und dann zu rechter Zeit, Humanität und Herrscher-Sinn gingen hier Hand in Hand, die Fessel des Landmanns lockerte, so mochte ihm selbst unumschränkte Herrschaft nicht entgehen. Denn er allein trug Sorge für das Ganze, wie die Zeit es schon begehrte.
Aber was, in sich veruneint, dem Zuge zum Ganzen gehorcht, will vielleicht Gesetze vorschreiben, nachdem es sich als Gesammtheit zusammengefunden hat. Die unum- schränktere Fürstenherrschaft hat den alten scharfen Gegen- satz der Stände vollends beseitigt. Der Kriegsadel war schon von seinen Grundlagen verrückt, als die Reformation der Geistlichkeit eine ganz andere Stellung zum Volk und zur Regierung gab, auch da, wo sie nicht durch- drang; der Drang nach allgemeinem Unterricht entwickelte sich fast ungestüm; auch er ist kastenartigen Unterschieden fremd, denn das Talent wächst auf dem Boden jedes Standes. Der Bürger kauft das adlige Gut, tritt wie ihn Glück und Geschick trägt in den Handwerksstand, den des höheren Gewerbes, wird Geistlicher, tritt in des Für- sten Rath. Nicht anders der Bauer, und auch als Bauer ist er zugleich, nach Art und Gelegenheit des Landes, Handelsmann, Fabrikant, Schiffer; die Stadt ist aufs Land hinausgegangen. Noch immer keine völlige Gleich- artigkeit; Eines fängt da an, wo das Andere aufhört. Allein wo jetzt landständische Verfassungen wieder erwachen, oder gar ganz neue sich bilden sollen, da darf die neue Bildung nicht auf gewichenen, für immer verschwundenen Grundlagen ruhn. Nicht durch das was alt, auch nicht durch das was neu, sondern durch das was stetig und lebendig, oder wieder zu beleben ist, werden Staats-Ord- nungen gestützt. Es giebt keinen Ausdruck eines tieferen Verhältnisses, der den Misbrauch und die Misdeutung
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Reichsſtaͤnde; landſtaͤndiſch od. repraͤſentativ.
und dann zu rechter Zeit, Humanitaͤt und Herrſcher-Sinn gingen hier Hand in Hand, die Feſſel des Landmanns lockerte, ſo mochte ihm ſelbſt unumſchraͤnkte Herrſchaft nicht entgehen. Denn er allein trug Sorge fuͤr das Ganze, wie die Zeit es ſchon begehrte.
Aber was, in ſich veruneint, dem Zuge zum Ganzen gehorcht, will vielleicht Geſetze vorſchreiben, nachdem es ſich als Geſammtheit zuſammengefunden hat. Die unum- ſchraͤnktere Fuͤrſtenherrſchaft hat den alten ſcharfen Gegen- ſatz der Staͤnde vollends beſeitigt. Der Kriegsadel war ſchon von ſeinen Grundlagen verruͤckt, als die Reformation der Geiſtlichkeit eine ganz andere Stellung zum Volk und zur Regierung gab, auch da, wo ſie nicht durch- drang; der Drang nach allgemeinem Unterricht entwickelte ſich faſt ungeſtuͤm; auch er iſt kaſtenartigen Unterſchieden fremd, denn das Talent waͤchst auf dem Boden jedes Standes. Der Buͤrger kauft das adlige Gut, tritt wie ihn Gluͤck und Geſchick traͤgt in den Handwerksſtand, den des hoͤheren Gewerbes, wird Geiſtlicher, tritt in des Fuͤr- ſten Rath. Nicht anders der Bauer, und auch als Bauer iſt er zugleich, nach Art und Gelegenheit des Landes, Handelsmann, Fabrikant, Schiffer; die Stadt iſt aufs Land hinausgegangen. Noch immer keine voͤllige Gleich- artigkeit; Eines faͤngt da an, wo das Andere aufhoͤrt. Allein wo jetzt landſtaͤndiſche Verfaſſungen wieder erwachen, oder gar ganz neue ſich bilden ſollen, da darf die neue Bildung nicht auf gewichenen, fuͤr immer verſchwundenen Grundlagen ruhn. Nicht durch das was alt, auch nicht durch das was neu, ſondern durch das was ſtetig und lebendig, oder wieder zu beleben iſt, werden Staats-Ord- nungen geſtuͤtzt. Es giebt keinen Ausdruck eines tieferen Verhaͤltniſſes, der den Misbrauch und die Misdeutung
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Reichsſtaͤnde; landſtaͤndiſch od. repraͤſentativ.
und dann zu rechter Zeit, Humanitaͤt und Herrſcher-Sinn
gingen hier Hand in Hand, die Feſſel des Landmanns
lockerte, ſo mochte ihm ſelbſt unumſchraͤnkte Herrſchaft
nicht entgehen. Denn er allein trug Sorge fuͤr das Ganze,
wie die Zeit es ſchon begehrte.
Aber was, in ſich veruneint, dem Zuge zum Ganzen
gehorcht, will vielleicht Geſetze vorſchreiben, nachdem es
ſich als Geſammtheit zuſammengefunden hat. Die unum-
ſchraͤnktere Fuͤrſtenherrſchaft hat den alten ſcharfen Gegen-
ſatz der Staͤnde vollends beſeitigt. Der Kriegsadel war
ſchon von ſeinen Grundlagen verruͤckt, als die Reformation
der Geiſtlichkeit eine ganz andere Stellung zum Volk
und zur Regierung gab, auch da, wo ſie nicht durch-
drang; der Drang nach allgemeinem Unterricht entwickelte
ſich faſt ungeſtuͤm; auch er iſt kaſtenartigen Unterſchieden
fremd, denn das Talent waͤchst auf dem Boden jedes
Standes. Der Buͤrger kauft das adlige Gut, tritt wie
ihn Gluͤck und Geſchick traͤgt in den Handwerksſtand, den
des hoͤheren Gewerbes, wird Geiſtlicher, tritt in des Fuͤr-
ſten Rath. Nicht anders der Bauer, und auch als Bauer
iſt er zugleich, nach Art und Gelegenheit des Landes,
Handelsmann, Fabrikant, Schiffer; die Stadt iſt aufs
Land hinausgegangen. Noch immer keine voͤllige Gleich-
artigkeit; Eines faͤngt da an, wo das Andere aufhoͤrt.
Allein wo jetzt landſtaͤndiſche Verfaſſungen wieder erwachen,
oder gar ganz neue ſich bilden ſollen, da darf die neue
Bildung nicht auf gewichenen, fuͤr immer verſchwundenen
Grundlagen ruhn. Nicht durch das was alt, auch nicht
durch das was neu, ſondern durch das was ſtetig und
lebendig, oder wieder zu beleben iſt, werden Staats-Ord-
nungen geſtuͤtzt. Es giebt keinen Ausdruck eines tieferen
Verhaͤltniſſes, der den Misbrauch und die Misdeutung
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/125>, abgerufen am 18.07.2024.
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