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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Unverantwortlichkeit des Königs.
sie dürfen es nicht leichtsinnig ziehn, nicht wie ein Rap-
pier zu Fechterstreichen brauchen. Die wirksamste Verant-
wortlichkeit wird geräuschlos täglich gehandhabt von einem
auf sein Gemeinwesen aufmerksamen Volke; sie erhebt
ihre Stimme in der Presse, in der jährlichen Prüfung der
Stände, verstärkt sie in der Beschwerdeführung. Aber
auch das Recht der ständischen Anklage ist ein wesentlicher
Theil des neueren Staatsrechtes, und gewährt, praktisch
dargestellt durch den im Sinne jeder Verfassung gewähl-
ten Gerichtshof, das Gesetz für die Procedur und den
königlichen Verzicht, gerade für den Minister den unschätz-
baren Vortheil, daß er sich, auf seine Verantwortlichkeit
gestützt, verfassungswidriger Schritte weigern kann, für
das Volk den Schutz der Verfassung ohne Erschütterung
des Throns, für das unverantwortliche Haupt neben der
Unverletzlichkeit eine ernste Mahnung an die ewigen Grund-
lagen des Guten und Rechten, welche die unsichtbaren
Träger aller Herrschaft sind.

137. So offenbart sich in der Probe der verschieden-
sten Zeiten und Verhältnisse, welch eine tiefsinnige Ver-
fassung die Monarchie ist. Sie baut nicht auf die persön-
lichen Gaben des Fürsten und trägt auch so den Preis
davon. Wohl ist aus dem Patrimonial-Könige ein Staats-
König geworden, seit der Erstgeborene nicht um seinet-,
sondern um des Staates Willen vor seinen Brüdern er-
höhet ward, und es tritt die Idee eines Gemeinwesens,
in welchem der Staat sein Selbstbewußtseyn sucht, über den
König hinaus; wohl streiften die ersten Strahlen der kalt
und blutig aufgehenden Staats-Sonne schauerlich an die
Gewänder der alten Majestät, allein die Geschichte hat
gerichtet, und, sichtend zwar, wiederaufgerichtet. Die

Unverantwortlichkeit des Koͤnigs.
ſie duͤrfen es nicht leichtſinnig ziehn, nicht wie ein Rap-
pier zu Fechterſtreichen brauchen. Die wirkſamſte Verant-
wortlichkeit wird geraͤuſchlos taͤglich gehandhabt von einem
auf ſein Gemeinweſen aufmerkſamen Volke; ſie erhebt
ihre Stimme in der Preſſe, in der jaͤhrlichen Pruͤfung der
Staͤnde, verſtaͤrkt ſie in der Beſchwerdefuͤhrung. Aber
auch das Recht der ſtaͤndiſchen Anklage iſt ein weſentlicher
Theil des neueren Staatsrechtes, und gewaͤhrt, praktiſch
dargeſtellt durch den im Sinne jeder Verfaſſung gewaͤhl-
ten Gerichtshof, das Geſetz fuͤr die Procedur und den
koͤniglichen Verzicht, gerade fuͤr den Miniſter den unſchaͤtz-
baren Vortheil, daß er ſich, auf ſeine Verantwortlichkeit
geſtuͤtzt, verfaſſungswidriger Schritte weigern kann, fuͤr
das Volk den Schutz der Verfaſſung ohne Erſchuͤtterung
des Throns, fuͤr das unverantwortliche Haupt neben der
Unverletzlichkeit eine ernſte Mahnung an die ewigen Grund-
lagen des Guten und Rechten, welche die unſichtbaren
Traͤger aller Herrſchaft ſind.

137. So offenbart ſich in der Probe der verſchieden-
ſten Zeiten und Verhaͤltniſſe, welch eine tiefſinnige Ver-
faſſung die Monarchie iſt. Sie baut nicht auf die perſoͤn-
lichen Gaben des Fuͤrſten und traͤgt auch ſo den Preis
davon. Wohl iſt aus dem Patrimonial-Koͤnige ein Staats-
Koͤnig geworden, ſeit der Erſtgeborene nicht um ſeinet-,
ſondern um des Staates Willen vor ſeinen Bruͤdern er-
hoͤhet ward, und es tritt die Idee eines Gemeinweſens,
in welchem der Staat ſein Selbſtbewußtſeyn ſucht, uͤber den
Koͤnig hinaus; wohl ſtreiften die erſten Strahlen der kalt
und blutig aufgehenden Staats-Sonne ſchauerlich an die
Gewaͤnder der alten Majeſtaͤt, allein die Geſchichte hat
gerichtet, und, ſichtend zwar, wiederaufgerichtet. Die

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[107/0119] Unverantwortlichkeit des Koͤnigs. ſie duͤrfen es nicht leichtſinnig ziehn, nicht wie ein Rap- pier zu Fechterſtreichen brauchen. Die wirkſamſte Verant- wortlichkeit wird geraͤuſchlos taͤglich gehandhabt von einem auf ſein Gemeinweſen aufmerkſamen Volke; ſie erhebt ihre Stimme in der Preſſe, in der jaͤhrlichen Pruͤfung der Staͤnde, verſtaͤrkt ſie in der Beſchwerdefuͤhrung. Aber auch das Recht der ſtaͤndiſchen Anklage iſt ein weſentlicher Theil des neueren Staatsrechtes, und gewaͤhrt, praktiſch dargeſtellt durch den im Sinne jeder Verfaſſung gewaͤhl- ten Gerichtshof, das Geſetz fuͤr die Procedur und den koͤniglichen Verzicht, gerade fuͤr den Miniſter den unſchaͤtz- baren Vortheil, daß er ſich, auf ſeine Verantwortlichkeit geſtuͤtzt, verfaſſungswidriger Schritte weigern kann, fuͤr das Volk den Schutz der Verfaſſung ohne Erſchuͤtterung des Throns, fuͤr das unverantwortliche Haupt neben der Unverletzlichkeit eine ernſte Mahnung an die ewigen Grund- lagen des Guten und Rechten, welche die unſichtbaren Traͤger aller Herrſchaft ſind. 137. So offenbart ſich in der Probe der verſchieden- ſten Zeiten und Verhaͤltniſſe, welch eine tiefſinnige Ver- faſſung die Monarchie iſt. Sie baut nicht auf die perſoͤn- lichen Gaben des Fuͤrſten und traͤgt auch ſo den Preis davon. Wohl iſt aus dem Patrimonial-Koͤnige ein Staats- Koͤnig geworden, ſeit der Erſtgeborene nicht um ſeinet-, ſondern um des Staates Willen vor ſeinen Bruͤdern er- hoͤhet ward, und es tritt die Idee eines Gemeinweſens, in welchem der Staat ſein Selbſtbewußtſeyn ſucht, uͤber den Koͤnig hinaus; wohl ſtreiften die erſten Strahlen der kalt und blutig aufgehenden Staats-Sonne ſchauerlich an die Gewaͤnder der alten Majeſtaͤt, allein die Geſchichte hat gerichtet, und, ſichtend zwar, wiederaufgerichtet. Die

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/119>, abgerufen am 24.11.2024.