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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Theilung der Ständeversamml. in Kammern.
zwei Kammern hinausgehe. Sind ihrer mehr, z. B. drei
oder fünf, so ist entweder gar keine Hoffnung eines Re-
sultats, oder wenn Überstimmen gilt, kann ein Beschluß
zu Stande kommen, der freilich die Mehrzahl der Curien,
aber die Minderzahl der Individuen für sich hat. Calonne
wußte recht gut, daß, wenn er seine 144 Notabeln in 7
Büreaux eintheile, er durch nicht ein Drittheil der Stim-
men die Majorität von vier Büreaux gewinnen, folglich
die übrigen zwei Drittheile der Stimmen beherrschen könne.
Kurz, eine Kammer muß gegen die andere ein Veto haben,
damit aber der Hemmungen nicht zu viele werden, auch
der Majorität der Individuen ihr Recht geschehe, müssen
zwei gleichberechtigte Kammern genügen.

145. Zwei gleichberechtigte Kammern geben der Ver-
schiedenartigkeit im Volk Raum, ohne die Staats-Einheit
in Korporations-Stimmen aufzulösen. Sie gewähren eine
eindringendere und reifere Berathung, insofern die eine
Kammer die Kritik der andern zu scheuen hat. Eine mehr-
mahlige Berathung in derselben Kammer leistet das nicht,
was die Durchberathung von vorne her in einer anderen
Versammlung leistet, worin die nicht sitzen, welche den
Antrag gemacht, und mit aller Stärke der Gründe, viel-
leicht auch mit Aufbietung aller Partheymacht im Feuer
der Leidenschaften durchgeführt haben. Eine Kammer hat
mehr Schnellkraft zu Änderungen, welche möglicher Weise
Verbesserungen sind. Zwei Kammern sind mehr erhaltend
als ändernd, darum langsamer zum Verbessern, allein was
einmahl durchgedrungen, geht nicht leicht wieder rückwärts.
In einer auf gutem Grunde gebauten Verfassung ist aber
die Erhaltung wichtiger, als die Leichtigkeit rascher Ver-
besserungen. Zwei Kammern gewähren mehr Sicherheit

Theilung der Staͤndeverſamml. in Kammern.
zwei Kammern hinausgehe. Sind ihrer mehr, z. B. drei
oder fuͤnf, ſo iſt entweder gar keine Hoffnung eines Re-
ſultats, oder wenn Überſtimmen gilt, kann ein Beſchluß
zu Stande kommen, der freilich die Mehrzahl der Curien,
aber die Minderzahl der Individuen fuͤr ſich hat. Calonne
wußte recht gut, daß, wenn er ſeine 144 Notabeln in 7
Buͤreaux eintheile, er durch nicht ein Drittheil der Stim-
men die Majoritaͤt von vier Buͤreaux gewinnen, folglich
die uͤbrigen zwei Drittheile der Stimmen beherrſchen koͤnne.
Kurz, eine Kammer muß gegen die andere ein Veto haben,
damit aber der Hemmungen nicht zu viele werden, auch
der Majoritaͤt der Individuen ihr Recht geſchehe, muͤſſen
zwei gleichberechtigte Kammern genuͤgen.

145. Zwei gleichberechtigte Kammern geben der Ver-
ſchiedenartigkeit im Volk Raum, ohne die Staats-Einheit
in Korporations-Stimmen aufzuloͤſen. Sie gewaͤhren eine
eindringendere und reifere Berathung, inſofern die eine
Kammer die Kritik der andern zu ſcheuen hat. Eine mehr-
mahlige Berathung in derſelben Kammer leiſtet das nicht,
was die Durchberathung von vorne her in einer anderen
Verſammlung leiſtet, worin die nicht ſitzen, welche den
Antrag gemacht, und mit aller Staͤrke der Gruͤnde, viel-
leicht auch mit Aufbietung aller Partheymacht im Feuer
der Leidenſchaften durchgefuͤhrt haben. Eine Kammer hat
mehr Schnellkraft zu Änderungen, welche moͤglicher Weiſe
Verbeſſerungen ſind. Zwei Kammern ſind mehr erhaltend
als aͤndernd, darum langſamer zum Verbeſſern, allein was
einmahl durchgedrungen, geht nicht leicht wieder ruͤckwaͤrts.
In einer auf gutem Grunde gebauten Verfaſſung iſt aber
die Erhaltung wichtiger, als die Leichtigkeit raſcher Ver-
beſſerungen. Zwei Kammern gewaͤhren mehr Sicherheit

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[123/0135] Theilung der Staͤndeverſamml. in Kammern. zwei Kammern hinausgehe. Sind ihrer mehr, z. B. drei oder fuͤnf, ſo iſt entweder gar keine Hoffnung eines Re- ſultats, oder wenn Überſtimmen gilt, kann ein Beſchluß zu Stande kommen, der freilich die Mehrzahl der Curien, aber die Minderzahl der Individuen fuͤr ſich hat. Calonne wußte recht gut, daß, wenn er ſeine 144 Notabeln in 7 Buͤreaux eintheile, er durch nicht ein Drittheil der Stim- men die Majoritaͤt von vier Buͤreaux gewinnen, folglich die uͤbrigen zwei Drittheile der Stimmen beherrſchen koͤnne. Kurz, eine Kammer muß gegen die andere ein Veto haben, damit aber der Hemmungen nicht zu viele werden, auch der Majoritaͤt der Individuen ihr Recht geſchehe, muͤſſen zwei gleichberechtigte Kammern genuͤgen. 145. Zwei gleichberechtigte Kammern geben der Ver- ſchiedenartigkeit im Volk Raum, ohne die Staats-Einheit in Korporations-Stimmen aufzuloͤſen. Sie gewaͤhren eine eindringendere und reifere Berathung, inſofern die eine Kammer die Kritik der andern zu ſcheuen hat. Eine mehr- mahlige Berathung in derſelben Kammer leiſtet das nicht, was die Durchberathung von vorne her in einer anderen Verſammlung leiſtet, worin die nicht ſitzen, welche den Antrag gemacht, und mit aller Staͤrke der Gruͤnde, viel- leicht auch mit Aufbietung aller Partheymacht im Feuer der Leidenſchaften durchgefuͤhrt haben. Eine Kammer hat mehr Schnellkraft zu Änderungen, welche moͤglicher Weiſe Verbeſſerungen ſind. Zwei Kammern ſind mehr erhaltend als aͤndernd, darum langſamer zum Verbeſſern, allein was einmahl durchgedrungen, geht nicht leicht wieder ruͤckwaͤrts. In einer auf gutem Grunde gebauten Verfaſſung iſt aber die Erhaltung wichtiger, als die Leichtigkeit raſcher Ver- beſſerungen. Zwei Kammern gewaͤhren mehr Sicherheit

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/135>, abgerufen am 24.11.2024.