Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Fünftes Capitel. nur daß die Französische Pärskammer von Anfang herzu schwach für einen Staatsgerichtshof war, und seit der Juli-Revolution, da man nach schon angekündigter An- klage der Minister des entthronten Königs die 93 Pärs ausstieß, welche Karl X. ernannt hatte, und die Pärie durchaus lebenslänglich machte, ist vollends jeder Vergleich mit England nichtig. Die Pärie wird nicht freizusprechen wagen, wo eine einige Deputirten-Kammer anklagt. Unter diesen Umständen wäre vielleicht die beste Auskunft gewesen, die Anklage auf die Übereinstimmung beider Kammern zu beschränken, die Entscheidung aber außer der Kammer zu verlegen, wie schon in der Verfassung von 1791. geschehen war (Kap. V. Art. 23.), weil der gesetz- gebende Körper nicht Ankläger und Richter zugleich seyn durfte. Man hat es nicht gewollt, und bemüht sich statt dessen seit zwanzig Jahren, die Gegenstände der Anklage juristisch zu beschränken. Schon die Charte Ludwigs XVIII. verspricht ein Gesetz für die Procedur und die Definition von trahison und concussion, auf welche die Anklage be- schränkt wird. Aber die Minister Karls X. sind gerichtet und verurtheilt vor dem Erscheinen dieser Definitionen (poena sine lege). Der Entwurf ist vor der letzten Re- volution ausgearbeitet (von Pasquier), seitdem umgearbei- tet, und ungeachtet auch die Verfassung von 1830. das Gesetz verlangt, doch wieder liegen geblieben. Er begreift unter Verrath alle Handlungen, die die äußere und innere Sicherheit des Staats vorsätzlich verletzen (die Ver- fassung, den König, die Thronfolgeordnung, die Rechte des Königs und der Kammern), unter Concussion die Erhebung nicht bewilligter Steuern, Veruntreuung öffent- licher Gelder, Bestechung, Theilnahme an Lieferungen zum Privatvortheil des Ministers; es wird aber die Fuͤnftes Capitel. nur daß die Franzoͤſiſche Paͤrskammer von Anfang herzu ſchwach fuͤr einen Staatsgerichtshof war, und ſeit der Juli-Revolution, da man nach ſchon angekuͤndigter An- klage der Miniſter des entthronten Koͤnigs die 93 Paͤrs ausſtieß, welche Karl X. ernannt hatte, und die Paͤrie durchaus lebenslaͤnglich machte, iſt vollends jeder Vergleich mit England nichtig. Die Paͤrie wird nicht freizuſprechen wagen, wo eine einige Deputirten-Kammer anklagt. Unter dieſen Umſtaͤnden waͤre vielleicht die beſte Auskunft geweſen, die Anklage auf die Übereinſtimmung beider Kammern zu beſchraͤnken, die Entſcheidung aber außer der Kammer zu verlegen, wie ſchon in der Verfaſſung von 1791. geſchehen war (Kap. V. Art. 23.), weil der geſetz- gebende Koͤrper nicht Anklaͤger und Richter zugleich ſeyn durfte. Man hat es nicht gewollt, und bemuͤht ſich ſtatt deſſen ſeit zwanzig Jahren, die Gegenſtaͤnde der Anklage juriſtiſch zu beſchraͤnken. Schon die Charte Ludwigs XVIII. verſpricht ein Geſetz fuͤr die Procedur und die Definition von trahison und concussion, auf welche die Anklage be- ſchraͤnkt wird. Aber die Miniſter Karls X. ſind gerichtet und verurtheilt vor dem Erſcheinen dieſer Definitionen (poena sine lege). Der Entwurf iſt vor der letzten Re- volution ausgearbeitet (von Pasquier), ſeitdem umgearbei- tet, und ungeachtet auch die Verfaſſung von 1830. das Geſetz verlangt, doch wieder liegen geblieben. Er begreift unter Verrath alle Handlungen, die die aͤußere und innere Sicherheit des Staats vorſaͤtzlich verletzen (die Ver- faſſung, den Koͤnig, die Thronfolgeordnung, die Rechte des Koͤnigs und der Kammern), unter Concuſſion die Erhebung nicht bewilligter Steuern, Veruntreuung oͤffent- licher Gelder, Beſtechung, Theilnahme an Lieferungen zum Privatvortheil des Miniſters; es wird aber die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0116" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Capitel</hi>.</fw><lb/> nur daß die Franzoͤſiſche Paͤrskammer von Anfang her<lb/> zu ſchwach fuͤr einen Staatsgerichtshof war, und ſeit der<lb/> Juli-Revolution, da man nach ſchon angekuͤndigter An-<lb/> klage der Miniſter des entthronten Koͤnigs die 93 Paͤrs<lb/> ausſtieß, welche Karl <hi rendition="#aq">X.</hi> ernannt hatte, und die Paͤrie<lb/> durchaus lebenslaͤnglich machte, iſt vollends jeder Vergleich<lb/> mit England nichtig. 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Fuͤnftes Capitel.
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zu ſchwach fuͤr einen Staatsgerichtshof war, und ſeit der
Juli-Revolution, da man nach ſchon angekuͤndigter An-
klage der Miniſter des entthronten Koͤnigs die 93 Paͤrs
ausſtieß, welche Karl X. ernannt hatte, und die Paͤrie
durchaus lebenslaͤnglich machte, iſt vollends jeder Vergleich
mit England nichtig. Die Paͤrie wird nicht freizuſprechen
wagen, wo eine einige Deputirten-Kammer anklagt.
Unter dieſen Umſtaͤnden waͤre vielleicht die beſte Auskunft
geweſen, die Anklage auf die Übereinſtimmung beider
Kammern zu beſchraͤnken, die Entſcheidung aber außer der
Kammer zu verlegen, wie ſchon in der Verfaſſung von
1791. geſchehen war (Kap. V. Art. 23.), weil der geſetz-
gebende Koͤrper nicht Anklaͤger und Richter zugleich ſeyn
durfte. Man hat es nicht gewollt, und bemuͤht ſich ſtatt
deſſen ſeit zwanzig Jahren, die Gegenſtaͤnde der Anklage
juriſtiſch zu beſchraͤnken. Schon die Charte Ludwigs XVIII.
verſpricht ein Geſetz fuͤr die Procedur und die Definition
von trahison und concussion, auf welche die Anklage be-
ſchraͤnkt wird. Aber die Miniſter Karls X. ſind gerichtet
und verurtheilt vor dem Erſcheinen dieſer Definitionen
(poena sine lege). Der Entwurf iſt vor der letzten Re-
volution ausgearbeitet (von Pasquier), ſeitdem umgearbei-
tet, und ungeachtet auch die Verfaſſung von 1830. das
Geſetz verlangt, doch wieder liegen geblieben. Er begreift
unter Verrath alle Handlungen, die die aͤußere und
innere Sicherheit des Staats vorſaͤtzlich verletzen (die Ver-
faſſung, den Koͤnig, die Thronfolgeordnung, die Rechte
des Koͤnigs und der Kammern), unter Concuſſion die
Erhebung nicht bewilligter Steuern, Veruntreuung oͤffent-
licher Gelder, Beſtechung, Theilnahme an Lieferungen
zum Privatvortheil des Miniſters; es wird aber die
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