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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Reichsstände; landständisch od. repräsentativ.
im früheren und im späteren Sinne war der König allein
in seinen Domänen; darüber hinaus besaß er einzelne
Regierungsrechte; die übrigen sind in Unterthanen-Hän-
den, gehen wie Privatrechte mit dem Eigenthum über,
werden durch Pacht, durch Kauf erworben; auf welchem
Wege so viele Städte die Vogtey-Rechte an sich brachten
und so das Eigenthum einer Gerichtsbarkeit, während
von der andern Seite nichts hinderte, daß auch ganze
Städte der Gerichtsbarkeit eines Erbherrn als Patrimo-
nial-Städte verfielen. Dazu die herrschende Stellung der
Geistlichkeit, welche außer ihrer Lehnsmacht sich die einzige
das Gemeinwesen erfüllende Herrschaft gründet, die nur
darum nicht dem Königthum verderblich wird, weil sie in
so vielen Händen sich befindet und ihr sichtbares Oberhaupt
jenseits der Alpen thront. Den Städten, als sie aufka-
men, blieb nichts übrig, als sich ebenfalls ganz für sich
als geschlossene Gebiete aufzustellen; die Bauern vollends
waren nur da ihrer freien Hufen sicher, wo sie in beson-
derer Landschaft nach Vertreibung des Adels eine unge-
mischte Masse bildeten. So war die Zeit; was nicht für
sich stand, und nicht die schmalen Wege eifersüchtig be-
wachte, durch welche die Staatsgewalt eindringen konnte,
ward untergesteckt.

Was das Lehn zertrennte, das haben in der zweiten
Hälfte des Mittelalters die Steuern wieder zu verknüpfen
getrachtet; an sie vornehmlich knüpfte sich der Gedanke, daß
man auch in Friedenszeiten einem größeren Gemeinwesen,
das Alle angeht, verbunden sey und Opfer zu bringen
habe. Fürst und Städte haben das Ihre gethan, den
Begriff von Landes-Steuern zu entwickeln; die Städte
gaben, aber empfingen auch; der geistliche Stand konnte
sich, wenn er seine Lehre vor Augen hatte, kaum entziehen,

Reichsſtaͤnde; landſtaͤndiſch od. repraͤſentativ.
im fruͤheren und im ſpaͤteren Sinne war der Koͤnig allein
in ſeinen Domaͤnen; daruͤber hinaus beſaß er einzelne
Regierungsrechte; die uͤbrigen ſind in Unterthanen-Haͤn-
den, gehen wie Privatrechte mit dem Eigenthum uͤber,
werden durch Pacht, durch Kauf erworben; auf welchem
Wege ſo viele Staͤdte die Vogtey-Rechte an ſich brachten
und ſo das Eigenthum einer Gerichtsbarkeit, waͤhrend
von der andern Seite nichts hinderte, daß auch ganze
Staͤdte der Gerichtsbarkeit eines Erbherrn als Patrimo-
nial-Staͤdte verfielen. Dazu die herrſchende Stellung der
Geiſtlichkeit, welche außer ihrer Lehnsmacht ſich die einzige
das Gemeinweſen erfuͤllende Herrſchaft gruͤndet, die nur
darum nicht dem Koͤnigthum verderblich wird, weil ſie in
ſo vielen Haͤnden ſich befindet und ihr ſichtbares Oberhaupt
jenſeits der Alpen thront. Den Staͤdten, als ſie aufka-
men, blieb nichts uͤbrig, als ſich ebenfalls ganz fuͤr ſich
als geſchloſſene Gebiete aufzuſtellen; die Bauern vollends
waren nur da ihrer freien Hufen ſicher, wo ſie in beſon-
derer Landſchaft nach Vertreibung des Adels eine unge-
miſchte Maſſe bildeten. So war die Zeit; was nicht fuͤr
ſich ſtand, und nicht die ſchmalen Wege eiferſuͤchtig be-
wachte, durch welche die Staatsgewalt eindringen konnte,
ward untergeſteckt.

Was das Lehn zertrennte, das haben in der zweiten
Haͤlfte des Mittelalters die Steuern wieder zu verknuͤpfen
getrachtet; an ſie vornehmlich knuͤpfte ſich der Gedanke, daß
man auch in Friedenszeiten einem groͤßeren Gemeinweſen,
das Alle angeht, verbunden ſey und Opfer zu bringen
habe. Fuͤrſt und Staͤdte haben das Ihre gethan, den
Begriff von Landes-Steuern zu entwickeln; die Staͤdte
gaben, aber empfingen auch; der geiſtliche Stand konnte
ſich, wenn er ſeine Lehre vor Augen hatte, kaum entziehen,

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[111/0123] Reichsſtaͤnde; landſtaͤndiſch od. repraͤſentativ. im fruͤheren und im ſpaͤteren Sinne war der Koͤnig allein in ſeinen Domaͤnen; daruͤber hinaus beſaß er einzelne Regierungsrechte; die uͤbrigen ſind in Unterthanen-Haͤn- den, gehen wie Privatrechte mit dem Eigenthum uͤber, werden durch Pacht, durch Kauf erworben; auf welchem Wege ſo viele Staͤdte die Vogtey-Rechte an ſich brachten und ſo das Eigenthum einer Gerichtsbarkeit, waͤhrend von der andern Seite nichts hinderte, daß auch ganze Staͤdte der Gerichtsbarkeit eines Erbherrn als Patrimo- nial-Staͤdte verfielen. Dazu die herrſchende Stellung der Geiſtlichkeit, welche außer ihrer Lehnsmacht ſich die einzige das Gemeinweſen erfuͤllende Herrſchaft gruͤndet, die nur darum nicht dem Koͤnigthum verderblich wird, weil ſie in ſo vielen Haͤnden ſich befindet und ihr ſichtbares Oberhaupt jenſeits der Alpen thront. Den Staͤdten, als ſie aufka- men, blieb nichts uͤbrig, als ſich ebenfalls ganz fuͤr ſich als geſchloſſene Gebiete aufzuſtellen; die Bauern vollends waren nur da ihrer freien Hufen ſicher, wo ſie in beſon- derer Landſchaft nach Vertreibung des Adels eine unge- miſchte Maſſe bildeten. So war die Zeit; was nicht fuͤr ſich ſtand, und nicht die ſchmalen Wege eiferſuͤchtig be- wachte, durch welche die Staatsgewalt eindringen konnte, ward untergeſteckt. Was das Lehn zertrennte, das haben in der zweiten Haͤlfte des Mittelalters die Steuern wieder zu verknuͤpfen getrachtet; an ſie vornehmlich knuͤpfte ſich der Gedanke, daß man auch in Friedenszeiten einem groͤßeren Gemeinweſen, das Alle angeht, verbunden ſey und Opfer zu bringen habe. Fuͤrſt und Staͤdte haben das Ihre gethan, den Begriff von Landes-Steuern zu entwickeln; die Staͤdte gaben, aber empfingen auch; der geiſtliche Stand konnte ſich, wenn er ſeine Lehre vor Augen hatte, kaum entziehen,

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/123>, abgerufen am 24.11.2024.