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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Sechstes Capitel.
Fortschritt fürstlicher Gewalt seit der Reformation sind
große Wegestrecken zu diesem Ziele zurückgelegt; aber nicht
die mechanische nach Willkühr wechselnde Einheit ist das
Ziel, es gilt ein stetig einheitliches Leben für die Mannig-
faltigkeit freier Volksentwickelung in diese Gebundenheit
der Staatsordnung einzuführen. Darum kann die Zukunft
Europa's keine Verherrlichung des unumschränkten König-
thums seyn, aber sie ist, wenn stetige Entwickelung gelin-
gen soll, geknüpft, an den Bestand nicht bloß, sondern
an die Macht der erblichen Königthümer. Denn dieses
ist das einzige Band der Gewohnheit, welches durch die
Dauer immer fester geworden ist in der tiefer dringenden
Überzeugung. Eingestehen, daß für alle übrigen Elemente
der politische Schwerpunkt erst im Werden sey, ist keine
Theorie, aber auch kein Verdienst, aber auch kein revolu-
tionärer Sinn; es ist der Blick auf die fortschreitende
Veränderung der Welt-Verhältnisse und dadurch der Men-
schen, der so zu reden zwingt. Wenn ein Familien-Vater
seinen Kindern auf ihren Lebenswegen mit dem Blicke
folgt, das eine steht in diesem, das andere in jenem
Stande, nichts ist darin unübersteiglich; die alten Stan-
desklüfte, welche früher kaum der Wunsch übersprang,
sind nicht mehr; wenig von Angeborenem, überall Wahl-
und Berufswesen. Darum hat die Frage: ständisch
oder repräsentativ?
wenig praktischen Werth mehr,
vor Allem, wo eine Stände-Versammlung von vorne
herein aufgebaut werden soll. Es würden zwei gleichver-
ständige und unpartheiische Männer, der eine von diesem,
der andere von jenem Gesichtspunkte ausgehend, leicht in
Hinsicht auf die Bestandtheile der Ständeversammlung zu
demselben praktischen Resultat gelangen. Die Bestand-
theile aber wirken wieder entscheidend auf die Grund-

Sechstes Capitel.
Fortſchritt fuͤrſtlicher Gewalt ſeit der Reformation ſind
große Wegeſtrecken zu dieſem Ziele zuruͤckgelegt; aber nicht
die mechaniſche nach Willkuͤhr wechſelnde Einheit iſt das
Ziel, es gilt ein ſtetig einheitliches Leben fuͤr die Mannig-
faltigkeit freier Volksentwickelung in dieſe Gebundenheit
der Staatsordnung einzufuͤhren. Darum kann die Zukunft
Europa’s keine Verherrlichung des unumſchraͤnkten Koͤnig-
thums ſeyn, aber ſie iſt, wenn ſtetige Entwickelung gelin-
gen ſoll, geknuͤpft, an den Beſtand nicht bloß, ſondern
an die Macht der erblichen Koͤnigthuͤmer. Denn dieſes
iſt das einzige Band der Gewohnheit, welches durch die
Dauer immer feſter geworden iſt in der tiefer dringenden
Überzeugung. Eingeſtehen, daß fuͤr alle uͤbrigen Elemente
der politiſche Schwerpunkt erſt im Werden ſey, iſt keine
Theorie, aber auch kein Verdienſt, aber auch kein revolu-
tionaͤrer Sinn; es iſt der Blick auf die fortſchreitende
Veraͤnderung der Welt-Verhaͤltniſſe und dadurch der Men-
ſchen, der ſo zu reden zwingt. Wenn ein Familien-Vater
ſeinen Kindern auf ihren Lebenswegen mit dem Blicke
folgt, das eine ſteht in dieſem, das andere in jenem
Stande, nichts iſt darin unuͤberſteiglich; die alten Stan-
deskluͤfte, welche fruͤher kaum der Wunſch uͤberſprang,
ſind nicht mehr; wenig von Angeborenem, uͤberall Wahl-
und Berufsweſen. Darum hat die Frage: ſtaͤndiſch
oder repraͤſentativ?
wenig praktiſchen Werth mehr,
vor Allem, wo eine Staͤnde-Verſammlung von vorne
herein aufgebaut werden ſoll. Es wuͤrden zwei gleichver-
ſtaͤndige und unpartheiiſche Maͤnner, der eine von dieſem,
der andere von jenem Geſichtspunkte ausgehend, leicht in
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[120/0132] Sechstes Capitel. Fortſchritt fuͤrſtlicher Gewalt ſeit der Reformation ſind große Wegeſtrecken zu dieſem Ziele zuruͤckgelegt; aber nicht die mechaniſche nach Willkuͤhr wechſelnde Einheit iſt das Ziel, es gilt ein ſtetig einheitliches Leben fuͤr die Mannig- faltigkeit freier Volksentwickelung in dieſe Gebundenheit der Staatsordnung einzufuͤhren. Darum kann die Zukunft Europa’s keine Verherrlichung des unumſchraͤnkten Koͤnig- thums ſeyn, aber ſie iſt, wenn ſtetige Entwickelung gelin- gen ſoll, geknuͤpft, an den Beſtand nicht bloß, ſondern an die Macht der erblichen Koͤnigthuͤmer. Denn dieſes iſt das einzige Band der Gewohnheit, welches durch die Dauer immer feſter geworden iſt in der tiefer dringenden Überzeugung. Eingeſtehen, daß fuͤr alle uͤbrigen Elemente der politiſche Schwerpunkt erſt im Werden ſey, iſt keine Theorie, aber auch kein Verdienſt, aber auch kein revolu- tionaͤrer Sinn; es iſt der Blick auf die fortſchreitende Veraͤnderung der Welt-Verhaͤltniſſe und dadurch der Men- ſchen, der ſo zu reden zwingt. Wenn ein Familien-Vater ſeinen Kindern auf ihren Lebenswegen mit dem Blicke folgt, das eine ſteht in dieſem, das andere in jenem Stande, nichts iſt darin unuͤberſteiglich; die alten Stan- deskluͤfte, welche fruͤher kaum der Wunſch uͤberſprang, ſind nicht mehr; wenig von Angeborenem, uͤberall Wahl- und Berufsweſen. Darum hat die Frage: ſtaͤndiſch oder repraͤſentativ? wenig praktiſchen Werth mehr, vor Allem, wo eine Staͤnde-Verſammlung von vorne herein aufgebaut werden ſoll. Es wuͤrden zwei gleichver- ſtaͤndige und unpartheiiſche Maͤnner, der eine von dieſem, der andere von jenem Geſichtspunkte ausgehend, leicht in Hinſicht auf die Beſtandtheile der Staͤndeverſammlung zu demſelben praktiſchen Reſultat gelangen. Die Beſtand- theile aber wirken wieder entſcheidend auf die Grund-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/132>, abgerufen am 24.11.2024.