Magaziniers, durch den Mithandel der Regierung gelähmt, und selbst Ludwig XV. gab der Schule der Ökonomisten, welche eine unbedingte Freiheit des Getraidehandels ver- langte, hin und wieder in so weit nach, daß er die lästig- sten Beschränkungen aufhob. Allein jede ungünstige Erndte führte auch zu den altherkömmlichen Misverständnissen zu- rück. Als im Jahre 1770 dergleichen wieder im Werke war, erhob sich Turgot als Intendant kräftig dagegen; aber jenem gewissenlosen Terray und einem Könige gegen- über, welcher selbst ganz gern auf den Hunger seiner Un- terthanen speculirte, scheiterten sieben gründliche und be- redte Vorstellungen. Jetzt da Turgot am Ruder saß, ging er keineswegs so weit als sein System, trug im Minister- rathe nicht auf freie Ausfuhr ins Ausland an, ihm ge- nügte die hergestellte Freiheit des inneren Verkehrs und daß die Magazine auf Staatsrechnung aufhörten. Zum Unglück aber fiel gerade die nächste Erndte ungünstig aus und die Kornpreise fingen an zu steigen. Mehrerer Orten erhuben sich Unruhen, und als ein Schwarm Bauern nach Versailles und an das Schloß kam, war der König schwach genug ihnen vom Balcon herab wohlfeileres Brod zu ver- 1775. Mai 2.sprechen. Nichts desto weniger zog die Bande weiter in die Hauptstadt, Bäckerläden wurden in Paris erstürmt, Ge- traideschiffe auf der Seine geplündert. Auffallend war es dabei daß die Thäter ganz wohlgemuth einherzogen, Brod und Getraide nicht raubten, sondern in den Koth und ins Wasser warfen, dagegen Gerstenbrod mit Kleie und Asche
Magaziniers, durch den Mithandel der Regierung gelähmt, und ſelbſt Ludwig XV. gab der Schule der Ökonomiſten, welche eine unbedingte Freiheit des Getraidehandels ver- langte, hin und wieder in ſo weit nach, daß er die läſtig- ſten Beſchränkungen aufhob. Allein jede ungünſtige Erndte führte auch zu den altherkömmlichen Misverſtändniſſen zu- rück. Als im Jahre 1770 dergleichen wieder im Werke war, erhob ſich Turgot als Intendant kräftig dagegen; aber jenem gewiſſenloſen Terray und einem Könige gegen- über, welcher ſelbſt ganz gern auf den Hunger ſeiner Un- terthanen ſpeculirte, ſcheiterten ſieben gründliche und be- redte Vorſtellungen. Jetzt da Turgot am Ruder ſaß, ging er keineswegs ſo weit als ſein Syſtem, trug im Miniſter- rathe nicht auf freie Ausfuhr ins Ausland an, ihm ge- nügte die hergeſtellte Freiheit des inneren Verkehrs und daß die Magazine auf Staatsrechnung aufhörten. Zum Unglück aber fiel gerade die nächſte Erndte ungünſtig aus und die Kornpreiſe fingen an zu ſteigen. Mehrerer Orten erhuben ſich Unruhen, und als ein Schwarm Bauern nach Verſailles und an das Schloß kam, war der König ſchwach genug ihnen vom Balcon herab wohlfeileres Brod zu ver- 1775. Mai 2.ſprechen. Nichts deſto weniger zog die Bande weiter in die Hauptſtadt, Bäckerläden wurden in Paris erſtürmt, Ge- traideſchiffe auf der Seine geplündert. Auffallend war es dabei daß die Thäter ganz wohlgemuth einherzogen, Brod und Getraide nicht raubten, ſondern in den Koth und ins Waſſer warfen, dagegen Gerſtenbrod mit Kleie und Aſche
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Magaziniers, durch den Mithandel der Regierung gelähmt,
und ſelbſt Ludwig XV. gab der Schule der Ökonomiſten,
welche eine unbedingte Freiheit des Getraidehandels ver-
langte, hin und wieder in ſo weit nach, daß er die läſtig-
ſten Beſchränkungen aufhob. Allein jede ungünſtige Erndte
führte auch zu den altherkömmlichen Misverſtändniſſen zu-
rück. Als im Jahre 1770 dergleichen wieder im Werke
war, erhob ſich Turgot als Intendant kräftig dagegen;
aber jenem gewiſſenloſen Terray und einem Könige gegen-
über, welcher ſelbſt ganz gern auf den Hunger ſeiner Un-
terthanen ſpeculirte, ſcheiterten ſieben gründliche und be-
redte Vorſtellungen. Jetzt da Turgot am Ruder ſaß, ging
er keineswegs ſo weit als ſein Syſtem, trug im Miniſter-
rathe nicht auf freie Ausfuhr ins Ausland an, ihm ge-
nügte die hergeſtellte Freiheit des inneren Verkehrs und
daß die Magazine auf Staatsrechnung aufhörten. Zum
Unglück aber fiel gerade die nächſte Erndte ungünſtig aus
und die Kornpreiſe fingen an zu ſteigen. Mehrerer Orten
erhuben ſich Unruhen, und als ein Schwarm Bauern nach
Verſailles und an das Schloß kam, war der König ſchwach
genug ihnen vom Balcon herab wohlfeileres Brod zu ver-
ſprechen. Nichts deſto weniger zog die Bande weiter in die
Hauptſtadt, Bäckerläden wurden in Paris erſtürmt, Ge-
traideſchiffe auf der Seine geplündert. Auffallend war es
dabei daß die Thäter ganz wohlgemuth einherzogen, Brod
und Getraide nicht raubten, ſondern in den Koth und ins
Waſſer warfen, dagegen Gerſtenbrod mit Kleie und Aſche
1775.
Mai 2.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/64>, abgerufen am 27.11.2024.
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