Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Sechstes Capitel. Form neigt zur Veränderung hin; sey's daß am Volks-körper sich ein Glied umgestaltet, ein neues zuwächst, oder die freiere That sie hervorruft. Die Formen ändern sich, oder auch die alten, die man beibehält, wirken verändert; denn die sich in ihnen bewegen, sind nicht dieselben mehr. Es heißt immerfort Aristokratie; allein wie ganz anders wirkt die nach Staatszwecken angeordnete als die ge- wachsene, die allein stehende über der schweigenden Be- völkerung als die mit andern Ständen zusammenwirkende! Es heißt immer Königthum, aber das Oberhaupt des Lehnstaates ist von dem Primogenitur- und Eigenthums- Könige eben so verschieden, als dieser es wieder von dem Staats-Könige ist, welcher an der Spitze einer übersicht- lichen Staatswirthschaft stehend, alle Verantwortlichkeit seiner Regierungs-Handlungen auf die Minister überträgt. Im Ganzen und Großen ist das durch Entwickelungen geschehen, vor denen die Willkühr einzelner Menschen ver- schwindet. Denn wie mochte es nur viel anders kommen? Der Sechstes Capitel. Form neigt zur Veraͤnderung hin; ſey’s daß am Volks-koͤrper ſich ein Glied umgeſtaltet, ein neues zuwaͤchſt, oder die freiere That ſie hervorruft. Die Formen aͤndern ſich, oder auch die alten, die man beibehaͤlt, wirken veraͤndert; denn die ſich in ihnen bewegen, ſind nicht dieſelben mehr. Es heißt immerfort Ariſtokratie; allein wie ganz anders wirkt die nach Staatszwecken angeordnete als die ge- wachſene, die allein ſtehende uͤber der ſchweigenden Be- voͤlkerung als die mit andern Staͤnden zuſammenwirkende! Es heißt immer Koͤnigthum, aber das Oberhaupt des Lehnſtaates iſt von dem Primogenitur- und Eigenthums- Koͤnige eben ſo verſchieden, als dieſer es wieder von dem Staats-Koͤnige iſt, welcher an der Spitze einer uͤberſicht- lichen Staatswirthſchaft ſtehend, alle Verantwortlichkeit ſeiner Regierungs-Handlungen auf die Miniſter uͤbertraͤgt. Im Ganzen und Großen iſt das durch Entwickelungen geſchehen, vor denen die Willkuͤhr einzelner Menſchen ver- ſchwindet. Denn wie mochte es nur viel anders kommen? Der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0122" n="110"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/> Form neigt zur Veraͤnderung hin; ſey’s daß am Volks-<lb/> koͤrper ſich ein Glied umgeſtaltet, ein neues zuwaͤchſt, oder<lb/> die freiere That ſie hervorruft. Die Formen aͤndern ſich,<lb/> oder auch die alten, die man beibehaͤlt, wirken veraͤndert;<lb/> denn die ſich in ihnen bewegen, ſind nicht dieſelben mehr.<lb/> Es heißt immerfort Ariſtokratie; allein wie ganz anders<lb/> wirkt die nach Staatszwecken angeordnete als die ge-<lb/> wachſene, die allein ſtehende uͤber der ſchweigenden Be-<lb/> voͤlkerung als die mit andern Staͤnden zuſammenwirkende!<lb/> Es heißt immer Koͤnigthum, aber das Oberhaupt des<lb/> Lehnſtaates iſt von dem Primogenitur- und Eigenthums-<lb/> Koͤnige eben ſo verſchieden, als dieſer es wieder von dem<lb/> Staats-Koͤnige iſt, welcher an der Spitze einer uͤberſicht-<lb/> lichen Staatswirthſchaft ſtehend, alle Verantwortlichkeit<lb/> ſeiner Regierungs-Handlungen auf die Miniſter uͤbertraͤgt.<lb/> Im Ganzen und Großen iſt das durch Entwickelungen<lb/> geſchehen, vor denen die Willkuͤhr einzelner Menſchen ver-<lb/> ſchwindet.</p><lb/> <p>Denn wie mochte es nur viel anders kommen? Der<lb/> Lehnsſtaat, als er fertig war, und die reiche Erbſchaft der<lb/> Volksrechte gemacht hatte, behandelte die Regierungsrechte<lb/> nicht eben anders, als die Roͤmiſchen Gentes den <hi rendition="#aq">ager<lb/> publicus.</hi> Es dauerte nicht lange, ſo hatte ſich jeder<lb/> Lehnstraͤger in ſeiner Quote Regierung feſtgeſetzt und<lb/> zaͤhlte ſie zu ſeinem Eigenthum; dem Koͤnige blieb zwar<lb/> auch die ſeine, und wenn er gewaltig war, mochte er wol<lb/> zu einzelnen großen Verrichtungen die geſammte Regie-<lb/> rungskraft vereinen, aber kein Gedanke daran, daß ſie<lb/> das Gemeinweſen dauernd durchdringen und darum von<lb/><hi rendition="#g">einem</hi> Orte ihre Strahlen ausſenden muͤſſe. Wo man<lb/> Volksbeamte geſehen hatte und Koͤnigsbeamte, ſah man<lb/> jetzt Beamte der Lehnsgroßen und gutsherrliche. Regent<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0122]
Sechstes Capitel.
Form neigt zur Veraͤnderung hin; ſey’s daß am Volks-
koͤrper ſich ein Glied umgeſtaltet, ein neues zuwaͤchſt, oder
die freiere That ſie hervorruft. Die Formen aͤndern ſich,
oder auch die alten, die man beibehaͤlt, wirken veraͤndert;
denn die ſich in ihnen bewegen, ſind nicht dieſelben mehr.
Es heißt immerfort Ariſtokratie; allein wie ganz anders
wirkt die nach Staatszwecken angeordnete als die ge-
wachſene, die allein ſtehende uͤber der ſchweigenden Be-
voͤlkerung als die mit andern Staͤnden zuſammenwirkende!
Es heißt immer Koͤnigthum, aber das Oberhaupt des
Lehnſtaates iſt von dem Primogenitur- und Eigenthums-
Koͤnige eben ſo verſchieden, als dieſer es wieder von dem
Staats-Koͤnige iſt, welcher an der Spitze einer uͤberſicht-
lichen Staatswirthſchaft ſtehend, alle Verantwortlichkeit
ſeiner Regierungs-Handlungen auf die Miniſter uͤbertraͤgt.
Im Ganzen und Großen iſt das durch Entwickelungen
geſchehen, vor denen die Willkuͤhr einzelner Menſchen ver-
ſchwindet.
Denn wie mochte es nur viel anders kommen? Der
Lehnsſtaat, als er fertig war, und die reiche Erbſchaft der
Volksrechte gemacht hatte, behandelte die Regierungsrechte
nicht eben anders, als die Roͤmiſchen Gentes den ager
publicus. Es dauerte nicht lange, ſo hatte ſich jeder
Lehnstraͤger in ſeiner Quote Regierung feſtgeſetzt und
zaͤhlte ſie zu ſeinem Eigenthum; dem Koͤnige blieb zwar
auch die ſeine, und wenn er gewaltig war, mochte er wol
zu einzelnen großen Verrichtungen die geſammte Regie-
rungskraft vereinen, aber kein Gedanke daran, daß ſie
das Gemeinweſen dauernd durchdringen und darum von
einem Orte ihre Strahlen ausſenden muͤſſe. Wo man
Volksbeamte geſehen hatte und Koͤnigsbeamte, ſah man
jetzt Beamte der Lehnsgroßen und gutsherrliche. Regent
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