;chalteten, wurde in jedem<lb/>
einzelnen Mitgliede der&#x017F;elben ein Bruch&#x017F;tu&#x0364;ck der Regierung<lb/>
verletzt; nur die Klugheit be&#x017F;chra&#x0364;nkte das Recht des Auf-<lb/>
&#x017F;tandes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann,<lb/>
es war Pflicht ihn zu to&#x0364;dten. So lange privilegirte<lb/>
Sta&#x0364;nde mitregierten, huldigten die&#x017F;e unter Vorbehalt, ließen<lb/>
&#x017F;ich Fe&#x017F;tungen einra&#x0364;umen, ku&#x0364;ndigten den Gehor&#x017F;am auf,<lb/>
wa&#x0364;hlten einen wohlgefa&#x0364;lligeren Herrn. Seit aber wach&#x017F;ende<lb/>
politi&#x017F;che Bildung die Wahlfu&#x0364;r&#x017F;tlichkeit verworfen und ein-<lb/>
ge&#x017F;ehen hat, daß die Regierung am wohltha&#x0364;tig&#x017F;ten von ei-<lb/>
ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwi&#x017F;chenreich in<lb/>
die andere u&#x0364;bergeht, mit Aus&#x017F;chließung aller willku&#x0364;hrlichen<lb/>
Verfu&#x0364;gung u&#x0364;ber die Krone, und der Staat &#x017F;ich in Folge<lb/>
die&#x017F;er Grundwahrheit feiner und tief&#x017F;inniger organi&#x017F;irt hat,<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nken &#x017F;ich die Wege des erlaubten Wider&#x017F;tandes,<lb/>
welche die Verfa&#x017F;&#x017F;ung ero&#x0364;ffnen kann aber auch ero&#x0364;ffnen &#x017F;oll,<lb/>
allein auf <hi rendition="#g">gewi&#x017F;&#x017F;e Weigerungen</hi>, ein Verneinen des<lb/>
Gehor&#x017F;ams in gewi&#x017F;&#x017F;en Fa&#x0364;llen, ein Nicht-Thun ohne alle<lb/>
aggre&#x017F;&#x017F;ive Zuthat. Es i&#x017F;t das Recht der Unterthanen,<lb/>
&#x017F;olchen Steueraus&#x017F;chreibungen und Ge&#x017F;etzen, welche ohne<lb/>
die verfa&#x017F;&#x017F;ungsma&#x0364;ßig erforderliche &#x017F;ta&#x0364;ndi&#x017F;che Verwilligung<lb/>
und die Anfu&#x0364;hrung der wirklich ge&#x017F;chehenen erla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0188] Achtes Capitel. Waͤre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten Widerſtandes verfaſſungsmaͤßig aufzuſtellen und nur auf gewiſſe nahmhaft gemachte Faͤlle zu beſchraͤnken? Wir be- haupten: Nein. In der heutigen Staatsordnung darf gewaltſamer Widerſtand nie geſetzlich gemacht werden; er liegt dem Grundgeſetze ſo fern, als der wahrhaften Ehe der Streit der Kirchen uͤber die Zulaͤſſigkeit der Scheidung liegt. Das Verfaſſungsrecht des gewaffneten Widerſtandes beruhte auf dem Rechte der ſtaͤndiſchen Mitregierung, war ein Theil von dieſem und iſt mit ihm aufgegeben. Wo vor Alters Volksverſammlungen ſchalteten, wurde in jedem einzelnen Mitgliede derſelben ein Bruchſtuͤck der Regierung verletzt; nur die Klugheit beſchraͤnkte das Recht des Auf- ſtandes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann, es war Pflicht ihn zu toͤdten. So lange privilegirte Staͤnde mitregierten, huldigten dieſe unter Vorbehalt, ließen ſich Feſtungen einraͤumen, kuͤndigten den Gehorſam auf, waͤhlten einen wohlgefaͤlligeren Herrn. Seit aber wachſende politiſche Bildung die Wahlfuͤrſtlichkeit verworfen und ein- geſehen hat, daß die Regierung am wohlthaͤtigſten von ei- ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwiſchenreich in die andere uͤbergeht, mit Ausſchließung aller willkuͤhrlichen Verfuͤgung uͤber die Krone, und der Staat ſich in Folge dieſer Grundwahrheit feiner und tiefſinniger organiſirt hat, beſchraͤnken ſich die Wege des erlaubten Widerſtandes, welche die Verfaſſung eroͤffnen kann aber auch eroͤffnen ſoll, allein auf gewiſſe Weigerungen, ein Verneinen des Gehorſams in gewiſſen Faͤllen, ein Nicht-Thun ohne alle aggreſſive Zuthat. Es iſt das Recht der Unterthanen, ſolchen Steuerausſchreibungen und Geſetzen, welche ohne die verfaſſungsmaͤßig erforderliche ſtaͤndiſche Verwilligung und die Anfuͤhrung der wirklich geſchehenen erlaſſen ſind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/188
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/188>, abgerufen am 27.11.2024.