Wäre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten Widerstandes verfassungsmäßig aufzustellen und nur auf gewisse nahmhaft gemachte Fälle zu beschränken? Wir be- haupten: Nein. In der heutigen Staatsordnung darf gewaltsamer Widerstand nie gesetzlich gemacht werden; er liegt dem Grundgesetze so fern, als der wahrhaften Ehe der Streit der Kirchen über die Zulässigkeit der Scheidung liegt. Das Verfassungsrecht des gewaffneten Widerstandes beruhte auf dem Rechte der ständischen Mitregierung, war ein Theil von diesem und ist mit ihm aufgegeben. Wo vor Alters Volksversammlungen schalteten, wurde in jedem einzelnen Mitgliede derselben ein Bruchstück der Regierung verletzt; nur die Klugheit beschränkte das Recht des Auf- standes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann, es war Pflicht ihn zu tödten. So lange privilegirte Stände mitregierten, huldigten diese unter Vorbehalt, ließen sich Festungen einräumen, kündigten den Gehorsam auf, wählten einen wohlgefälligeren Herrn. Seit aber wachsende politische Bildung die Wahlfürstlichkeit verworfen und ein- gesehen hat, daß die Regierung am wohlthätigsten von ei- ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwischenreich in die andere übergeht, mit Ausschließung aller willkührlichen Verfügung über die Krone, und der Staat sich in Folge dieser Grundwahrheit feiner und tiefsinniger organisirt hat, beschränken sich die Wege des erlaubten Widerstandes, welche die Verfassung eröffnen kann aber auch eröffnen soll, allein auf gewisse Weigerungen, ein Verneinen des Gehorsams in gewissen Fällen, ein Nicht-Thun ohne alle aggressive Zuthat. Es ist das Recht der Unterthanen, solchen Steuerausschreibungen und Gesetzen, welche ohne die verfassungsmäßig erforderliche ständische Verwilligung und die Anführung der wirklich geschehenen erlassen sind,
Achtes Capitel.
Waͤre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten Widerſtandes verfaſſungsmaͤßig aufzuſtellen und nur auf gewiſſe nahmhaft gemachte Faͤlle zu beſchraͤnken? Wir be- haupten: Nein. In der heutigen Staatsordnung darf gewaltſamer Widerſtand nie geſetzlich gemacht werden; er liegt dem Grundgeſetze ſo fern, als der wahrhaften Ehe der Streit der Kirchen uͤber die Zulaͤſſigkeit der Scheidung liegt. Das Verfaſſungsrecht des gewaffneten Widerſtandes beruhte auf dem Rechte der ſtaͤndiſchen Mitregierung, war ein Theil von dieſem und iſt mit ihm aufgegeben. Wo vor Alters Volksverſammlungen ſchalteten, wurde in jedem einzelnen Mitgliede derſelben ein Bruchſtuͤck der Regierung verletzt; nur die Klugheit beſchraͤnkte das Recht des Auf- ſtandes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann, es war Pflicht ihn zu toͤdten. So lange privilegirte Staͤnde mitregierten, huldigten dieſe unter Vorbehalt, ließen ſich Feſtungen einraͤumen, kuͤndigten den Gehorſam auf, waͤhlten einen wohlgefaͤlligeren Herrn. Seit aber wachſende politiſche Bildung die Wahlfuͤrſtlichkeit verworfen und ein- geſehen hat, daß die Regierung am wohlthaͤtigſten von ei- ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwiſchenreich in die andere uͤbergeht, mit Ausſchließung aller willkuͤhrlichen Verfuͤgung uͤber die Krone, und der Staat ſich in Folge dieſer Grundwahrheit feiner und tiefſinniger organiſirt hat, beſchraͤnken ſich die Wege des erlaubten Widerſtandes, welche die Verfaſſung eroͤffnen kann aber auch eroͤffnen ſoll, allein auf gewiſſe Weigerungen, ein Verneinen des Gehorſams in gewiſſen Faͤllen, ein Nicht-Thun ohne alle aggreſſive Zuthat. Es iſt das Recht der Unterthanen, ſolchen Steuerausſchreibungen und Geſetzen, welche ohne die verfaſſungsmaͤßig erforderliche ſtaͤndiſche Verwilligung und die Anfuͤhrung der wirklich geſchehenen erlaſſen ſind,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0188"n="176"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>Waͤre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten<lb/>
Widerſtandes verfaſſungsmaͤßig aufzuſtellen und nur auf<lb/>
gewiſſe nahmhaft gemachte Faͤlle zu beſchraͤnken? Wir be-<lb/>
haupten: <hirendition="#g">Nein</hi>. In der heutigen Staatsordnung darf<lb/>
gewaltſamer Widerſtand nie geſetzlich gemacht werden; er<lb/>
liegt dem Grundgeſetze ſo fern, als der wahrhaften Ehe<lb/>
der Streit der Kirchen uͤber die Zulaͤſſigkeit der Scheidung<lb/>
liegt. Das Verfaſſungsrecht des gewaffneten Widerſtandes<lb/>
beruhte auf dem Rechte der ſtaͤndiſchen Mitregierung, war<lb/>
ein Theil von dieſem und iſt mit ihm aufgegeben. Wo<lb/>
vor Alters Volksverſammlungen ſchalteten, wurde in jedem<lb/>
einzelnen Mitgliede derſelben ein Bruchſtuͤck der Regierung<lb/>
verletzt; nur die Klugheit beſchraͤnkte das Recht des Auf-<lb/>ſtandes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann,<lb/>
es war Pflicht ihn zu toͤdten. So lange privilegirte<lb/>
Staͤnde mitregierten, huldigten dieſe unter Vorbehalt, ließen<lb/>ſich Feſtungen einraͤumen, kuͤndigten den Gehorſam auf,<lb/>
waͤhlten einen wohlgefaͤlligeren Herrn. Seit aber wachſende<lb/>
politiſche Bildung die Wahlfuͤrſtlichkeit verworfen und ein-<lb/>
geſehen hat, daß die Regierung am wohlthaͤtigſten von ei-<lb/>
ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwiſchenreich in<lb/>
die andere uͤbergeht, mit Ausſchließung aller willkuͤhrlichen<lb/>
Verfuͤgung uͤber die Krone, und der Staat ſich in Folge<lb/>
dieſer Grundwahrheit feiner und tiefſinniger organiſirt hat,<lb/>
beſchraͤnken ſich die Wege des erlaubten Widerſtandes,<lb/>
welche die Verfaſſung eroͤffnen kann aber auch eroͤffnen ſoll,<lb/>
allein auf <hirendition="#g">gewiſſe Weigerungen</hi>, ein Verneinen des<lb/>
Gehorſams in gewiſſen Faͤllen, ein Nicht-Thun ohne alle<lb/>
aggreſſive Zuthat. Es iſt das Recht der Unterthanen,<lb/>ſolchen Steuerausſchreibungen und Geſetzen, welche ohne<lb/>
die verfaſſungsmaͤßig erforderliche ſtaͤndiſche Verwilligung<lb/>
und die Anfuͤhrung der wirklich geſchehenen erlaſſen ſind,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[176/0188]
Achtes Capitel.
Waͤre denn aber dennoch das Recht des gewaffneten
Widerſtandes verfaſſungsmaͤßig aufzuſtellen und nur auf
gewiſſe nahmhaft gemachte Faͤlle zu beſchraͤnken? Wir be-
haupten: Nein. In der heutigen Staatsordnung darf
gewaltſamer Widerſtand nie geſetzlich gemacht werden; er
liegt dem Grundgeſetze ſo fern, als der wahrhaften Ehe
der Streit der Kirchen uͤber die Zulaͤſſigkeit der Scheidung
liegt. Das Verfaſſungsrecht des gewaffneten Widerſtandes
beruhte auf dem Rechte der ſtaͤndiſchen Mitregierung, war
ein Theil von dieſem und iſt mit ihm aufgegeben. Wo
vor Alters Volksverſammlungen ſchalteten, wurde in jedem
einzelnen Mitgliede derſelben ein Bruchſtuͤck der Regierung
verletzt; nur die Klugheit beſchraͤnkte das Recht des Auf-
ſtandes; alle Fractionen der Regierung verletzte der Tyrann,
es war Pflicht ihn zu toͤdten. So lange privilegirte
Staͤnde mitregierten, huldigten dieſe unter Vorbehalt, ließen
ſich Feſtungen einraͤumen, kuͤndigten den Gehorſam auf,
waͤhlten einen wohlgefaͤlligeren Herrn. Seit aber wachſende
politiſche Bildung die Wahlfuͤrſtlichkeit verworfen und ein-
geſehen hat, daß die Regierung am wohlthaͤtigſten von ei-
ner erbberechtigten Hand ohne Wahl und Zwiſchenreich in
die andere uͤbergeht, mit Ausſchließung aller willkuͤhrlichen
Verfuͤgung uͤber die Krone, und der Staat ſich in Folge
dieſer Grundwahrheit feiner und tiefſinniger organiſirt hat,
beſchraͤnken ſich die Wege des erlaubten Widerſtandes,
welche die Verfaſſung eroͤffnen kann aber auch eroͤffnen ſoll,
allein auf gewiſſe Weigerungen, ein Verneinen des
Gehorſams in gewiſſen Faͤllen, ein Nicht-Thun ohne alle
aggreſſive Zuthat. Es iſt das Recht der Unterthanen,
ſolchen Steuerausſchreibungen und Geſetzen, welche ohne
die verfaſſungsmaͤßig erforderliche ſtaͤndiſche Verwilligung
und die Anfuͤhrung der wirklich geſchehenen erlaſſen ſind,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/188>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.